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Wikileaks-Enthüllungen: Dokumente des Zorns

Sie glaubten, ein mächtiges Werkzeug gefunden zu haben. Eines, das geheimste Informationen enthüllt. Doch der Erfolg hat die fünf Gründer entzweit. Heute verstößt Wikileaks gegen die eigenen Prinzipien von Transparenz und Öffentlichkeit.

Eine solche Geschichte hätte kein Drehbuchautor besser erfinden können. Acht Jahre ist es her, da hatte der australische Hacker Julian Assange die Gelegenheit zu einem privaten Gespräch mit einem Geheimdienstoffizier seines Landes. Dabei klagte der Agent über das große Maß an Desinformation, mit dem die Medien der Welt über das Geschehen während des Irakkrieges in die Irre geleitet würden. Und leider habe er selbst keine Möglichkeit, Informationen über das wahre Geschehen zu veröffentlichen.

Dieses Gespräch sei es gewesen, so jedenfalls erzählte es Assange später, das den heute weltberühmten Netzaktivisten auf die Idee für das Projekt seines Lebens gebracht habe. Es gelte, einen Platz im Internet zu schaffen, der es ermöglicht, geheime Informationen zu veröffentlichen, ohne den Übermittler der Dokumente zu kompromittieren. Kein Hinweisgeber, kein „whistleblower“, wie sie in Amerika heißen, sollte künftig noch um seinen Job, seine Freiheit oder sein Leben fürchten müssen, wenn er geheime Dokumente preisgibt.

Das war der Plan. Und Assange verfolgte ihn in den folgenden Jahren mit Vertrauten aus der weltweiten Hackergemeinde mit eiserner Energie. Heraus kam ein Medienprojekt, das nun wie kaum ein anderes zuvor die Welt bewegt. Wikileaks, ins Leben gerufen von nur fünf Aktivisten aus Europa, Amerika und Australien, ist zur weltweit wichtigsten Plattform für die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten geworden. Mehr noch: Indem Assange und seine Mitstreiter Hunderttausende von Einträgen aus den Kriegstagebüchern der US-Armee sowie aus der internen Kommunikation des amerikanischen Außenministeriums veröffentlichten, haben die Aktivisten die Weltmacht USA in einem Maß herausgefordert, wie es noch nie einer privaten Initiative gelungen ist. Doch genau dieses kühne Unterfangen hat das Projekt nun in eine tiefe Krise gestürzt.

Denn mit der Auswahl und den Umständen der massenhaften Veröffentlichung der amerikanischen Geheimdokumente verstoßen Assange und seine Unterstützer zusehends genau gegen die hehren Prinzipien von Öffentlichkeit und Transparenz, für die sie eigentlich angetreten waren. Die Mehrzahl der Gründer wandte sich deshalb ab, und offen ist, ob das Projekt in seiner ursprünglichen Form überhaupt weiter bestehen wird.

Welche Dimensionen das Vorhaben einmal annehmen würde, davon hatten die Macher zu Beginn selbst keine Ahnung. Im Dezember 2006 publizierte die neue Website den Brief eines somalischen Rebellenführers, der zur Anheuerung von Auftragskillern für die Tötung von Mitgliedern der provisorischen Regierung in Mogadischu aufrief. Der Aufruf, den Hacker abgefangen und übermittelt hatten, fand zunächst wenig Widerhall. Umso mehr Aufmerksamkeit gewann das Projekt selbst.

Der Durchbruch erfolgte ein halbes Jahr später. Wikileaks veröffentlichte den internen Bericht einer kenianischen Ermittlungskommission über die Unterschlagung von vielen Millionen Dollar durch den früheren Präsidenten Daniel Arap Moi. Die Nachfolgeregierung selbst hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben, wollte sie aber dann doch nicht veröffentlichen. Das machte Schlagzeilen. Fortan war Wikileaks die erste Adresse für Skandaldokumente aller Art.

Mal veröffentlichte Wikileaks die geheimen Richtlinien für das Gefangenenlager in Guantánamo und offenbarte, dass die US-Regierung bewusst Gefangene vor dem Roten Kreuz verstecken ließ. Mal erfuhr die Welt über Wikileaks von einem internen Gutachten der britischen Ölfirma Trafigura, wonach diese mit der illegalen Deponierung toxischer Schlämme zigtausende Bewohner der Elfenbeinküste vergiftet hatte. Dann wieder erschienen auf der Webseite Papiere, die belegten, wie die Chefs der isländischen Banken sich selbst und ihre Freunde mit Milliardenkrediten begünstigten und so das ganze Land in den wirtschaftlichen Abgrund trieben.

All das wurde ruchbar, weil das Netzwerk die Übermittler all der vielen Dokumente tatsächlich vor der Enttarnung zu schützen vermochte. Auf höchstem technischem Niveau arbeitete es mit militärischen Verschlüsselungstechniken. Gleichzeitig streute es seine Rechner über viele verschiedene Länder, so dass alle Versuche, die Veröffentlichungen verbieten zu lassen, an juristischen und technischen Hürden scheiterten.

Doch je erfolgreicher die Wikileaker agierten, umso größer wurden die inneren Widersprüche. Das Team um Assange und den deutschen Informatiker Daniel Domscheit-Berg operierte stets nur konspirativ. Es gab keine formalen Entscheidungsprozesse, und die Organisation entzog sich genau der Überprüfung und Transparenz, die sie von Staaten und Konzernen rigoros einforderte. Zugleich überstieg die Zahl der eingesandten Dokumente zusehends die Kapazitäten der Macher und ihrer Unterstützer. Diese hatten sich eigentlich ganz dem Prinzip der Neutralität verschrieben. Nicht Wikileaks, sondern nur die Hinweisgeber selbst sollten entscheiden, was veröffentlicht wird. Geprüft werden sollte nur die Echtheit der Dokumente, eine Zensur sollte es nicht geben.

Aber das war mit der zunehmenden Fülle der Dokumente spätestens seit Januar dieses Jahres nicht mehr durchzuhalten. Das Wikileaks-Team musste Prioritäten setzen. Nur war völlig unklar, wer das nach welchen Kriterien entscheiden sollte. Ein Teil der Gruppe, unter ihnen Domscheit-Berg, plädierte dafür, die Organisation zunächst weiterzuentwickeln und große Veröffentlichungen zu verschieben. Sie wollten das Netzwerk der Unterstützer ausbauen und formale Strukturen schaffen, um dauerhaft zuverlässig und für die potenziellen Hinweisgeber auch vertrauenswürdig zu bleiben.

Doch Assange war elektrisiert durch die große Zahl von US-Geheimdokumenten über die Kriege im Irak und in Afghanistan, die dem Netzwerk Anfang des Jahres zugingen. Er setzte durch, dass die ganze Kraft des Projekts in den großen Anschlag auf das Geheimwissen der US-Militärs – und Diplomaten floss. So blieben hunderte anderer wichtiger Dokumente unbearbeitet, und intern wuchs der Unmut. Dabei gab der Erfolg Assange zunächst recht.

Als er und seine Helfer ein Video über den Angriff eines US-Helikopters auf Zivilisten in Bagdad im April unter dem Titel „Collateral Murder“ ins Netz stellten, wurde Wikileaks zur Weltmarke. Aber schon mit der im Juli folgenden Veröffentlichung der mehr als 90 000 geheimen Tagesberichte der US-Armee aus Afghanistan gab die Initiative ihre bis dahin eisern verkündete Neutralität auf. Denn anders als zuvor gewährte die Gruppe ausgewählten Medien wie „New York Times“, „Guardian“ und „Spiegel“ bereits Wochen zuvor exklusiven Zugang zu dem Material und überließ damit die Steuerung der Berichterstattung anderen. Als Assange das gleiche Verfahren bald darauf auch für die Publikation der Kriegstagebücher aus dem Irak anstrebte, eskalierte der interne Konflikt.

Umstritten war etwa, wie mit Dokumenten umzugehen wäre, in denen die Namen von Zuträgern der US-Armee genannt werden. Die Regierung in Washington hatte beklagt, dass solche schon mit den Afghanistan-Berichten in Lebensgefahr gebracht wurden. Assanges Kritiker forderten deshalb mehr Sorgfalt und Zeit. Aber das vertrug sich offenbar nicht mit dem Selbstverständnis des Wikileaks- Gründers.

Assange sieht sich nach Auskunft seiner früheren Mitstreiter vor allem als einsam kämpfender David gegen den übermächtigen Goliath USA. Dabei entwickelte der hoch gewachsene und durchaus charismatische 39-Jährige jedoch zusehends autoritäre Züge. Als Then Sonrasson, einer seiner eifrigsten isländischen Unterstützer, Assanges Führungsstil kritisierte, schrieb dieser ihm: „Ich bin Herz und Seele dieser Organisation, ihr Gründer, Philosoph. Sprecher, Finanzier und alles andere. Wenn du ein Problem mit mir hast, dann verpiss dich.“ Ähnlich ging er auch mit seinem deutschen Partner Domscheit-Berg um, den er kurzerhand „suspendierte“, als dieser Auskunft über die Absprachen Assanges mit einigen Medien zum Umgang mit den Irak-Dokumenten forderte. Als der australische Macho zudem in Schweden unter Verdacht geriet, zwei Frauen sexuell genötigt und sogar vergewaltigt zu haben, eskalierte die Situation. Assange widersetzte sich mehrfach der von vielen Unterstützern erhobenen Forderung, seine Rolle als Sprecher von Wikileaks bis zur Klärung der Vorwürfe liegen zu lassen. Daraufhin erklärten Domscheit-Berg und fast alle weiteren Mitglieder des Gründer-Teams ihren Rückzug. Mit ihnen brach die gesamte früherer Infrastruktur der Organisation weg.

Seit Ende September ist Wikileaks darum nur noch das Instrument von Assange auf seinem einsamen Kreuzzug gegen Amerika. Mangels sicherer Verschlüsselung ist die Übersendung neuer Geheimdokumente schon seit September nicht mehr möglich. Und entgegen allen einstigen Sicherheitsregeln betreibt Assange die Webseite inzwischen über gemietete, unverschlüsselte Server des kommerziellen Anbieters Amazon. Aus Sicht seines früheren Mitstreiters Domscheit-Berg tritt er damit die einst von ihm selbst formulierten Grundsätze des Projekts mit Füßen. So sei jetzt etwa für jeden Geheimdienst einsehbar, wer die Seiten aufruft.

Die derzeit laufende Veröffentlichung der Dokumente des US-Außenministeriums gefährde zudem den möglichen Informanten. Dieser soll, so heißt es beim Pentagon, der 23-jährige US-Soldat Bradley Manning gewesen sein, der bis Anfang des Jahres im Irak stationiert war. Manning hatte sich im Frühjahr nach Angaben eines umstrittenen US-Bloggers angeblich in einem Chat-Gespräch mit der Übermittlung des Bagdad-Videos gebrüstet. Weil der Chat-Partner die US-Behörden informierte, wurde Manning verhaftet und wartet derzeit auf seinen Prozess. Die Anklage, so berichtet Domscheit- Berg, wirft ihm vor, sich lediglich unerlaubt Zugang zu den Diplomaten-Berichten verschafft zu haben. Assange hatte immer bestritten, dass Manning der Lieferant gewesen sei. Die jetzt veröffentlichten Dokumente enden aber exakt mit dem 28. Februar dieses Jahres, genau dem Zeitpunkt, bis zu dem Manning angeblich Zugang hatte. So mehre Assange nur seinen Ruhm, während er „Manning ans Messer“ liefere, genau das, was Wikileaks ausdrücklich verhindern sollte.

Ob und wie Wikileaks künftig arbeiten wird, ist nun völlig unklar. Assange wird von der schwedischen Staatsanwaltschaft per internationalem Haftbefehl gesucht. Nun kündigte die australische Regierung auch eine Anklage wegen Geheimnisverrats an, das Gleiche droht Assange aus den USA, so dass er nur noch konspirativ aus dem Untergrund arbeiten könnte. Domscheit-Berg und viele weitere frühere Unterstützer planen daher eine Neugründung des Projekts, dieses Mal allerdings mit klaren Strukturen und dezentralem Aufbau. Nicht mehr nur eine Gruppe soll den Datenfluss steuern. „Diese Macht“ dürfe es künftig nicht mehr geben, meint Domscheit-Berg. Stattdessen sollen künftig möglichst viele Initiativen und Medien eingebunden werden, und zudem sollen die Informanten entscheiden, wo und wie veröffentlicht wird. Das Geld für den Aufbau der neuen Organisation steht potenziell bereit. Mehr als 800 000 Euro an Spenden sind in diesem Jahr bei der deutschen Wau-Holland-Stiftung für Wikileaks eingegangen. Aber Assange kann keine zuverlässige Abrechnung anbieten. Gut möglich daher, dass Wikileaks bald einen Neustart erfährt.

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