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Widerstand im Wendland: "Guten Morgen Revolution, du bist zu früh!"

Mühevoll haben sie eine Straßenblockade gebaut, aber Ärger mit der Polizei wollen sie nicht. Beim Gasthof Wiese spielt sich ab, was sich im ganzen Wendland findet: eine Mischung aus Wärme, Kälte und Gewalt, aus Solidarität und Gemeinheit.

Sie sind gern gute Staatsbürger, an diesem Morgen zeigt sich das gerade wieder. 17 Stunden haben sie gebraucht, um die drei, vier Kubikmeter Mutterboden auf die Straße zu schaffen, und nun, nachdem die Polizei da gewesen ist, räumen sie den Erdhaufen innerhalb von zwei Stunden wieder ab. Sie haben es den Autoritäten versprochen.

17 Stunden in eine Straßenblockade investierte Zeit, die nur aufgrund sanfter Bitten eines Wachtmeisters unverzüglich zurückgedreht wird, so kann man es sehen. Oder so: 17 Stunden Widerstand, zwei Stunden Gefolgschaft.

Sie, das ist die Familie Wiese, Biokraftwerks-, Landwirtschafts- und Gasthofbetreiber aus Trebel, Ortsteil Gedelitz, Luftlinie zum Gorlebener Atommüllzwischenlager und zur Endlagererkundungsstätte eineinhalb Kilometer. Und so uneindeutig wie das Tun der Wieses ist vieles in diesen Tagen hier im Wendland. Zu beobachten sind Verständnis und Unverständnis, Solidarität und Gemeinheit, Wärme und Kälte und Gewalt.

Horst Wiese, Jahrgang 1935, einer der Veteranen der hiesigen Atommüllgegner, sitzt im Schankraum des Gasthofs, seine Frau kommt herein und sagt, er solle doch mal raus zum Erdhaufen gehen. „Guck da doch mal hin“, sagt sie. Er sagt: „Ich guck da nicht hin“ – „Doch, mach mal“ – „Nee, ich mach da nichts“. Wiese, der früher oft und gerne Straßen blockiert hat, mit allem, was zur Hand war, zum Beispiel Schweinemist, findet die Sache mit dem Haufen nicht gut. Sein Sohn und dessen Freunde haben sich dabei nämlich erwischen lassen. Die Polizei hatte zugesehen.

„Wir haben uns damals nie erwischen lassen“, sagt Wiese, „und man muss doch vorher mal ein bisschen nachdenken, wegen der Konsequenzen.“ Eine der Konsequenzen wäre, dass die Polizei nun einen Anlass hat, das Zeltlager der Castor-Transportgegner auf Wieses Grundstück zu räumen. „Eingriff in den Straßenverkehr“, sagt er, „wenn da jetzt ein Krankenwagen durch will und nicht durchkommt, Mensch.“

Hinter dem Gasthof sind etwa 1500 Menschen untergekommen. Die meisten von ihnen übernachten in großen, weißen Veranstaltungszelten, von hier brechen sie auf zu Sitzblockaden und Kundgebungen. Ein halbes Dutzend solcher Lager ist im Wendland aufgebaut worden, alle sind ähnlich groß und ähnlich ausgestattet, es gibt Küchenzelte, Besprechungszelte, Informationszelte und Dixiklos. Und am Montagvormittag, auch hier hinter Wieses Gasthaus, herrscht in ihnen eine selige Zufriedenheit. Der Castor-Zug hat eben erst Dannenberg erreicht, seine Endstation. Einen Tag später als vorgesehen.

Die Nacht über war er von möglicherweise bis zu 6000 Menschen aufgehalten worden, die sich ein paar Kilometer westlich von Dannenberg auf die Gleise gesetzt hatten. Die Polizei räumte und kesselte 1500 von ihnen ein, stundenlang. Einige wurden auch noch zur Gefangenensammelstelle nach Lüchow gebracht. Die warten gerade darauf, von Freunden abgeholt zu werden. Im Radiosender der Atomkraftgegner wird ein Motorsägenkurs angekündigt. Es ist dort auch die Rede von „unverhältnismäßiger Härte der Polizei“. Das ist eine viel gebrauchte Formel in diesen Tagen im Wendland. Und schwer zu überprüfen. Später lobt dann die Polizei die Gewaltlosigkeit der Demonstranten.

Sonntag, der frühe Morgen im Zeltlager Köhlingen. Das Lager der Schottersteinentferner. Zwei junge Frauen gehen zwischen den Zelten durch den tiefen, nassen Schlamm. Sie haben ein Megafon dabei, „guten Morgen, es ist fünf Uhr, bitte aufstehen, um sechs geht es los.“ Und dann wird aufgestanden. Ein junger Mann in Schwarz taumelt aus seinem Zelt, er ruft „Guten Morgen Revolution, du bist zu früh!“

In Metallfässern brennt Holz, auf Holztischen stehen Kaffee und Teebottiche, es gibt Müsli, Brot und Milchreis. Die Feuer und die Holztische sind die Orte, an denen die Solidarität schon aufhört. Ein paar Großstadtkinder drängeln in die ersten Reihen, die Weggeschobenen weichen sanft zurück.

Und dann ist es sechs Uhr, und ein 1500-köpfiger, murmelnder Menschenwurm marschiert über Straßen, über Feldwege und durch den Wald Richtung Süden, zur Schiene. Er teilt sich, findet nach ein paar Kilometern zusammen. Reif liegt auf den Gräsern, und als der Himmel langsam grau wird, folgt dem Wurm ein Mannschaftswagenkonvoi der Polizei, bald auch Polizisten zu Fuß. Sie haben den Auftrag, den Wurm am Weiterkommen zu hindern, treiben ihn auseinander, sie haben Verachtung und Wut in den Gesichtern, manche auch Angst, Spott und Wohlwollen. Die Polizisten rempeln Leute zu Boden, einige schreien herum, es ist ein kurzes Kräftemessen. Der Einsatzleiter spricht in sein Funkgerät: „Also, wir laufen erst mal gediegen mit, und dann sehen wir weiter.“

Der Wurm erreicht das Gleis, er zerteilt sich. Er sieht wieder in Polizistengesichter, Schotterzerstörer gegen Schotterbeschützer, und plötzlich fliegt eine Reizgasgranate in den Wald. Die Gaswolke setzt ein paar Angreifer und ein paar Verteidiger außer Gefecht, Pfefferspray kommt dazu, das verletzt nur die Angreifer, und irgendwann schlagen ein paar Polizisten zu. Weil sie sich bedrängt fühlten.

Am Abend darauf, wieder in Köhlingen, weinen ein paar junge Frauen, ein paar junge Männer sind leer vor Wut, immer noch fassungslos oder stoisch. Und es werden Heldengeschichten in Mobiltelefone gesprochen. Sätze, die anfangen mit „Ich hab den Bullen …“

Horst Wiese kennt so etwas noch von früher. „Ist schon ein paar Jahre her“, sagt er, „da kam die Polizei einfach hier rein in die Gaststube und prügelte los. Die haben hier eine Gasgranate gezündet.“ Und dann kommt Manni zur Tür herein. „Mensch! Mensch!“, sagt Wiese, Manni sagt: „Mensch, Horst!“ Die beiden fallen einander in die Arme, lange nicht gesehen, lange her. Manni kommt aus Köln und war einer der Ersten, die bei Wiese hinterm Haus übernachtet haben, Ende der 70er Jahre war das.

„Und, was machst du?“, sagt Wiese. „Mal nach dem rechten sehen“, sagt Manni, „wie geht’s dir?“ Er sei ein bisschen ruhiger geworden, sagt Wiese, das Herz, „die erste Verwarnung gekriegt“. „Ja“, sagt Manni. „Ja“, sagt Wiese.

Ende der 70er Jahre, das war die Zeit, als Wiese anfing, dagegen zu sein und es auch zu zeigen. Es hat bei ihm 20 Jahre gedauert. In den 50er Jahren, der Krieg war vorbei, die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki waren gezündet, das Wettrüsten begann. „Wer diese Technologie hat, der regiert die Welt“, sagt Wiese, „das sagte man damals.“ Und hier in der Nähe ging ein Bundeswehrgeneral immer zur Jagd. Den hat Wiese einmal gefragt, du, sag mal, wie kann man einen Atomkrieg überleben? Du kannst in einen Bunker gehen, soll der General geantwortet haben, aber wenn du da wieder rausgehst, was willst du dann noch? Ist ja dann alles verstrahlt. „Und da haben wir drüber nachgedacht“, sagt Wiese. „Und dann war man gegen Atom.“

Die Jahre vergingen, Wiese war gegen Atom, und dann wurde es irgendwann Sommer und es brannten plötzlich Wälder. Wälder bei Eschede, Gifhorn und hier, bei Gorleben. Es war das Jahr, in dem die Salzstöcke bei diesen Orten als mögliche Atommülllager auserkoren wurden. Diese Wälder hätten deren Besitzern vor den Bergbauarbeiten abgekauft werden müssen.

„Der Wald hat gebrannt, und keiner wusste warum“, sagt Wiese. Er war damals bei der Feuerwehr, er hat alles versucht, mit Güllewagen wollte er die Flammen löschen. Und der jagende Bundeswehrgeneral schickte seine Truppe los. „Der ist gleich zurückgepfiffen worden, eigenmächtiges Handeln, Mann, hat der auf den Deckel gekriegt.“

Die Feuer und der Anpfiff für den General, es waren die ersten Ungereimtheiten, die Wiese auffielen. Aufgefallen sind ihm auch Sachen, die verschwiegen werden sollten. 30 Laugeneinschlüsse im Gorlebener Salz, Flüssigkeit also, deren Verhalten unberechenbar ist, wurden verschwiegen. Stollen wurden zu Lagerräumen ausgebaut, obwohl angeblich nur erkundet werden sollte. Und dann hat Wiese einmal eine Besichtigung machen dürfen, er war im Gemeinderat, und ihm fiel auf, dass sich die Mineralienschichten im Bergwerk gegeneinander verschoben. Nein, nicht mehr mit mir, das habe er sich damals gedacht, „ergebnisoffene Erkundung? Die machen doch das Gegenteil, deren Ergebnis steht doch längst fest“, und fortan durften Atomkraftgegner auf seinem Grundstück zelten.

Wiese sagt: „Mitschuldig fühlte man sich immer. Man hat zu lange diesen Atomstrom verbraucht.“ Ein bisschen mitschuldig ist er auch in anderer Hinsicht. Er hat den Bergwerksbetreibern ganz früher ein Grundstück vermacht, auf Zeit, und ihnen damit das Recht auf Bohren und Erkunden gewährt. 2015 läuft dieser Vertrag aus, und mittlerweile ist die Rede davon, ihn und andere Widerspenstige zu enteignen. Das Argument dafür lautet: zum Wohle der Allgemeinheit. Wiese glaubt nicht daran, dass das durchkommt.

Welches Allgemeinwohl sollte das sein, fragt er. Das Draufzahlen?

Aus ihm spricht eine große Gelassenheit, aber auch ein tiefes Unbehagen. „Ich habe so das Gefühl, da sitzt ein Haufen Leute an der Regierung, die arbeiten mit anderer Leute Geld“, sagt er, „und mit diesem Geld wurschteln sie rum, woanders, aber auch hier bei uns.“ In einem Salzstollen, dessen Untauglichkeit als Atommüllendlager so oft angezweifelt und so oft ausgeschlossen worden ist.

Der Castor-Transport steht im Dannenberger Verladebahnhof. Erfahrungsgemäß tut er das acht bis 15 Stunden, Strahlenwerte müssen gemessen, die Castor-Behälter auf Lastwagen umgeladen werden. Von Wieses Grundstück in Trebel, Ortsteil Gedelitz, machen sich die Menschen auf den Weg. Für die wohl letzte Nacht, die letzte Blockade.

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