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Politik: Wettbewerb macht Kassen nicht krank (Leitartikel)

In irgendeiner Krankenkasse ist fast jeder versichert. Entweder in einer der gesetzlichen Kassen.

In irgendeiner Krankenkasse ist fast jeder versichert. Entweder in einer der gesetzlichen Kassen. Oder, wenn das Gehalt hoch genug ist, privat. Vor dem Lebensrisiko Krankheit ist im Sozialstaat Bundesrepublik also jedermann gut geschützt. Doch das Ganze kostet Geld, viel Geld: mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und nun behaupten AOK und Ersatzkassen, in denen noch immer der größte Teil der 50,8 Millionen gesetzlich Krankenversicherten zu Hause ist, dass es bei ihnen mit dem Geld trotz aller Reformen schon bald nicht mehr reichen wird und drohen mit drastischen Beitragserhöhungen.

Einen Schuldigen haben sie auch ausgeguckt. Buhmann sind die Betriebskrankenkassen. Sie waren ursprünglich für bestimmte Firmen oder Berufsgruppen gedacht, steht nun aber jedermann offen. Mit niedrigen Beiträgen würden sie die Jungen und Gesunden abwerben. Die kosten wenig, bringen aber viel Geld in die Kassen. Die Rentner und Kranken bleiben den anderen. Die kosten viel, bringen aber wenig Beiträge. So einfach sehen das die jammernden Kassen und würden das seit 1996 geltende Recht der Versicherten, die Krankenkasse frei zu wählen und zu wechseln, wohl am liebsten wieder abschaffen. Ist also der Wettbewerb schuld an der Misere? Sollte wieder bürokratisch geregelt werden, was gerade liberalisiert worden ist?

Das könnte den großen Kassen so gefallen. Aber es würde ihre Probleme nicht lösen. Die lauten Klagen zeigen etwas ganz anderes: Zwischen den Kassen herrscht nicht zu viel, sondern zu wenig Wettbewerb. Es stimmt zwar, dass zu den Anbietern, die mit niedrigen Beiträgen werben, vor allem junge und zahlungskräftige Menschen drängen. Solche Beitragszahler wünscht sich jede Kasse. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen sind 40 Prozent der Mitglieder Rentner, bei den jetzt als "Yuppi" - Kassen denunzierten Betriebskrankenkassen nicht einmal ein Viertel. Doch das wird ausgeglichen. Dafür gibt es den so genannten "Risikostrukturausgleich". Er soll für den notwendigen Ausgleich zwischen armen und reichen Kassen sorgen. Einige Stellschrauben müssen da vielleicht neu eingestellt werden, um Wettbewerbsverzerrungen auszugleichen.

Das eigentliche Problem der Kassen liegt woanders. Es liegt darin, dass sie sich bis heute nicht auf den Wettbewerb eingelassen haben. Gäbe es mehr Wettbewerb, müssten sich auch die Dinosaurier unter den Kassen endlich bewegen. Bislang findet der Wettbewerb nur über den Preis, sprich die Beitragssätze, statt. Die Ware, also das medizinische Angebot, unterliegt ihm nicht. Das verhindert Innovationen und den notwendigen Abbau von Überkapazitäten. Wenn Kassen ihr Angebot frei zusammenstellen und die Preise direkt mit den Ärzten und Krankenhäusern aushandeln könnten, würden die verkrusteten Strukturen aufgebrochen. Natürlich muss dabei die Versorgung sichergestellt sein. Aber wer wollte ernsthaft behaupten, das wäre in Deutschland nicht zu leisten?

Bürokratische Regelungen oder Mindestbeiträge, wie sie AOK und Ersatzkassen als Schutz vor unliebsamer Konkurrenz fordern, lösen die Probleme nicht. Die Yuppies würden dann wahrscheinlich gar nicht in den gesetzlichen Solidar-Kassen bleiben, sondern gleich zu den Privatversicherungen überlaufen. Und die älteren und krankheitsanfälligen Patienten, die angeblich die Zeche zahlen müssen, sind ja auch nicht gezwungen, ewig in der teuren AOK zu bleiben. Jeder kann wechseln, und die gesetzlichen Kassen dürfen niemanden ablehnen. Die Rosinen, die jetzt vor allem die Yuppies picken, kann sich jeder nehmen.

Carsten Germis

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