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n Tagungsort der CSU seit 1975: Wildbad Kreuth in den Bergen am Tegernsee

© Frank Leonhardt/dpa

Wildbad Kreuth: Nachruf auf einen Mythos

Wenn die CSU künftig nicht mehr in dem legendären Wildbad Kreuth tagt, stirbt ein Mythos. Auch wenn Horst Seehofer etwas anderes behauptet. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Birnbaum

Der Horst hat natürlich immer Recht, bloß diesmal wirklich nicht. Die CSU kann sich das Wildbad Kreuth nicht mehr leisten, und  Horst Seehofer tut so, als wär’ nichts. „Der Mythos ist die Klausurtagung“, hat er gesagt. „Das ist meine geringste Sorge, Mythen herzustellen.“ Warum fällt einem bloß bei solchen Sätzen sofort der Tsipras ein, wie er nach durchgeboxter Nacht in Brüssel von gewonnenen Schlachten redet? Der Mythos ist nicht die Klausurtagung. Der Mythos ist genau dieses Gebäude in genau diesem Tegernseer Tal in genau dem hohen Schnee, der jedes Jahr im Januar dort fällt, wenn erst die Landesgruppe der CSU-Bundestagsabgeordneten in Klausur geht und eine Woche drauf die Landtagsfraktion.

Lange Geschichte, kurz erzählt

Noch einmal  im nächsten Jahr, dann ist Schluss. Die traurige Geschichte ist schnell erzählt. Das historische Kurbad hat schon Kaiser Franz Josef I. von Österreich-Ungarn gesehen, mehrere Zaren sowie verschiedene Prinzessinnen, die von stämmigen Einheimischen huckepack über rauschende Wildbächlein getragen wurden beim Ausflug ins Gebirg’. Das alte Wildbad also gehört den Wittelsbachern. Die haben das Ensemble aus Bettenhaus und Molkehalle 1975 der Hanns-Seidel-Stiftung vermietet zu einem sehr freundlichen Preis von zuletzt 84.000 Euro. Dass die Herzogin Helene jetzt angeblich das Sechsfache sehen wollte, ist ihr kaum zu verdenken – der Adel hat’s auch nicht mehr so dicke dieser Tage. Doch die CSU-Stiftung ebenfalls nicht. Also war’s das.

Aber der dumpfige Kellerraum lässt sich nicht verpflanzen, in dem Franz Josef Strauß 1976 den Putsch gegen Helmut Kohl ausrief. Der „Kreuther Trennungsbeschluss“  hat den Mythos begründet; was nur zeigt, wie gut die CSU schon damals im Schönreden war. In Wahrheit endete die Aufwallung bajuwarischer Eigenständigkeit in der totalen Niederlage. Kohl ließ ausrichten, wenn die CSU sich  bundesweit ausdehnen wolle, bitte, dann marschiere eben  die CDU in Bayern ein.
Die Niederlage haben sie geflissentlich vergessen, den Traum von der Eigenständigkeit nicht. Jedes Jahr wird er beschworen. Jedes Jahr verfassen sie wilde Papiere und erklären der Welt, dass in Kreuth  ihre Agenda fürs nächste Jahr gesetzt werde. Die Welt hat keine Lust zu widersprechen, weil sie Anfang Januar noch im Winterurlaub ist. Außerdem gibt es ja  diese wunderbaren Bilder  für die Fernsehkameras – gleißendes Scheinwerferlicht auf glitzerndem Schnee, wenn nächtens der  aktuelle Strauß-Erbe ins „Tagesthemen“-Mikrofon knarzt. Die Kulisse stimmt, darum funktioniert die Täuschung bestens.

Peinlicher Besuch

Nur einmal wäre sie fast aufgeflogen. Das war 1996 in der Zeit der Doppelspitze Theo Waigel (Parteichef und Bundesfinanzminister) und Edmund Stoiber (Ministerpräsident).  Jedes Jahr kommt ein Ehrengast nach Kreuth. Diesmal hieß er Kohl. Der Kohl, genau der. Stoiber schmeichelte dem  Kanzler der Einheit als „bestes Pferd im Stall“ der Union. Nie war ein Besuch peinlicher. Stoiber hat später am gleichen Ort dafür bitterlich gebüßt. In Kreuth hat der listige Landesgruppenchef Michael Glos den Zaudernden  in eine Ecke manövriert, dass ihm gar nichts anderes mehr übrig blieb als gegen Angela Merkel Kanzlerkandidat zu werden. In

Kreuth nahm Stoiber sein Ende, als die eigene Landtagsfraktion ihm das Vertrauen entzog. Sie tat es übrigens quasi öffentlich, weil es zu heiß war im Saal und sie die Fenster öffneten, und weil  die Polizei zwar alles abgesperrt hatte, nur den Weg hintenrum vergessen; und so hockte ein Teil der Weltpresse mit gezücktem Block unter den Fenstern und schrieb mit. So bleibt  ein Mythos lebendig, Herr Vorsitzender! Oder die „Zonenwachtel“. Das Wort, auf Merkel gemünzt, ist wirklich gefallen in Kreuth, allerdings nicht im CSU-Keller, sondern in dem kleinen Wirtshaus daneben, und auch nicht aus dem Mund eines Christsozialen, sondern dem eines Touristen, der da Rast machte nach der Schneewanderung.

Und keiner geht hin....

Und das soll jetzt woanders einfach neu entstehen? Nebbich!  Unter den Berliner Journalisten gibt es seit Jahren ein Spiel. Immer im Herbst sagt einer zum anderen: Aber dieses Jahr fahren wir nicht mehr nach Kreuth! Ist doch eh nichts los da! Dann buchen sie  im Hotel „Zur Post“. Nur zur Sicherheit, versteht sich. Und dann warten sie wieder im Schnee mit gespitzten Bleistiften, weil Kugelschreiber in der Kälte streiken, warten also, dass der gerade aktuelle Vorsitzende vorfährt und gemessenen Schrittes die Auffahrt hinaufwandelt bis vor die Kameras. Aber nach Andechs oder wohin auch immer, da fahren wir nicht! Ist nichts mehr los da.

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