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Politik: „Wir brauchen mehr Bellevue als Elysée“

Wie viel Macht soll der EU-Ratspräsident künftig haben? Nicht zu viel, meint Staatsminister Hans Martin Bury

Herr Bury, wenn man zurückblickt auf die Krise Europas während des IrakKonfliktes: Ist das Tempo, mit dem jetzt im EU-Konvent die Reform der EU-Institutionen entworfen wird, hoch genug? Oder zu gering?

Ich finde, dass wir im Konvent große Fortschritte machen. Wir wollen den Zeitplan auch nicht in Frage stellen, sondern das Momentum jetzt nutzen. Wir sehen die Chance, bis zum EU-Gipfel in Thessaloniki Ende Juni im Konvent zu einem Konsens zu kommen, der die nachfolgende Regierungskonferenz politisch in hohem Maße bindet. Es stimmt, dass Europa während des Irak-Krieges eine Krise durchlebt hat. Aber die Erfahrung mit der Europapolitik zeigt, dass solche Krisen oft die notwendige Beschleunigung gebracht haben, wenn sie nicht überhaupt erst weitere Integrationsschritte in Europa ermöglicht haben.

Existiert so etwas wie europäische Außenpolitik überhaupt? Und wenn ja: Wie würden Sie sie beschreiben – gerade im Unterschied zur amerikanischen Außenpolitik?

Ich fand es in der Irak-Debatte bemerkenswert, dass über alle nationalen Grenzen hinweg in der Bevölkerung Europas in der Zwischenzeit ein europäisches Bewusstsein herangewachsen ist. Jetzt kommt es darauf an, dass die politisch Verantwortlichen darauf aufbauen. Sie müssen das nötige Selbstbewusstsein an den Tag legen, das auf Partnerschaft setzt, aber Ergebenheitsadressen nicht nötig hat. Im Konvent zeichnet sich eine breite Zustimmung zum EU-Außenminister ab. Er kann dazu beitragen, Europa ein Gesicht zu geben.

Welches Echo haben Sie in der EU auf die Aussage des Kanzlers registriert, Joschka Fischer sei eine „glänzende Besetzung" für den Posten des EU-Außenministers?

Wenn wir uns dafür einsetzen, dass der Posten eines EU-Außenministers geschaffen wird, dann dient das der Verbesserung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik und nicht einer bestimmten Person. So ist das auch in den Debatten im EU-Konvent wahrgenommen worden, die schon seit Monaten geführt werden. Wir wollen dabei auch Brücken bauen zwischen denen, die bei der außenpolitischen Vertiefung der EU noch sehr viel weiter gehen wollen und jenen, die die Außenpolitik in erster Linie immer noch als Angelegenheit der Mitgliedstaaten betrachten. Außerdem hat der Bundesaußenminister erklärt, dass er sein Amt gerne führt und länger führen möchte, als seinen politischen Gegnern lieb ist.

Wie waren denn nun in Europa die Reaktionen auf das Kanzler-Lob für Ihren Dienstherren?

Das Thema hat nicht die Rolle gespielt, wie es beim medialen Echo in Deutschland manchmal den Anschein hatte. Über Personalfragen reden wir im EU-Konvent vernünftigerweise nicht.

Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg haben auf ihrem Vierer-Gipfel Ende April gefordert, die EU militärisch zu stärken. Allerdings haben andere EU-Staaten dies als Signal der Spaltung verstanden.

Das sehe ich nicht so. Wir wollen es ermöglichen, dass eine Avantgarde von Mitgliedstaaten bei der militärischen Zusammenarbeit vorangeht, um weitere Integrationsschritte in Europa überhaupt zu ermöglichen. Wir werden es in einer EU mit 25 oder noch mehr Mitgliedern öfter erleben, dass zunächst eine Gruppe von Mitgliedstaaten eine Idee entwickelt und dann diese Idee allen übrigen Mitgliedstaaten anbietet. Insgesamt gibt es bei allen EU-Mitgliedern ein gemeinsames Interesse daran, bei der Verteidigungspolitik effektiver zu werden, Ressourcen gemeinsam zu nutzen und Fähigkeiten zu bündeln.

Braucht die EU wirklich einen eigenen Generalstab – wie es der Vierer-Gipfel vorschlug?

Wir wollen keine Doppelstrukturen parallel zur Nato aufbauen. Aber wir wollen auch dahin kommen, dass es innerhalb der EU auf militärischem Gebiet weniger Doppelstrukturen gibt. Wir liegen in unseren militärischen Fähigkeiten weit hinter den Vereinigten Staaten. Das hängt damit zusammen, dass wir nicht nur alles doppelt machen, sondern im Zweifel sogar 15-mal. Das kann angesichts der sehr begrenzten Budgets, die wir alle haben, auf Dauer nicht so bleiben.

Der Verfassungskonvent wird seine Vorschläge im Sommer vorlegen. Halten Sie es für wahrscheinlich, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs sich anschließend noch in diesem Jahr über die Struktur der künftigen EU-Institutionen einigen können?

Wir setzen uns sehr dafür ein, dass wir die Dynamik des Konvents nutzen. Wir wollen eine kurze Regierungskonferenz, die nicht das ganze Paket wieder aufschnürt, sondern auf der Basis des Konvents-Ergebnisses den Verfassungsvertrag zu Ende verhandelt. Aber die Unterzeichnung sollte nach dem Beitritt der neuen Mitgliedsstaaten am 1. Mai 2004 erfolgen, so dass sie gleichberechtigt an diesen Verhandlungen teilnehmen können. Es wäre eine vertane Chance, wenn wir wieder in das alte Muster von Verhandlungen auf europäischer Ebene zurückkehren. Der Konvent hat heute schon viele Probleme gelöst, an denen sich frühere Regierungskonferenzen die Zähne ausgebissen haben, und damit jetzt schon einen gewaltigen Fortschritt für Europa ermöglicht.

Wie stehen Sie zum Vorschlag des griechischen Außenministers Papandreou, den Ratspräsidenten künftig direkt vom Volk wählen zu lassen?

Unsere Priorität ist ein starker Kommissionspräsident, der vom Europäischen Parlament gewählt wird. Das stärkt die demokratische Legitimation. Denn die Bürgerinnen und Bürger können mit der Europawahl unmittelbar Einfluss auf diese Spitzenposition nehmen. Eine Personalisierung des Europawahlkampfes wird auch mehr Menschen dafür mobilisieren. Wir befürworten auch den Posten eines Vorsitzenden des Europäischen Rates, weil wir mehr Kontinuität wollen. Aber nach unserer Vorstellung sollte der künftige Ratsvorsitzende mehr Bellevue als Elysée verkörpern. Die Wahl des Ratschefs durch die europäische Bevölkerung würde das Gleichgewicht der Institutionen zu Lasten von Kommission und EU-Parlament verschieben. Wir wollen aber weder ein Wettbewerbsverhältnis zwischen Kommission und Europäischem Rat noch eine Art Superpräsidenten der Europäischen Union, der die Kommission dominiert.

Also keine Gestaltung Europas nach der Methode Metternich?

Nein.

Mit Hans Martin Bury sprachen Albrecht Meier und Hans Monath.

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