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Und jetzt? Israels Außenminister Avigdor Liebermann bezeichnet Günter Grass (Foto) als „verrückten Antisemiten“. Viele seiner Landsleute sehen das ähnlich. Foto: Angelika Warmuth/dapd

© dapd

Politik: Wettstreit der Kritiker

Israels Innenminister erklärt Grass zur Persona non grata. Andere sagen, dessen Zeilen zeugten nicht von Mut – nur von Unwissen.

Israelische Politiker haben auf Günter Grass’ Gedicht „Was gesagt werden muss“ heftig reagiert. Unter den drei wichtigsten Ministern der Rechten entbrannte ein regelrechter Wettbewerb der Grass-Kritik. Seine Erläuterungen zeugten von Ignoranz, und „jede aufrichtige Person in dieser Welt muss sie verurteilen“, sagte Premier Benjamin Netanjahu. Außenminister Avigdor Lieberman bezeichnete die Zeilen von Grass als das Werk eines „verrückten Antisemiten“.

Da wollte Innenminister Eli Jischai von der ultraorthodoxen Shas-Partei als Grass-Verächter nicht zurückstehen. Er erklärte den deutschen Schriftsteller zur „Persona non grata“, was einem Einreiseverbot gleichkommt. Zudem regte Jischai an, dem deutschen Autor den Literaturnobelpreis abzuerkennen, weil er sich mit seinen Zeilen disqualifiziert habe. Er sei ein „antisemitischer Mensch“, „ein Mann, der eine SS-Uniform getragen hat“.

Allerdings haben selbst israelische Autoren, die in der Regel zum rechten Lager gezählt werden, für den Entscheid des Innenministers kein Verständnis. „Jischai wusste bisher wohl nicht einmal, wer Grass ist“, schreibt der Schriftsteller Eyal Meged in einem Zeitungskommentar. Meged rügt das Einreiseverbot als „Zeichen der Schwachheit“ und Zensur Andersdenkender. Das Kesseltreiben des Innenministers gegen Grass stuft er als populistisch ein – der bald 85-Jährige habe ja keine Pläne gehabt, demnächst nach Tel Aviv zu reisen. Dort war er bei einem Vortrag vor 31 Jahren mit Tomaten beworfen worden, weil er Verständnis für die arabischen Angriffe gezeigt hatte.

Die innerisraelische Kritik am Einreiseverbot bedeutet natürlich nicht, dass Grass gut wegkommt. Grass zeige in seinem Beitrag, dass er von der Situation wenig verstehe und schlecht informiert sei, werfen ihm Kritiker vor. „Was gesagt werden muss“ sei längst gesagt und in vielen Variationen durchgespielt, in zahlreichen Publikationen beschrieben und von Thinktanks kritisch analysiert. Das „Recht auf den Erstschlag“, um die iranischen Atompläne auszuschalten, wird in der Tat seit Monaten weltweit und besonders intensiv auch in Israel diskutiert. Dabei kommen auch Leute wie der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan zu Wort, die ausdrücklich vor den Konsequenzen eines israelischen Alleingangs warnen. Die Zeilen von Grass zeugten deshalb nicht von Mut, etwas Unbequemes zu sagen, sondern davon, dass er die bisherige Diskussion offenbar verschlafen habe, meint ein israelischer Journalist.

Falsch sei zudem, dass über Israels Atomprogramm geschwiegen werde, wie Grass behauptet. Seit der Atomspion Mordechai Vanunu im Jahre 1986 das Geheimnis des israelischen Atomreaktors in Dimona verraten hat, weiß jeder Bescheid – auch wenn Jerusalem offiziell den Atom-Status nicht bestätige.

Empört reagieren die meisten Israelis auf den Grass-Vorwurf, „die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“. Es sei ja gerade der Iran und nicht Israel, der anderen Staaten mit Vernichtung drohe, fasst Netanjahu die Stimmung in Israel zur Grass’schen Verdrehung der Tatsachen zusammen. Sein Mitmachen bei der Waffen-SS, die den Genozid an den Juden plante und vollzog, disqualifiziere Grass, die Nachkommen dieser Juden für die Entwicklung einer Waffe zu kritisieren, die Versicherung sei gegen einen, der die Pläne eben dieser Organisation zu Ende bringen möchte, schreibt die israelische Zeitung „Haaretz“.

Pierre Heumann[Tel Aviv]

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