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Politik: Wir Bürokraten

EIN DEUTSCHES FEINDBILD

Von Lorenz Maroldt

Wenn alle das Gleiche wollen, kann das nicht so falsch sein. Wer hätte es nicht gerne leichter im Leben? Aber meistens ist etwas faul. Alle wollen weniger Bürokratie – doch es gibt immer mehr. Im internationalen BürokratieIndex, der über die Verwucherung Auskunft gibt, steht Deutschland auf dem drittschlechtesten Platz. Seit Gründung der Republik ist die Bundesgesetzsammlung Jahr für Jahr um fünfzig Seiten dicker geworden. Nur in zwei Ländern ist der Anteil der öffentlich Bediensteten höher als bei uns. Doch der Service der Verwaltung wird immer schlechter beurteilt. Bürokratie steht für Lähmung.

Alle im Bundestag vertretenen Parteien fordern den Abbau der Bürokratie; Kommissionen haben beraten; und die größte Boulevardzeitung schickt einen „Bürokrator“ mit „Weg-damit“-Stempel durchs Land. Warum ist so schwer zu erreichen, was alle wollen?

Für Max Weber war Bürokratie die reinste Form der legalen Herrschaft. Das Gegenteil wäre Anarchie. Einen Staat ohne Bürokratie kann es nicht geben; einen mit weniger schon. Aber was ist zu viel? Da ist es vorbei mit der Einigkeit. In Deutschland funktioniert deshalb nicht mal der Abbau der Bürokratie ohne sie. So wächst im Zeichen der Reformen die Bundesanstalt für Arbeit zur Megabehörde. Die Idee, einen „Bürokratie-Tüv“ zu gründen, karikiert sich selbst: und noch ein Amt mehr! Ähnlich sieht es aus mit dem scheinbar reizvollen Vorschlag, neue Gesetze nach ein paar Jahren verfallen zu lassen – falls das Parlament sie nicht wieder verlängert. Eine Prüfungsmaschinerie wäre die Folge, mit Ausschüssen, Expertengremien und vielleicht einem Gesetzeswegfallunbedenklichkeitsministerium, das sicher recht viele Bedenken vorbringen wird.

So droht das Land an seiner Überordnung zu ersticken. Für jede fiktive Situation gibt es eine Bestimmung, nicht mal die Verfassung wurde verschont. Alles ist genormt, bis zum Krümmungsgrad der Kleiderhaken in Schulen. Wer auf seinem eigenen Grundstück eine Garage bauen möchte, braucht eine Genehmigung – und muss Monate warten. Wer nicht warten will, wird vom Nachbarn angezeigt. Kaum jemand versteht seine Steuererklärung. Und die „Hinweise zur Erläuterung zum Ausfüllen des Antrags auf Kontenklärung“ bei der Rentenkasse erfüllen den Tatbestand der Bürgerverachtung.

Wer an alledem etwas ändern will, muss zwei Probleme überwinden. Das erste: Es fehlt am Mut, Neues zu tun. Dabei gibt es Ansätze für eine echte Verwaltungsreform. Schon Max Weber ahnte: Die strenge Arbeitsteilung in der Bürokratie führt zu mangelnder Orientierung am Ziel – und zur Entfremdung der Beschäftigten von den Bürgern. Wer diese Beschäftigten besser qualifiziert, ihnen mehr Kompetenz und Verantwortung gibt, bekommt schnellere Entscheidungen und weniger Ärger.

Und zweitens fehlt es am Mut, Altgewohntes zu lassen: nämlich alles bis ins Kleinste vermeintlich gerecht und perfekt zu regeln. Viel zu zögerlich wird hier und dort ausprobiert, das System zu wenden, so dass als genehmigt gilt, wogegen die Bürokratie keinen Einspruch erhebt. Wir brauchen nicht einen neuen „Weg-damit“-Stempel, sondern weniger Stempel. Auch wenn wir uns erstmal etwas nackt fühlen würden.

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