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Politik: …wir endlich durchblicken dürfen

Es ist ja nicht so, dass Gregor Gysi vor Publicity zurückscheut. Als also am Dienstag auf der ersten Seite einer großen, ach was, sehr großen Boulevardzeitung ein Querschnitt durch sein Gehirn auftauchte, da wirkte das wie der Auftakt einer Kampagne, wie sie die Republik noch nicht gesehen hat.

Es ist ja nicht so, dass Gregor Gysi vor Publicity zurückscheut. Als also am Dienstag auf der ersten Seite einer großen, ach was, sehr großen Boulevardzeitung ein Querschnitt durch sein Gehirn auftauchte, da wirkte das wie der Auftakt einer Kampagne, wie sie die Republik noch nicht gesehen hat. „In meinem Kopf ist alles in Ordnung“, schien uns das sagen zu wollen, „also ist auch meine Politik in Ordnung.“ Das ließ fürchten. Würden wir als nächsten Schritt zur Vereinigung der gereiften Linken bald ein Röntgenbild von Oskar Lafontaines sozialem Gewissen sehen? Würde Angela Merkel mit ihren Cholesterinwerten kontern und Edmund Stoiber schwanken, ob er sich für den Wahlkampf, ähm, einer Darmspiegelung oder, äh, also, einer homöopathischen Anamnese unterzieht? Würde Christian Ströbele per Katheteruntersuchung nachweisen, dass sein Herz nur für Kreuzberg schlägt, und Guido Westerwelle mit einem Kernspintomogramm seiner leeren Geldbörse punkten?

Doch nun ist alles noch viel komplizierter. Denn Gysi erklärt, er habe seinen Arzt lediglich autorisiert, den Reportern allgemeine Informationen zu geben, und der Arzt teilt mit, das habe er auch, denn das angebliche Bild von Gysis Gehirn stamme aus einem Lehrbuch über Gehirnoperationen. Bevor jetzt also Dutzende von Experten herausfinden, dass Gysi eigentlich schon klinisch tot sei: Es war nicht sein Kopf.

Oder doch? Es gibt inzwischen ein Gewirr von Erklärungen und Gegenerklärungen, und vermutlich bricht ein Rechtsstreit los, für den es nur eine Lösung gibt: Gysi muss sich noch einmal unter notarieller Aufsicht durchleuchten lassen, weil anders nicht festgestellt werden kann, ob der Kopf aus der Zeitung seiner war oder nicht.

Indessen wird vor dem Wahltag das Interesse an Durchleuchtungen weiter zunehmen. Wirtschaftet in Angela Merkels Hirn der Geist Ludwig Erhards? Lassen sich in Gerhard Schröders Blut noch Spuren des Godesberger Programms nachweisen oder nur Restbestände einer abendlichen Bierrunde mit Journalisten? Oh, wir werden erleben, wie Experten in Sachen bildgebender Verfahren sich in die Presse drängeln, Programme und Manifeste durchleuchten, Dementis ins Labor schaffen und kleine Kulturen aus ansteckenden Rücktrittsdrohungen ansetzen.

Die Medizin macht Politik, und Gregor Gysi war der Pionier. Dabei sieht es in seinem Kopf aus wie im Lehrbuch. bm

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