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Politik: Wider die Wächter

Irans Präsident Chatami will offenbar der Konfrontation mit den Konservativen nicht ausweichen

Der seit Jahren andauernde Machtkampf in Iran zwischen dem reformorientierten Präsidenten Mohammed Chatami und den Konservativen geht möglicherweise in seine entscheidende Runde. Seit vier Tagen demonstrieren Tausende von Studenten in Teheran gegen das Todesurteil für den Reformer Hashem Aghadschari. Der Geschichtsprofessor wurde am vergangenen Donnerstag verurteilt. Das Gericht warf ihm vor, den Islam verunglimpft zu haben. In einer Rede an der Universität Tabiat-e-Modarres in Teheran hatte er aufgefordert, „nicht blind den Interpretationen des Klerus“ zu folgen.

Das Urteil hat auch im konservativen Lager Kritik hervorgerufen. Bereits in der vergangenen Woche war der Reformer Abba Abdi festgenommen worden, nachdem ein von ihm gegründetes Umfrageinstitut geschlossen worden war. Eine Umfrage des Instituts hatte ergeben, dass 74 Prozent der befragten Iraner die Wiederaufnahme von Beziehungen zu den USA befürworten. Die Festnahmen und Urteile erfolgten vor dem Hintergrund eines entscheidenden Konflikts zwischen Präsident Chatami und dem reformorientierten Parlament auf der einen Seite, sowie der Justiz und den staatlichen Gremien auf der anderen, die vom konservativen Klerus beherrscht werden.

Denn das Parlament hat zwei Gesetzentwürfe erarbeitet, welche die Macht dieser Gremien nachhaltig beschneiden sollen. Ein am Sonntag verabschiedeter Gesetzentwurf soll Chatami das Recht geben, Urteile der Gerichte aufzuheben, wenn sie gegen die Verfassung verstoßen. Zudem einigte sich das Parlament auf einen Gesetzentwurf, der dem Wächterrat die Befugnis entzieht, über Kandidaten für Parlamentswahlen zu entscheiden. Der Wächterrat prüft Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit dem Islam. Hunderte von Reformern waren von dem Gremium an der Kandidatur zum Parlament mit dem Argument gehindert worden, sie seien keine guten Muslime. Beide Gesetze würden die institutionell verankerte Patt-Situation zwischen Parlament und Präsidenten sowie den konservativen Institutionen mit Vetorecht zugunsten der Reformer verschieben. Die gesetze müssen aber von jenem Wächterrat bestätigt werden, dessen Macht eingeschränkt werden soll. Der Bruder des Präsidenten hatte gesagt, Chatami denke über seinen Rücktritt nach, falls die Reformen verhindert würden. „Die beiden Gesetzentwürfe haben beide Seiten an die rote Linie geführt, wo keiner Konzessionen machen kann“, so der Analyst Said Lailez. Die konservative iranische Tageszeitung „Ressalat“ vergleicht die Situation mit zwei Autos, die direkt aufeinander zu rasen. „Entscheidend ist, welcher Fahrer zuerst Angst bekommt und ausweicht.“

In den vergangenen Tagen haben die Fronten sich weiter verhärtet. Der oberste Religionsführer Ali Chamenei drohte Montagabend damit, „populäre Kräfte“ einzusetzen, falls keine Einigung zu Stande komme. Mit den „populären Kräften“ sind in der Regel Milizen des konservativen Lagers gemeint. Präsident Chatami brach am Mittwoch sein Schweigen und nannte das Urteil gegen den Geschichtsprofessor Aghadschari „unangemessen“. Dieser verzichtete indes auf einen Einspruch gegen das Urteil. Die Justiz könne die Entscheidung ja zurückziehen, wenn sie sie für falsch halte. Damit nimmt er der konservativen Justiz die Möglichkeit, in einem Revisionsverfahren gesichtswahrend das Urteil abzumildern.

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