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Politik: Widerstand im Hinterhof

Venezuela droht USA mit Öl-Lieferstopp – und Rumsfeld reagiert

Von Michael Schmidt

Berlin - Wenn es nach den USA ginge, wären ganz Nord-, Zentral - und Lateinamerika eine große Freihandelszone. Dass es nicht nach den USA geht, liegt auch an Hugo Chavez. Die Politik des venezolanischen Präsidenten setzt auf nationale Unabhängigkeit. Sein Versuch, eine „Achse des Südens“ gegen den Hegemon aus dem Norden zu organisieren, kollidiert mit der US-Auffassung von Mittel- und Südamerika als „Hinterhof“. Und seine Drohung, die Lieferung von täglich 1,5 Millionen Barrel Öl zu stoppen, trifft die USA an ihrer empfindlichsten Stelle. So sehr, dass Verteidigungsminister Donald Rumsfeld jetzt zum dritten Mal innerhalb von zehn Monaten Lateinamerika bereiste, um mit Besuchen bei den Nachbarn den Druck auf Chavez zu erhöhen.

Die Rhetorik ist das eine in dieser Auseinandersetzung. Wenn Venezuelas linkspopulistischer Staatschef US-Präsident George W. Bush „Mr. Danger“ nennt, dann sind ihm die Jubelrufe der Massen daheim sicher. In Washington löst das kaum größere Irritationen aus. Wenn’s aber ums Öl geht – „das ist der Punkt, an dem es kritisch wird“, sagt Andreas Boeckh, Lateinamerikaexperte der Universität Tübingen. Das venezolanische Öl ist für die USA, die ihre Abhängigkeit vom Vorderen Orient verringern wollen, von strategischer Bedeutung. Derzeit beziehen sie 10 bis 15 Prozent ihres Öls aus Venezuela.

Aus der Interessen-Gemengelage der beiden ungleichen Kombattanten speist sich ein Konflikt, der Lateinamerika nicht nur seit längerem beherrscht, sondern auch langfristig weiter beherrschen wird. Die USA bauen ihre Präsenz im konservativen Nachbarland Kolumbien aus, um die ölreiche Nation im Auge zu haben. Chávez ruft unterdessen die „bolivarianische Revolution“ aus, die sich am Vorbild des Befreiers von den Spaniern, Simón Bolívar (1783–1830) orientiert und darauf abzielt, dem „Imperialismus“ der USA durch eine Forcierung der lateinamerikanischen Integration Einhalt zu gebieten. Tatsächlich haben auch Argentinien, Brasilien, Uruguay und Chile linksliberale Regierungen, und die USA verlieren zunehmend an Einfluss auf dem Südkontinent. Sie beschuldigen Chávez denn auch nicht ganz zu Unrecht, er wolle mit seiner „Öldiplomatie“ eine Allianz gegen Washington schmieden. Venezuela ist der weltweit fünftgrößte Exporteur von Erdöl. Und zunehmend liefert er das begehrte Gut lieber zu Vorzugsbedingungen an seine Nachbarn, um sie für seine Politik zu gewinnen, als an die USA: So rief er im Juli mit 13 karibischen Staaten die regionale Erdölgesellschaft „Petrocaribe“ ins Leben. Seitdem verkauft Venezuela sein Öl an die Karibikstaaten zu einem niedrigen Preis, im Austausch für Bananen oder Zucker. Der kubanische Staatschef Fidel Castro schickte als Gegenleistung kubanische Ärzte, die kostenlos Patienten behandeln.

Das gute Verhältnis zwischen Kubas „Maximo Lider“ und Chavez ist den USA ein besonderer Dorn im Auge. Sie werfen beiden Politikern vor, sie versuchten, auf instabile Staaten wie Bolivien und Ecuador Einfluss zu nehmen, um dort linksgerichtete Regierungen zu installieren, und sie unterstützten die kolumbianische Guerillagruppe Farc. „Belege gibt es dafür kaum“, sagt Boeckh. Aber klar ist: Die USA wollen die ungeliebten Despoten loswerden. Sie unterstützen die Oppositionsparteien. Sie halfen 2002 beim Putschversuch gegen Chavez. Allerdings erfolglos. Auch Rumsfelds Versuch, die Nachbarn gegen Chavez in Stellung zu bringen, ist nach Ansicht von Boeckh zum Scheitern verurteilt. Die Idee einer mit Erdölmillionen geschmierten Südallianz steht südlich des Rio Grande immer noch höher im Kurs als das Washingtoner Angebot aus kultureller Überheblichkeit, harter Wirtschaftspolitik und sozialem Desinteresse.

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