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Ein Insider packt aus: Daniel Domscheit-Berg hat erst für Wikileaks gesprochen und nun über die Enthüllungsplattform geschrieben.

© Reuters

Wikileaks-Aussteiger Domscheidt-Berg: "Geheimhaltung hat auch uns korrumpiert"

Wikileaks hat Geheimdokumente veröffentlicht und weltweit Furore gemacht. Der Insider Daniel Domscheidt-Berg spricht mit dem Tagesspiegel über den großen Bluff und verratene Ideale.

Daniel Domscheit-Berg, 32, hat die Enthüllungs-Webseite Wikileaks mit aufgebaut. Er war als offizieller Sprecher der Plattform das einzig bekannte Gesicht neben dem Gründer Julian Assange. Im Streit mit diesem verließ der Informatiker das Projekt. Nun erscheint sein Buch „Inside Wikileaks“ (Econ).

In den USA gibt es Politiker, die fordern für Leute wie Sie die Todesstrafe. Der Wikileaks-Gründer Julian Assange gilt dort als Staatsfeind Nummer eins, und Sie waren sein Kompagnon. Die US-Geheimdienste sind bekanntlich nicht zimperlich. Hat Ihnen das nie Angst gemacht?

Solche Drohungen stimmen mich schon nachdenklich. Aber ich habe nie befürchtet, ich könnte plötzlich verhaftet oder entführt werden.

Gegen Assange wird in Schweden wegen angeblicher Vergewaltigung ermittelt. Er selbst hält das Verfahren für ein Geheimdienst-Komplott, um ihn und damit Wikileaks auszuschalten. Kann das stimmen?

Am Anfang sicher nicht. Als das bekannt wurde, haben alle, die Assange gut kennen, sofort gedacht, dass da zwischenmenschlich was schief gelaufen ist. Die beiden Frauen haben ja auch gar keine Anzeige erstattet, sondern sich erst mal nur erkundigt, was sie machen sollen. Dass die Amerikaner das Verfahren nun nutzen, um Druck für eine Auslieferung in die USA zu machen, halte ich für möglich. Aber letztlich ist alles Spekulation, es gibt keine harten Fakten.

Haben Sie Bedenken, selbst in die USA zu reisen?

Ja. Ich hatte viele Einladungen, habe aber alle abgesagt, weil die US-Behörden gerade versuchen, eine Anklage gegen Julian zu konstruieren. Da will ich nicht riskieren, dass sie mich als Zeugen vorladen und irgendwie unter Druck setzen.

Sie kennen Assange wie kaum einer und waren richtig fasziniert von ihm. Was ist er für ein Typ?

Er ist extrem gut bei der Analyse von Systemen, egal ob technisch oder politisch, die Diskussionen mit ihm waren sehr intensiv. Er kann auch unglaublich konzentriert arbeiten. Ich sah ihn tagelang völlig bewegungslos am Laptop sitzen, ohne zu essen. Irgendwann hat er sich in voller Montur für zwei Stunden hingelegt, dann sprang er mit dem Aufwachen abrupt hoch und stolperte – wenn er bei mir wohnte – häufig über meine Hantelbank. Ich dachte lange, ich würde viel arbeiten. Hinter meinem Schreibtisch war ein Sitzsack, auf dem ich mich ausruhen konnte. Doch Julians Arbeitswut war so, dass ich mit meinen vier Stunden Schlaf ein schlechtes Gewissen hatte. Und dann hat er diese unbedingte Entschlossenheit, seiner Idee alles andere zu opfern. Dem habe ich mich angeschlossen, darum dachte ich, wir würden uns auf Augenhöhe begegnen.

Bis Sie gemerkt haben, dass das ein Irrtum war.

Ja. Erstmals im Januar 2010, als ich ihm bei einem Gespräch mit der isländischen Abgeordneten Birgitta Jonsdottir widersprochen habe. Da hat er mir erklärt, er sei Senior und ich Junior und hätte daher die Klappe zu halten. Später hat mir Birgitta erzählt, Julian habe mich als eine Art Hund bezeichnet, den man unter Kontrolle halten müsse.

Sie schildern Assange als schwer paranoid.

Zumindest inszeniert er sich so. Dafür macht er völlig sinnlose Dinge. Als er wochenlang bei mir wohnte, hat er darauf bestanden, dass wir die Wohnung nur getrennt betreten oder verlassen, um mögliche Überwacher zu täuschen. Und das, obwohl wir andauernd gemeinsam öffentlich aufgetreten sind. Oder einmal hat er sich eine Holz-Palette auf die Schulter gepackt, dazu trug er eine umgedrehte Basecap und eine DDR-Trainingsjacke, um sich als Bauarbeiter zu tarnen, wie er sagte. Dabei ist er gerade damit richtig aufgefallen. Jüngst soll er sich nach einem Bericht des „Guardian“ sogar als alte Frau verkleidet haben, und das mit einer Körpergröße von über 1,90 Meter.

Assange lebt wie ein Nomade ohne festen Wohnsitz und Habe, als sei er immer auf der Flucht. Haben Sie verstanden, warum?

Er fühlt sich so. Er meint, dass er ständig überwacht wird. Ich habe das nur nie so richtig ernst genommen. Seine persönliche Geschichte ist ja auch dramatisch. Sein Stiefvater gehörte zu einer obskuren Sekte und hat ihn und seine Mutter jahrelang verfolgt, weshalb sie Dutzende Male umziehen mussten. Da ist irgendwas in ihm schiefgegangen.

Sie erzählen eine Menge Schlechtes über Assange, den viele für einen Robin Hood des Internetzeitalters halten. In der Hacker-Szene machen Sie sich damit keine Freunde.

Wer sich schon länger mit Wikileaks beschäftigt, wird verstehen, warum ich mich davon distanziere und Assange auch kritisiere. Jeder hat mitbekommen, wie beleidigend er über mich und andere Aussteiger redet – bis hin zu dem Unsinn, wir würden vom FBI bezahlt. Verschwörungstheorien sind beliebt. Es gibt sicher einige Leute, die ihn für einen neuen Messias halten und ihm folgen. Diese Art Personenkult ist die Basis jeder Sekte, wo keiner mehr den Guru hinterfragen darf.

Sie klingen sehr rational. Doch Sie schreiben Sätze wie „manchmal hasse ich ihn“ und fantasieren dabei, Sie würden Assange eine reinhauen.

Ja, ich war extrem sauer. Mittlerweile habe ich viel mehr emotionale Distanz. Das Buch zu schreiben, immer wieder mit Lektoren und Anwälten darüber zu reden, war wie eine kleine Therapie. Ich fühle nun eher Mitleid mit Julian, er kommt ja von seinem Trip nicht mehr runter.

Für die „Washington Post“ ist Wikileaks eine „kriminelle Vereinigung“, in der „taz“ wurde das Projekt als „Immanuel Kant 2.0“ gefeiert, als neue Aufklärung. Haben Sie intern über die eigene Rolle diskutiert?

Das war kein großes Thema. Mir war allerdings klar, dass Wikileaks eine politische Aktion ist, die Beben verursachen kann. Julian hat später gesagt, wir seien eine Gruppe Aufständischer. So habe ich das nie gesehen, ich will nicht im Untergrund arbeiten.

Es ist schwer vorstellbar, dass Sie beide zusammenpassen. Sie schätzen den Anarchisten Proudhon und seinen berühmten Satz „Eigentum ist Diebstahl“, Assange sagte dem Magazin „Forbes“, er sei „ein Wirtschaftsliberaler“.

Ach du grüne Neune! Das hat er gesagt?

Ja. Was gibt es da zu lachen?

Jetzt mal ganz im Ernst, aber das kann ich mir bei Julian nicht vorstellen. Vielleicht ist er da falsch interpretiert worden.

Viele Veröffentlichungen von Wikileaks trafen besonders die USA. Kritiker vermuten dahinter plumpen „Amerikahass“.

Wir hatten schlicht ein Sprachproblem. Wer von uns hätte denn Dokumente aus China, Russland oder Saudi-Arabien lesen und seriös prüfen sollen? Für einzelne Seiten hätten wir das noch so hinbekommen, im großen Stil nicht.

Die Webseite wikileaks.org wurde 2006 angemeldet, ein Jahr später sind Sie dazugestoßen. Hatten Sie damals eine Vorstellung davon, welche Dimension das annehmen könnte?

Am Anfang war es höchstens eine Ahnung. Dass daraus etwas ganz Großes werden könnte, haben wir schon gemerkt, als wir im Januar 2008 Unterlagen der Schweizer Bank Julius Bär veröffentlichten, die beweisen, wie die Bank über ihre Niederlassung in Cayman Island Kunden beim Steuerbetrug geholfen hat. Als die Bank versuchte, die Veröffentlichung gerichtlich verbieten zu lassen, hat das weltweit Schlagzeilen gemacht. Aber natürlich wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass Wikileaks mal über Monate täglich ganze Zeitungsseiten und Sendestunden füllen würde. Das ist ja auch völlig verrückt, was da im Moment läuft, diesen Hype um Julian halte ich für total überzogen.

Wikileaks funktioniert ja wie eine elektronische Babyklappe: Wer geheime Dokumente veröffentlicht sehen will, kann sie dort abgeben und bleibt anonym. Mal ehrlich: Ist es wirklich so gelaufen?

Oft war es so. Aber manchmal haben uns Informanten auch direkt angesprochen und haben sich dadurch zu erkennen gegeben.

Weil Assange und Sie aus der Hacker-Szene kommen, vermuten viele, Sie hätten die Dokumente aus fremden Computern gestohlen.

Ich selbst bin nie in ein fremdes System eingebrochen, um dort Dokumente abzugreifen.

Könnten Sie es denn?

Ich kenne mich mit Netzwerksicherheit aus, darum wüsste ich vielleicht, wo man ansetzen kann. Doch ich bin kein versierter Hacker, ich programmiere nicht.

Anfangs hatten Sie noch einen festen Job bei einer IT-Firma. Wie sind Sie denn zu Wikileaks gestoßen?

Ich habe über den auf der Seite angebotenen Chat meine Mitarbeit angeboten und das ist dann immer mehr geworden.

Auf blindes Vertrauen hin?

Nein. Julian und ich haben schnell festgestellt, dass wir gemeinsame Bekannte haben, die gegenüber dem anderen jeweils dafür bürgen konnten, dass wir vertrauenswürdig sind. Wir sind beide schon seit den 90er Jahren im Internet unterwegs gewesen, damals war die Community noch klein.

Nach Lektüre Ihres Buches sind wir heilfroh, dass wir Ihnen nie Dokumente zugespielt haben. Bis Mitte 2009 sei Wikileaks eigentlich nur eine „Drei-Leute-Organisation“ mit „schrottreifer Infrastruktur“ gewesen und die Informanten seien technisch gar nicht wirklich geschützt worden, schreiben Sie. Haben Sie damit nicht die Existenz Ihrer Informanten gefährdet?

Ganz so schlimm war es nicht. Wir hatten hohe fachliche Expertise in Sachen technischer Sicherheit und waren da besser als alle Medien. Doch wir hatten anfangs nur einen Server, und das war riskant. Wäre das bekannt geworden, hätte man uns leicht zensieren können.

Sie sagen: „Wir haben die Öffentlichkeit belogen.“

Stimmt. Wir haben nur davon gesprochen, welchen Standard wir gerne erreichen wollen.

Damals haben Sie Journalisten stets gesagt, alle Dokumente würden von mehreren Hundert Helfern auf ihre Echtheit überprüft. So haben auch wir Sie in Artikeln zitiert. Das war wohl ebenso gelogen.

Wir hatten Hunderte von Fachleuten die helfen wollten. Nur hatten wir gar nicht die technische und organisatorische Struktur, das praktisch durchzuführen. Wir wollten uns eben professioneller darstellen, als wir waren. Das war für mich alles vertretbar, solange ich den Eindruck hatte, dass wir darauf hinarbeiten und solange wir überzeugt davon waren, dass wir keine Fehler machten. Doch für größere Mengen reichte das nicht mehr.

Es war pures Glück, dass Ihnen kein Geheimdienst gefälschte Dokumente unterschob und Sie auffliegen ließ?

Wir haben schon gründlich geprüft. Zum Beispiel haben wir nach Datenspuren gesucht, die bei Manipulation von Originaldokumenten zurückbleiben. Wir haben ja auch einige Fälschungen entdeckt. Und doch gehörte auch eine Portion Glück dazu.

Dann wurden Anfang 2010 Hunderttausende von geheimen Dateien der US-Regierung auf den Wikileaks-Rechnern deponiert. Was genau ist dann in der Gruppe um Sie und Assange geschehen?

Wann genau diese Dateien kamen, weiß ich gar nicht. Julian und ich hatten keinen Zugriff mehr auf die Server, wo die Dokumente eingingen.

Warum das?

Wir beide, die öffentlich exponiert waren, sollten schon rein technisch nicht mehr in der Lage sein, zurückzuverfolgen, wer die Quelle ist. Der Umgang mit den Originalen blieb denen vorbehalten, die niemand kannte. Das sollte jede Verfolgung unmöglich machen. Darum habe ich erst im März 2010 erfahren, dass es dieses Video gab...

... das zeigte, wie US-Soldaten vom Hubschrauber aus eine Gruppe Zivilisten erschießen, darunter zwei Reporter der Agentur Reuters.

Ja. Als wir das dann im April veröffentlicht haben, bekamen wir plötzlich so viele Spenden, dass wir für das ganze Jahr finanziert waren. Das war eigentlich die große Chance, Wikileaks endlich auf solide Beine zu stellen – technisch wie organisatorisch. Wir haben immer wieder darüber gesprochen, dass wir ein Treffen der Leute aus dem Kernteam bräuchten, um zu klären, wer für was verantwortlich ist und welche Prozesse wir organisieren müssen, um das beherrschbar zu machen.

Weil es keine Statuten gab, keine Regeln?

Genau. Das wäre ab Frühjahr 2010 eigentlich dringend nötig gewesen, weil es ja dann auch potenziell gefährlich wurde.

Für wen?

Für uns, plötzlich hatten wir Macht, wir konnten weltweit die öffentliche Stimmung beeinflussen. Mit dem Video hatten wir eine Schwelle überschritten, die es erforderlich machte zu klären, wie Wikileaks auf Dauer arbeiten soll und auch, wer uns kontrollieren soll. Julian hatte daran überhaupt kein Interesse.

Was geschah, als Anfang Mai 2010 der US-Soldat Bradley Manning im Irak verhaftet wurde und man ihm vorwarf, er habe das Material für das Video und noch viel mehr an Wikileaks übermittelt?

Wir wussten nicht, ob er die Quelle war, aber ausschließen konnten wir das nicht. Darum waren wir uns einig, dass wir den Rechtsbeistand und dessen Finanzierung für ihn organisieren wollten. Julian versprach, das zu übernehmen. Aber er hat wenig gemacht. Das ist für mich eines der größten Probleme. Ständig veranstaltet er dieses Riesengejammer, um nicht wegen vergleichsweise harmloser Vorwürfe nach Schweden ausgeliefert zu werden. Dabei macht er Fundraising-Dinners für seinen Verteidigungfonds – und die Medien spielen brav mit. Aber Manning drohen mehr als 50 Jahre Gefängnis, er ist der eigentliche Held. Doch über ihn wird kaum berichtet, das finde ich grundfalsch.

Für die Gruppe selbst war Mannings Verhaftung kein Problem?

Doch. Ich habe damals dafür plädiert, erst mal keine weiteren Dokumente aus der ihm zugeschriebenen Lieferung zu veröffentlichen und abzuwarten, was dies möglicherweise für die Anklage von Manning bedeutet hätte. Aber Julian wollte die Dokumente unbedingt schnell loswerden, weil er von Panik getrieben war.

Warum Panik?

Er hatte Angst, die Kontrolle zu verlieren. Ich habe nie verstanden, warum. Jedenfalls hat er dann sehr unprofessionell agiert. Entgegen allen Absprachen hat er sich damals mit den Leuten vom „Spiegel“, der „New York Times“ und des „Guardian“ getroffen und denen einfach erzählt, was wir alles hatten.

Wenn Sie schon die weitere Veröffentlichung der Kriegsberichte aus Afghanistan wegen Mannings Gefährdung für falsch hielten, warum blieben Sie weiter dabei?

Weil ich bis zum Schluss geglaubt habe, es sei besser, intern für eine Änderung der Strategie zu werben. Wir alle, die inzwischen das Projekt verlassen haben, hofften, dass wir Julian zur Vernunft bringen können. Wir hatten ja auch sehr viel investiert und wussten einfach nicht, ob wir eine Meuterei starten sollten.

Wie viele Mitglieder aus dem Kernteam dachten so?

Fast alle. Es war eben Julians Projekt, und wir konnten ja nicht den Urheber der Idee rausschmeißen. Technisch hätten wir das gekonnt, aber wir haben uns dagegen entschieden. Sie beschreiben Ihren Konflikt jetzt als Streit über die richtige Strategie. Ihr Buch dagegen liest sich über weite Strecken wie die Geschichte einer enttäuschten Liebe. Liebe war es nicht, aber ich habe unsere Beziehung wirklich als tiefe Freundschaft empfunden. Ich habe ihm vorbehaltlos vertraut. Als er dann anfing, mich zu bedrohen, er würde mich „jagen und töten“, wenn ich einen Fehler mache, war das wie ein Schlag in die Magengrube.

Ist Ihr Buch nun eine Art Rache?

Überhaupt nicht. Ich habe ja auch viele positive Dinge über ihn geschrieben. Ich wollte nur einen Bericht abliefern als einer, der wirklich dabei war, weil alle anderen Bücher eher theoretisch und aus zweiter Hand berichten.

Sie haben fast drei Jahre pausenlos mit Assange unentgeltlich für Wikileaks gearbeitet und dafür sogar Freunde und Ihre Arbeit bei einer IT-Firma aufgegeben. Wie wichtig sind Sie für Wikileaks gewesen?

Ich habe mich um sehr viel gekümmert, was sonst nie passiert wäre, weil Julian nicht organisieren kann.

Assange sagte letzte Woche im US-Sender CBS, Sie hätten „nur eine untergeordnete Rolle“ gehabt. Kränkt Sie das?

Nicht mehr. In Wahrheit liegt seine Organisation am Boden. Er hat uns als „die Idioten“ bezeichnet, jetzt sind die Idioten weg, und man sieht, dass nichts mehr geht. Neue Dokumente kann Wikileaks seit September nicht entgegen nehmen.

Und was wird nun aus Wikileaks, wenn die US-Dokumente verwertet sind?

Keine Ahnung. Ich sehe nur: Julian überwirft sich mit allen, sogar mit den angeblichen Freunden beim „Guardian“.

Wenn Sie an Ihre Arbeit bei Wikileaks denken, worauf sind Sie stolz?

Auf fast alles, doch ein paar weniger spektakuläre Veröffentlichungen mag ich besonders. Die Ermittlungsakte über Ratiopharm etwa. Da kann man wunderbar lesen, wie ein Pharmaunternehmen funktioniert. Was erwarten wir, wenn wir einem Arzt 1000 Euro rüberschieben? Dass er den Patienten ein Präparat von uns verschreibt. Dass seine Hausapotheke genug von unseren Medikamenten vorrätig hält. Warum verrechnet man Schulungen, wo es keine gegeben hat? Weil da nicht Bestechung stehen darf. Wer diese Akte liest, weiß: Patienten werden beschissen! Auch die Handbücher des US-Militärs fand ich hübsch, da lernt man Schritt für Schritt: Wie stürze ich eine Regierung? Solche Veröffentlichungen finde ich toll, sie haben nur nicht die große Furore gemacht.

Sie werfen Assange und seinen Mitstreitern vor, sie würden die eigenen Prinzipien verraten. Was genau meinen Sie?

Wir wollten Medien gegenüber strikt neutral bleiben und grundsätzlich das gesamte Material veröffentlichen – für jeden zugänglich. Das wurde Ende 2010 mit den diplomatischen Depeschen endgültig aus den Angeln gehoben. Dokumente werden nur noch scheibchenweise herausgegeben, es wird kommerziell Handel damit getrieben, es laufen schmutzige Deals im Hintergrund. Und wenn eine Zeitung kritisch über Julian schreibt, wird sie nicht mehr mit Material versorgt. „New York Times“, „Guardian“, Julian verbrennt derzeit ein Medium nach dem anderen. Ich wollte Wikileaks auch transparenter machen. Man muss nicht jeden Mitarbeiter offenlegen und nicht jedes technische Detail, aber was mit Spendengeldern läuft, sollte jeder wissen können. Sonst ist man nicht glaubwürdig.

Assange beschuldigt Sie, Daten bei Wikileaks gestohlen zu haben. Seit einigen Tagen will er die Rückgabe per Anwalt erzwingen.

Es geht um schätzungsweise 3500 Dokumente. Ich will dieses Material gar nicht haben, ich sah nur bei Wikileaks die Sicherheit der Informanten nicht garantiert. Julian hatte vergangenes Jahr drei Wochen Zeit, das mit uns Aussteigern zu klären, er zeigte nur Desinteresse.

Sie sind in der Testphase für Openleaks und wollen Ende des Jahres mit dem Projekt loslegen. Was soll da anders laufen?

Wir bieten nur noch die Infrastruktur, um die Quellen zu schützen, die Material einsenden wollen. Wir sind ein völlig neutraler Dienstleister. Wir prüfen oder veröffentlichen dieses Material nicht selbst. Es wird bei einem unserer Partner deponiert, das können Medien sein, NGOs, Gewerkschaften… Wir garantieren lediglich die Anonymität von Informanten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der Sachbearbeiter einer Gemeinde merkt, dass bei Bauvorhaben bestochen wird und hat Unterlagen dazu. Die kann er über Openleaks einer Zeitung zuspielen, die er selbst auswählt, und bestimmen: Wenn die nach vier Wochen aus dem Material keinen Artikel machen, wird es weitergegeben. Zudem muss die Zeitung alle Originaldokumente veröffentlichen, damit jeder Einsicht hat. Das schließt Willkür aus. Zudem werden wir unsere Finanzen kontrollieren lassen.

Sie haben Ihr Buch „den Geheimnisverrätern“ gewidmet. Verräter sind unbeliebt.

Es gibt bei uns kein gutes Wort für das englische „whistleblower“. Ich benutzte Geheimnisverräter so lange inflationär, bis es die negative Konnotation verliert.

Ihr Ziel, sagten Sie mal, sei die Welt besser zu machen. Leben wir durch Wikileaks heute in einer besseren Welt?

Ich glaube, ja. Unsere Informationsgesellschaft braucht einen anderen Umgang mit Wissen als im analogen Zeitalter, und dieses Thema ist heute in den Acht-Uhr-Nachrichten in den Wohnzimmern des Landes.

Und was haben Sie dabei gelernt?

Geheimhaltung korrumpiert auch Idealisten wie uns, die sie abschaffen wollen.

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