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Politik: Wie gefällt Ihnen die Politik, Herr Müller?

Alle, die Sie kennen, gerade auch im Regierungslager, finden, dass Sie ein witziger und unglaublich netter Mensch sind. Trotzdem sind viele unzufrieden mit Ihnen.

Alle, die Sie kennen, gerade auch im Regierungslager, finden, dass Sie ein witziger und unglaublich netter Mensch sind. Trotzdem sind viele unzufrieden mit Ihnen. Woran liegt das?

Da müssen Sie die Leute fragen, die Ihnen ihre Unzufriedenheit äußern.

Moment, Sie selbst finden doch die Zusammenarbeit mit der SPD-Fraktion derart unerfreulich sei, dass Sie es für angebracht halten, an gewisse "Grundnormen" zu erinnern, die für eine gedeihliche Zusammenarbeit erfüllt sein müssten.

Das stimmt allerdings. So geht es beispielsweise nicht an, dass der Wirtschaftsminister einen Energie-Bericht seines Hauses vorlegt, an dem eine hochqualifizierte und kompetente Abteilung insgesamt eineinhalb Jahre gearbeitet hat, und aus der Fraktionsführung tönt es postwendend, das sei ein "Chaotenbericht". So geht man nicht mit der Arbeit eines Ministers und seines Hauses um. Ich muss mich auch vor die Arbeit der Mitarbeiter stellen.

Wie setzt man sich gegen so etwas zur Wehr? Wie setzen Sie sich zur Wehr?

Ich habe der Fraktion gesagt, wenn das der neue Stil im Umgang miteinander sein soll, dann werden wir eben nur noch auf Basis des formal Notwendigen miteinander verkehren.

Beklagen Sie gar eine Entfremdung zwischen Ihnen und der SPD-Fraktion?

Nein, ich habe beispielsweise unverändert ein persönlich gutes Verhältnis zu Herrn Struck.

Und das nutzt etwas?

Ich habe ihm gesagt, dass man nicht alles und jedes mit dem Wirtschaftsminister machen kann. Ein anderes Reizthema, das mir in diesem Zusammenhang einfällt, sind die Differenzen über die Kraft-Wärme-Kopplung. Da haben wir nach mühevollster Arbeit einen allseitigen Kompromiss erzielt: mit dem Ergebnis einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Verbände im Strommarkt. Nach einem halben Jahr intensiver Verhandlungen war alles dann mit den Fraktionen von SPD und Grünen abgestimmt. Und die Bundesregierung hat dies danach als Gesetzentwurf beschlossen. Noch auf dem SPD-Parteitag wurde öffentlich versichert, an dem Kompromiss werde nichts mehr geändert. Und dann das: Eine Woche vor der letzten Lesung im Bundestag werden plötzlich die alten Fundamentalforderungen von vor zwölf Monaten wieder aufgetischt. Auch das geht, meiner Meinung nach, so nicht.

Wie bewerten Sie solche Vorgänge?

Ich buche das in der Rubrik Stil und Umgang ab. Mein Standpunkt ist ganz einfach: Wenn einmal etwas rundum erörtert, abgeschlossen und entschieden ist und alle am Ende gesagt haben, das ist es jetzt, dann muss dies gelten.

Müsste nicht irgendwer die Unruhestifter doch mal zur Räson bringen?

Ja, aber alles in allem ist es auch kein besonders dramatischer Vorgang.

Er war immerhin so dramatisch, dass Sie Ihr Amt damit verknüpft haben .

Wenn ein allseits gefundener, mit den Fraktionen abgestimmter Kompromiss, den das Bundeskabinett dann zu seinem Regierungsentwurf für ein Gesetzes gemacht hat, gefunden worden ist, dann stehe ich dahinter. Und das erwarte ich auch von allen anderen Seiten. Ich habe nicht in Sachen Kraft-Wärme-Kopplung drei Jahre lang diskutiert, um mich dann fünf vor zwölf vorführen zu lassen.

Würden Sie den Satz unterschreiben, das macht man mit mir nur ein Mal?

Grundsätzlich ist das eine Lebensregel, die ich schon immer sehr geschätzt habe.

Und zwar in der Lesart, einmal ist einmal zu viel?

Nicht grundsätzlich. Aber ein Mal heißt für mich tatsächlich nur ein einziges Mal.

Sie könnten also auf die Idee kommen, sich solche Erfahrungen künftig zu ersparen?

Ja sicher. Damit aber kein falscher Eindruck hängen bleibt, möchte ich hinzufügen, dass das nach meinem Eindruck die SPD-Fraktion begriffen hat. Meine Deutlichkeit war wohl nicht umsonst. Im übrigen bin ich ja auch nicht radikal gegen jedwede Änderung, sondern nur gegen die völlig einseitige Aufkündigung des Kompromisses.

Aber an dem Versuch, den Kompromiss noch mal aufzuschnüren und kräftig nachzubessern ...

nachzuschlechtern, wenn ich das aus meiner Sicht sagen darf ...

hat Sie ja nicht nur die Form, sondern auch die Substanz gestört.

Beides. Als Wirtschaftsminister kann ich Subventionen über einen Zeitraum von 15 Jahren und dann noch in einer Höhe, die ich für jenseits von Gut und Böse halte, nicht gegenzeichnen.

Ein anderer Punkt, der Ihnen nicht gefällt, ist die von Lafontaine vorgenommene und von Eichel hartnäckig verteidigte Beschneidung des Wirtschaftsministeriums.

Ich halte es ordnungspolitisch für vernünftig, wenn der Wirtschaftsminister und der Finanzminister unabhängig voneinander Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung abgeben. Nach dem Verlust der Kompetenz für den Jahreswirtschaftsbericht und für Konjunkturprognosen dürfte ich streng genommen zum Wirtschaftswachstum gar nichts mehr sagen. Und das ist natürlich eine skurrile Situation für einen Wirtschaftsminister. Die Wiederherstellung meines Ministeriums in seiner ursprünglichen Form halte ich nach der Wahl sachlich für dringend geboten. Und Lafontaine wird ja wohl nicht wiederkommen.

Bleibt die Rückgabe der verlorenen Kompetenzen und Arbeitseinheiten ihre Bedingung für den Verbleib im Amt über den Wahltag hinaus?

Zunächst müssen wir mal die Wahl gewinnen.

Zweifeln Sie daran?

Nein, die Frage, wie der nächste Bundeskanzler heißt, ist für mich schon heute ohne jeden Zweifel beantwortet: Gerhard Schröder. Aber in welcher Konstellation, ist noch nicht so klar.

Haben Sie den Eindruck, dass die Wähler es chic finden, wenn die Regierung immer nur sagt, sparen, sparen, sparen, und das ist es dann?

So ist es ja nicht. Denn dahinter steckt doch die Idee, dass sich der Staat beschränken muss und nicht alles und jedes regeln kann. Unterstellt man, dass das Maß der in einer Gesellschaft zu erledigenden Aufgaben konstant ist, und sagt man gleichzeitig, dass der Staat weniger Aufgaben erfüllen soll, weil er viel zu teuer ist, dann müssen Gesellschaft und Wirtschaft einfach einen größeren Anteil selber erledigen. Das bedeutet übrigens auf mittlere und längere Sicht: Weniger Steuern - also mehr im Portemonnaie, weil weniger Staat zu finanzieren ist. Das heißt aber auch: mehr Eigeninitiative und Eigenverantwortung in Wirtschaft und Gesellschaft zu generieren, was unbequem und wenig populär ist.

Warum gelingt es der Bundesregierung nicht, diese Visionen zu kommunizieren? Warum bleibt nach diesen drei Jahren nicht das Gefühl einer New Policy, eines Umschwungs zurück, sondern der, dass alles wird schlechter, weil gespart wird?

Sparen und dadurch mögliche Steuersenkungen sind abstrakt hoch populär. Nur wenn der Einzelne merkt, dass dies ihn selbst betrifft, findet er es auf einmal unschön, zum Beispiel wenn Subventionen gestrichen werden.

Könnte es nicht vielleicht aber daran liegen, dass die gesamte Vision, Sparen und Umbau der Gesellschaft nur an einer Stelle von dieser Regierung konsequent angefasst wurde, nämlich beim Sparen?

Dieser Eindruck wäre falsch. Bei der Rente etwa ist uns eine sehr grundsätzliche Reform gelungen, auch wenn der ursprüngliche Beschluss der Bundesregierung noch etwas ausgeprägter war. Und diesen Grundsatz von Zukunftssicherung mit mehr Eigenverantwortung sollte man noch breiter verankern, auch beim Thema Gesundheit in der nächsten Wahlperiode, um den Kern der Solidarhaftung zukunftssicher zu halten.

Dennoch: Während es mit dem Sparen klappt, sind die vielen anderen ehrgeizigen Versprechen einer neuen Politik ziemlich auf der Strecke geblieben. Abbau der Arbeitslosigkeit, Senkung der Lohnnebenkosten - um nur die wichtigsten Stichworte zu nennen.

Vielleicht waren unsere Versprechen insgesamt zu ehrgeizig. Vielleicht hätten wir sagen können, wir frieren nach Jahren permanenter Steigerungen erst mal die Lohnnebenkosten ein. Bei einer tendenziell sinkenden Bevölkerung ist es schon ein echter Erfolg, die Sozialbeiträge konstant zu halten. Beim Abbau der Arbeitslosigkeit haben wir zwar gleichfalls echte Erfolge vorzuweisen, aber die Menschen haben wohl verständlicherweise noch mehr von uns erwartet.

Mit anderen Worten: Rot-Grün hat zuviel versprochen.

Ich sage lieber: Wir waren zu ehrgeizig. Nehmen Sie das Thema Lohnnebenkosten. Die angestrebten 40 Prozent werden wir nicht ganz erreichen. Dennoch liegen wir am Ende immerhin ein gutes Stück unter den ererbten 42, 43 Prozent. Bei der Arbeitslosigkeit werden wir wahrscheinlich 400 000 unter dem übernommenen Stand liegen, aber wir haben natürlich noch 200 000 bis 300 000 mehr versprochen.

Wenn die Versprechen von 1998 zu ehrgeizig waren, was wären dann die Versprechen, mit denen Sie im Bereich der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik realistisch im Wahljahr 2002 operieren können?

Es ist zur Zeit noch schwieriger als sonst, zuverlässige Prognosen abzugeben.

Das weiß der Wähler. Aber Sie werden wohl kaum in die Wahl mit der Botschaft ziehen: Alles ist so furchtbar schwierig.

Ich kann den Wählern sagen, was notwendig ist. Erstens, wir haben von 1992 bis 1998/99 im Schnitt nur rund ein Prozent Wirtschaftswachstum gehabt. Wir liegen also schon seit 1992 hinter den anderen EU-Ländern. Da müssen wir deutlich drüberkommen, denn ein Prozent ist viel zu wenig, um die Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen. Wir müssen über eine längere Periode ein Wirtschaftswachstum von zweieinhalb bis drei Prozent erreichen. Und zwar mit weniger Steuern, weniger Subventionen und weniger Schulden. Zweitens, muss sich das Wachstum dann auch einfacher in den Aufbau von Arbeitsplätzen übertragen.

Und wie machen wir das?

Indem wir die langfristigen Wachstumsbedingungen in diesem Lande so gestalten, dass die Wirtschaft die richtigen Rahmendaten hat. Rahmendaten setzen heißt zum Beispiel, den gesamten Rechtsrahmen für die digitale Wirtschaft schaffen und zwar frühzeitig. Stichwort: E-Commerce-Richtlinie. Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Mittelstand und Handwerk den Anschluss an die Informationsgesellschaft finden. Zwar haben heute 70 Prozent des Mittelstands eine eigene Homepage, aber der Mittelstand nutzt das Internet noch nicht genügend. Nur acht Prozent geben an, dass sie das Netz aktiv benutzen, zum Beispiel für Einkauf oder Vertrieb. Wir müssen den Mittelstand und die technologische Entwicklung mehr zusammenbringen, damit er auf den Weltmärkten mithalten kann. Anderes Beispiel: Der Mittelstand muss sich mehr in den Welthandel integrieren, was erfordert, dass wir das ganze Instrumentarium der Außenwirtschaft für den Mittelstand nutzbar machen müssen. Stichwort Export: Wir haben maßgeblich für den Beginn einer neuen Welthandelsrunde gearbeitet. Zudem: Seit 1999 haben wir wieder große Märkte für den Export geöffnet - Russland, Iran, zuletzt Jugoslawien und die Ukraine. So müssen wir auf vielen Feldern die langfristigen Rahmendaten setzen, damit unsere Wirtschaft in der Lage bleibt, zu wachsen.

Wäre hierzu nicht auch ein neuer Politikansatz fällig, etwa dergestalt, dass der Wirtschaftsminister zukünftig auch für die Arbeitsmarktpolitik verantwortlich ist? Würde Sie das reizen?

Zwar ist jede interessante Aufgabe reizvoll, aber wir haben einen guten Arbeitsminister.

Dennoch: Was würden Sie denn dann machen?

Ich schlage vor, die pauschalen Arbeitsverhältnisse zunächst einmal vom Papierkrieg befreien und dann, zweitens, die Summe deutlich von 630 erhöhen bis auf etwa 1200 DM. Von 1200 bis 1800 DM sollten die Sozialabgaben von rund 20 Prozent schrittweise auf den vollen Satz steigen.

Was versprechen Sie sich davon?

Ich bin davon überzeugt, dass aus dem Bereich der grauen und schwarzen Tätigkeit sehr viel in legalisierte Arbeitsverhältnisse mit pauschaler Sozialabgabe transferiert würde. Das dürfte die Verluste bei den derzeit relativ wenigen regulären Arbeitsverträgen mit 1200 Mark, die 40 Prozent Sozialabgabe zahlen, wohl aufwiegen. Das könnte sogar ein Gewinn für die Sozialkassen sein; die Steuerpflicht kommt ohnedies erst bei 1800 Mark.

Und das bringt dann den großen Durchbruch auf dem Arbeitsmarkt?

Das nicht, aber es wäre ein wichtiger Beitrag. Entscheidend ist letztlich, dass die Wirtschaft längerfristig auf einen stabilen Wachstumspfad kommt. Und dies setzt Vertrauen der Investoren in jene, die politisch die Weichen im Lande stellen, voraus. Eine schwankende Wirtschafts- und Finanzpolitik - rein in die Verschuldung, raus aus der Verschuldung - wäre für den Standort tödlich.

Wäre eine Koalition der SPD - 1998 als Partei der neuen Mitte angetreten - in Berlin mit der PDS in diesem Sinne vertrauensbildend - für Investoren oder für die Bundestagswahl 2002?

Das sehe ich mit Skepsis. Aber: Es gilt ja, das Resultat der Wahl zu respektieren. Und wenn die FDP sich aus der Verantwortung schleicht, geht es wohl kaum anders. Es sei denn, die FDP würde einen rot-grünen Senat wenigstens tolerieren.

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