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Wikileaks: Irak-Krieg: 400 000 Feldberichte im Netz

Wikileaks veröffentlicht vertrauliche Dokumente. Sie zeigen auch, US-Soldaten griffen bei Folter nicht ein.

Drei Monate nach der Veröffentlichung von 77 000 vertraulichen Militärdokumenten zum Afghanistankrieg hat die Organisation Wikileaks eine noch größere Sammlung von Feldberichten der US- Streitkräfte aus dem Irak veröffentlicht: 391 832 Dokumente aus der Zeit zwischen Januar 2004 und Dezember 2009. Ihre Inhalte wurden parallel von der „New York Times“, dem „Spiegel“, dem britischen „Guardian“ und der französischen „Le Monde“ publik gemacht.

Iraks Sicherheitskräfte gingen demnach mit großer Brutalität gegen Zivilisten vor, bis hin zur Folter. Oft griff die US-Armee, obwohl sie davon wusste, nicht ein. Die Zahl der zivilen Toten liegt höher, als die Regierung unter George W. Bush angegeben hatte. An Straßensperren gab es mehr Tote als bisher bekannt. Der Iran hat schiitische Aufständische und Milizen in größerem Maß mit Waffen unterstützt, als man bisher wusste.

Die „New York Times“ schreibt: „Wie schon im Fall der Unterlagen aus sechs Jahren Afghanistankrieg enthalten die Irak-Dokumente keine weltbewegenden Enthüllungen. Aber sie liefern Einblick und Kontext aus Sicht der Menschen, die diesen Krieg gekämpft haben.“ Ähnlich urteilt der „Spiegel“: „Die kurzen, nüchternen Protokolle bieten eine ungewohnte Perspektive … Sie zeigen den Alltag des Konflikts, wie US-Soldaten ihn erlebt haben.“ Substanzielle Informationen über aufsehenerregende Ereignisse wie den Folterskandal von Abu Ghraib dürfe man nicht erwarten. Es seien keine Dokumente mit der höchsten Vertraulichkeitsstufe „Streng geheim“ darunter. Die Papiere „haben Schwächen – sie sind einseitig, subjektiv und kaum verifizierbar“.

Wikileaks machte keine Angaben, woher die Unterlagen stammen. Der „Guardian“ schreibt, sie kämen aus derselben Quelle wie die Afghanistan-Papiere. Wegen des Verdachts der Weitergabe jener Dateien sitzt der US-Soldat Bradley Manning seit Monaten in Untersuchungshaft. Er hatte in seiner Dienstzeit im Irak Zugang zu den Datenbanken des Militärs.

Das US-Verteidigungsministerium protestierte gegen die Veröffentlichung. Sie bringe US-Soldaten und ihre Informanten in Gefahr. Die „New York Times“ und der „Spiegel“ betonten, sie hätten die Namen unkenntlich gemacht. Sie hatten die Dokumente im Juni zur Auswertung erhalten, unter der Bedingung, dass sie sie erst jetzt veröffentlichen.

Die Regierung des Iraks sprach von einer „PR-Kampagne politischer Gegner“. Es gebe „keinen Beweis, dass irakische Regierungskräfte sich unpatriotisch verhalten hätten“. Nach den Berichten sind die meisten Toten nicht Opfer der US-Armee, sondern von Gewalt unter Irakern. Demnach starben in der Zeit 109 032 Menschen, davon 66 081 Zivilisten. Das sind 15 000 mehr, als das Projekt „Iraq Bodycount“ bisher zählte – aber deutlich weniger als die Schätzungen von Kriegsgegnern, die bis zu 600 000 reichen.

In den ersten Stunden nach Publikation der umfangreichen Papiere konzentrierte sich die öffentliche Debatte in den USA und Deutschland auf die brutalen Misshandlungen von Irakern durch irakische Sicherheitskräfte sowie die Frage, was das US-Militär wusste und unternahm. Nach Bombenanschlägen seien Geständnisse mit Folter erzwungen worden. Gliedmaßen wurden abgehackt und Körperteile mit Säure übergossen. Oft haben die Iraker die Opfer bei Kontrollbesuchen von US-Soldaten versteckt; „manchmal haben die Amerikaner weggesehen“, schreibt die „New York Times“.

Amnesty International verlangt eine Untersuchung. Menschenrechtsanwälte kündigten mögliche Klagen gegen das US-Militär an. Die meisten beschriebenen Fälle stammen aus den Jahren 2006 bis 2009, als die Souveränität längst an eine gewählte irakische Regierung übergeben worden war und US-Soldaten für Einsätze, die nicht der Selbstverteidigung dienten, deren Genehmigung benötigten.

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