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Politik: „Wir haben keine Schulden“

Wie Norwegen seine Ölmilliarden verwaltet

Während des russisch-ukrainischen Gaskonflikts hat Norwegen gesagt, es könne nicht mehr Gas nach Westeuropa liefern. Wann gehen Ihnen Erdöl und Erdgas aus?

Ich kann Ihnen kein Jahr nennen. Denn wir finden immer wieder neue Förderstätten. Wir haben uns vom südlichen Nordmeer ins nördliche Nordmeer gearbeitet und sind nun dabei Förderfelder in der Barentsee zu erschließen. Außerdem sind wir in der Lage, mit verbesserten Technologien Öl- oder Gaslagerstätten besser auszubeuten. Früher haben wir 20 bis 40 Prozent des Öls aus den Lagerstätten herausgeholt, heute sind es 50 bis 60 Prozent. Und so lange der Ölpreis hoch ist, lohnen sich Investitionen etwa in der Barentssee, die bisher als unwirtschaftlich galten.

Nach der Barentssee kommt nichts mehr?

Es gibt Pläne, noch weiter nach Norden zu gehen, nach Spitzbergen und bis zum Nordpol. Da das Eis schmilzt, ergeben sich dort neue Perspektiven, allerdings nicht heute oder morgen.

Wie hat es Norwegen geschafft, dass der Reichtum nicht zum Fluch geworden ist?

Norwegens Weg ins Industriezeitalter nach der Unabhängigkeit von Schweden 1905 basierte auf Wasserkraft, Fischerei, Holz. Wir hatten also schon Erfahrung mit der Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen. Außerdem ist Norwegen eine Gesellschaft, in der es keine großen sozialen Unterschiede gibt. Anfang der 70er Jahre verfügten wir über eine transparente Verwaltung und eine stabile Demokratie. In Norwegen ist wegen des Öls kein Einzelner Multimilliardär geworden. Wir haben von Anfang an hohe Steuern erhoben. Das Geld ist durch das System hindurchgesickert, so dass nahezu jeder etwas davon hat. Seit den späten 90er Jahren haben wir Überschüsse. Das war die eigentliche Herausforderung. Unsere damalige Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland meinte damals, es ist eine Sache, den Bürgern zu sagen, dass man nichts ausgeben kann, was man nicht hat; ihnen zu sagen, warum man nicht ausgeben soll, was man hat, ist eine ganz andere Sache.

Ein Luxusproblem …

Ein großes Privileg. Norwegen hat keine Schulden, und wir haben einen großen Haushaltsüberschuss. Wir haben gesagt: Das ist nicht nur das Einkommen für eine Generation. Deshalb haben wir den Ölfonds gebildet. Das sind derzeit rund 200 Milliarden Dollar. Er wird von der norwegischen Zentralbank verwaltet und daraus werden nur die Zinsen ausgegeben. Und wir haben uns vorgenommen, uns unter den selben Wettbewerbsdruck zu setzen wie der Rest der Welt.

Wird Norwegen seine skeptische Haltung zu einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union bald ändern?

Nicht bald. Die Bevölkerung ist gespalten. Wir haben entschieden, kein neues Referendum anzustreben. Aber wir arbeiten auch ohne Mitgliedschaft eng mit der EU zusammen. Wir sind Mitglied der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Für unsere Unternehmen gelten die selben Normen wie in der EU. Wir gehören auch dem Schengen-Abkommen an.

Das Interview führten Dagmar Dehmer und Anselm Waldermann.

Jonas Gahr Störe (45) ist seit 2005 Außenminister der rot-grünen Koalition unter Premier Jens Stoltenberg. Zuvor war der Sozialdemokrat Generalsekretär des norwegischen Roten Kreuzes.

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