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Politik: „Wir brauchen keinen Linksruck“

Grünen-Chefin Roth über Hartz IV als Killerbegriff, Lafontaines Stimmungsmache – und Dörfer ohne Sozis

An diesem Wochenende wollen die Grünen auf einem Parteitag in Berlin ihr Wahlprogramm beschließen. Wie viel Linksruck darf es denn sein?

Wir brauchen keinen Linksruck, wir sind doch schon modern und links. Wir haben aber auch nie vergessen, werteorientiert zu sein.

Ist das nicht ein Eiertanz? Modern links soll es sein, einen Linksruck wollen Sie nicht. Andere in Ihrer Partei planen schon, etwa in Stuttgart, Bündnisse mit der Union.

Die Politik einer Partei definiert sich doch nicht nur über ein Adjektiv. Wichtig ist, wie wir uns den großen Herausforderungen stellen. Wir drücken uns nicht vor Fragen weg und haben neue Themen in die Politik gebracht, etwa die Ökologie. Was die SPD angeht: Wir sind nicht deren Juniorpartner, auch nicht deren Ableger, was viele dort lange geglaubt haben.

Stört Sie die Linkspartei, wenn Sie den Wahlkampf als Richtungsentscheidung inszenieren?

Es reicht nicht aus, Gerechtigkeit auf Verteilung zu reduzieren. Vor allem stört mich, wie Oskar Lafontaine sich als links geriert und gleichzeitig ganz rechts außen Stimmungen schürt. Die PDS hat immer behauptet, Antifaschismus gehöre zu ihrer Identität. Seit dem Bündnis mit Lafontaine sind sie damit unglaubwürdig geworden.

Wie wollen Sie denn Wähler erreichen, die früher mal NPD oder DVU gewählt haben?

Gefestigte NPD-Wähler sind für uns nicht zu gewinnen. Wir müssen Nichtwähler überzeugen. Und die demokratische Zivilgesellschaft stärken.

Die Frage, wie man Wähler rechtsextremer Parteien ins demokratische Spektrum zurückholt, stellt sich auch an die Grünen.

Ja. Aber nicht, indem ich die Angst vor „Fremdarbeitern“ schüre. Ich bin noch nie, wenn es um Demokratiepolitik ging, Freundin von Herrn Lafontaine gewesen. Er hatte schon immer massive Schattenseiten. Lafontaine hat zum Beispiel in den 90er Jahren massive Stimmungsmache gegen Aussiedler betrieben.

Die Menschen haben Angst vor Sozialabbau. Können die Grünen da überhaupt noch glaubwürdig sein?

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war richtig. Und doch muss in manchen Punkten deutlich nachgebessert werden. Wir verfolgen Schritt für Schritt das Ziel, eine armutsfeste soziale Grundsicherung zu schaffen.

Die Grünen werden haftbar gemacht, weil diese Reformpolitik nicht als sozial verantwortbar empfunden wird.

Die bisherige, entwürdigende Sozialhilfe ist Vergangenheit. Sozialhilfeempfänger haben jetzt Anspruch auf Vermittlung in Arbeit und Ausbildung. Jetzt weiß ich auch, dass die Balance von Fordern und Fördern noch nicht ausgeglichen ist. Wir müssen prüfen, ob die Regelsätze hoch genug sind. Und der Unterschied zwischen Ost und West muss weg.

Warum ist Hartz IV so schlecht angekommen?

Mit so kalten Begriffen wie Hartz IV oder Ein-Euro-Job – das sind ja Killerbegriffe geworden – lässt sich kein Vertrauen herstellen. Ich sage nicht, nur der Titel war falsch. Aber man hat die Menschen viel zu wenig mitgenommen. Nicht erklärt, warum Veränderungen nötig sind, um den Sozialstaat zu erhalten. Es gab in dieser Regierung deutliche Promotion-Probleme.

Bernd Heusinger von Ihrer Werbeagentur „Zum Goldenen Hirschen“ rät, die Grünen müssten die Reduzierung auf die Botschaft vermeiden, dass die Wende auf dem Arbeitsmarkt vor allem mit Jobs in der ökologischen Wirtschaft zu schaffen ist. Diese Botschaft komme in weiten Teilen der Bevölkerung nicht so an.

Er sagt ja nur, dass wir es nicht darauf reduzieren sollen. Eines hat sich doch durchgesetzt: Dass man mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben kann. Bei mir daheim im Allgäu gibt es Dörfer, so rabenschwarz, da gibt es nicht mal einen Sozi. Trotzdem sind auf den Häusern die Solaranlagen, die Photovoltaik boomt, die Biomasse. Wir haben 1,5 Millionen Menschen, die im Umweltbereich arbeiten. Umweltpolitik ist kein grüner Luxus, keine grüne fixe Idee.

Wieso steht in Ihrem Wahlprogramm zwar, dass bei der Ökosteuer Ausnahmen für die Industrie verringert werden sollen, aber nichts von weiteren Erhöhungen der Mineralölsteuer?

Unsere Ökobilanz ist blitzsauber. Angesichts des gigantisch hohen Ölpreises und des Tanktourismus wäre es falsch, die Ökosteuer zu erhöhen. Aber deshalb sind wir doch nicht müde oder bescheiden geworden. Erneuerbare Energie, Energieeinsparung, Energieeffizienz – wir haben noch viel vor.

Der Landesverband Schleswig-Holstein will eine sozial gestaffelte Erhöhung der Mehrwertsteuer. Und Sie?

Angesichts der Konjunkturentwicklung halte ich nichts davon, die Mehrwertsteuer zu erhöhen.

Das Klima in Deutschland ist: Soziales wird abgebaut, ich will einen Job und nicht so viele Steuern zahlen. Damit haben die Grünen zu kämpfen.

Nicht so viele und komplizierte Steuern, einverstanden. Aber wer mehr beitragen kann, soll es auch. Wir machen da Vorschläge – Abschmelzung des Ehegattensplittings, stärkere Belastung der Spitzenverdiener, höhere Steuern auf Erbschaften und Vermögen.

Das Gespräch führten Stephan-Andreas Casdorff und Matthias Meisner

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