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Politik: Willkommen im Club, freut man sich in Frankreich (Gastkommentar)

Wir Franzosen hatten unseren Elf-Skandal: Dem früheren Außenminister Roland Dumas wurde seine Mätresse in Verbindung mit einer Schmiergeldaffäre zum Verhängnis. Wir hatten den Fall Strauss-Kahn: Der Wirtschaftsminister sah sich zum Rücktritt gezwungen, weil er sich für fiktive Tätigkeiten hatte bezahlen lassen.

Wir Franzosen hatten unseren Elf-Skandal: Dem früheren Außenminister Roland Dumas wurde seine Mätresse in Verbindung mit einer Schmiergeldaffäre zum Verhängnis. Wir hatten den Fall Strauss-Kahn: Der Wirtschaftsminister sah sich zum Rücktritt gezwungen, weil er sich für fiktive Tätigkeiten hatte bezahlen lassen. Und wir hatten die Affäre Tiberi: Die Frau des Pariser Bürgermeisters fertigte gegen eine hübsche Summe ein unsinniges Gutachten an. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Bis vor ein paar Tagen blickte das skandalträchtige Frankreich mit Bewunderung auf Deutschland, den Hort der Tugend. Ach, die Deutschen! Da musste ein Minister zurücktreten, weil er auf offiziellen Briefbogen Reklame für eine pfiffige Erfindung seines Schwagers gemacht hatte: ein Ersatz für die im Supermarkt stets fehlende Münze für den Einkaufswagen. Wir lächelten nachsichtig - Rücktritt wegen einer solchen Kleinigkeit! Oder dass die Bundestagspräsidentin so großen Ärger hatte, nur weil sie ihrem Ehemann erlaubte, ihren Dienstwagen zu benutzen - da schüttelten wir die Köpfe. Wo ist das Problem?

Während unsere Minister sich mit der Justiz stritten, vernahmen wir erstaunt das Hohelied auf die Redlichkeit der politischen Klasse in Deutschland. Helmut Kohl übte 16 Jahre lang die Macht aus, ohne dass er sich die Hände schmutzig gemacht hätte, ohne in größere Skandale verwickelt zu werden. Das grenzte an ein Wunder. Wie machen die das auf der anderen Rheinseite, fragten wir uns. Und um uns noch größere Gewissensqualen zu machen, berichtete man uns, Kohl zahle seinen Kaffee in der Bundestags-Kantine aus eigener Tasche, ganz demokratisch. Und als er an das Krankenbett seines schwer verunglückten Sohnes reiste, erstattete er der Bundeswehr die Flugkosten. Das machte uns Franzosen neidisch, denn wir waren nicht sehr stolz auf unsere eigene Demokratie.

Und dann fällt im Lauf einer knappen Woche diese Illusion in sich zusammen. Kohl, der große Architekt Europas und Vater der deutschen Einheit, das Denkmal der Ehrbarkeit, kompromittiert durch eine Affäre um schwarze Kassen! Glogowski hat von Unternehmen beträchtliche Geschenke und Vergünstigungen angenommen. Klimmt wird verdächtigt, wertvolle Bücher als Geschenk angenommen zu haben. Schleusser soll sich die Flüge zu seinem Yacht-Urlaub in Kroatien bezahlt haben lassen.

Frankreich lacht sich ins Fäustchen. Und gönnt sich Anfälle von "Schadenfreude" - dieses Gefühl einer gewissen Perversität, für das im Französischen ein entsprechendes Wort fehlt. Willkommen im Club! Die sauberen Deutschen stecken im gleichen Sumpf wie wir. Wir fühlen uns nicht mehr alleine. Und sind wir nicht immer noch die Besseren in diesem grotesken Wettbewerb? Sind unsere Affären nicht viel pikanter als die vulgären Geschichten um gesponsortes Bier und Gratiskaffee bei einer Minister-Hochzeit? Sind unsere Skandale nicht extravaganter als die Geschichten um geheime Konten, mit denen der Kanzler Orts- und Bezirksvereinen seiner CDU auf die Sprünge half?

Bei uns schreibt die Mätresse des ehemaligen Außenministers Dumas einen Bestseller mit dem Titel "Die Hure der Republik". Kann man es treffender ausdrücken?

Die Autorin schreibt für das französische Magazin "Le Point" und hat gerade ein Buch über Deutschland veröffentlicht: "Deutsches Glück". Aus dem Französischen von Christoph von Marschall. Foto: privat

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