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Politik: „Wir müssen ein Risiko eingehen“

Der scheidende deutsche Befehlshaber in Kabul fordert deutlich mehr Engagement – aber die Politik zögert

Von Sven Lemkemeyer

und Robert von Rimscha

Sechs Monate lang unterstand ihm die Internationale Schutztruppe für Afghanistan (Isaf), hatte er die Verantwortung für rund 4600 Soldaten in Kabul. Kurz bevor er am Montag das Kommando an die Nato übergibt, wird der deutsche General Norbert van Heyst sehr deutlich: „Man muss sich stärker engagieren“, sagt van Heyst der dpa. Damit liegt der General auf der Linie seines Verteidigungsministers Peter Struck (SPD). Der hatte gesagt, wenn die internationale Gemeinschaft nicht über die Grenzen Kabuls hinaus aktiv werde, sei die Mission gescheitert. Die Staatengemeinschaft müsse dann die Konsequenz ziehen und rausgehen.

Van Heyst hofft, dass Berlin die Entsendung eines Regionalen Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Team/PRT) mit Soldaten und zivilen Aufbauhelfern beschließt. Struck möchte die Priorität dabei auf den zivilen, nicht den militärischen Aufbau legen. Die Soldaten sollen helfen, Brücken, Schulen und Krankenhäuser aufzubauen. Außerdem soll Deutschland verstärkt seine international angesehenen Kenntnisse beim Aufbau der Polizei einsetzen.

Wie es in deutschen Regierungskreisen heißt, befinden sich Verteidigungs-, Innen- und Außenministerium in der letzten Abstimmungsphase. Es gehe nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie, Wann – und vor allem: Wohin. Im Gespräch als Einsatzorte waren Herat nahe der Grenze zu Iran, Ghazni, 130 Kilometer südwestlich von Kabul, Kundus im Nordwesten und Charikar, 50 Kilometer nördlich der Hauptstadt. Ghazni wurde von einem deutschen Erkundungsteam, das im Juni die Lage sondierte, als zu gefährlich eingestuft, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Herat befindet sich in der Hand des Warlords Ismail Khan, der ausländische Soldaten als Bedrohung auffassen könnte, und liegt über 600 Kilometer von Kabul entfernt. Im Ernstfall zu weit, um Hilfe zu schicken.

Charikar indes wird für relativ sicher gehalten. Ein Einsatz dort könnte den Afghanen kaum den Eindruck vermitteln, die Isaf wolle bewusst auch in den Provinzen für Stabilität sorgen und Warlords wie Khan entmachten. Denn die Stadt liegt im Grenzbereich der jetzigen Verantwortung der Isaf, deren Mandat für Kabul und die nähere Umgebung gilt. Ausländische Hilfsorganisationen arbeiten nach eigenen Angaben hier ungestört, sie haben sich gegen einen deutschen Einsatz ausgesprochen: Ihrer Meinung nach wäre es problematisch, bei der Arbeit nun ohne jeden Anlass plötzlich von Soldaten beschützt zu werden. Ein Einsatz dort würde „nicht der Erwartungshaltung der afghanischen Bevölkerung und Regierung gerecht werden“, sagt auch van Heyst. Ähnlich sieht es Boris Wilke von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“: „Herat wäre der große Schritt, den sowohl die USA als auch Präsident Hamid Karsai gerne sähen.“ Van Heyst sagt: „Ich bin überzeugt, dass man ein gewisses Risiko eingehen muss.“ Nur in anderen, weniger sicheren Städten könne ein PRT „wirkliche Pionierarbeit leisten“. Bei den für Juni 2004 geplanten Wahlen müsse die Sicherheit in den Provinzen gewährleistet sein. Daher sei es „höchste Zeit, dass die internationale Gemeinschaft Entscheidungen trifft“. Rund 10 000 zusätzliche Soldaten seien nötig.

Zahlen für die PRTs nennt Struck bislang nicht. Sein Vorstoß, ehe der Bericht der Erkunder offiziell ausgewertet ist, dient wohl der Vorbereitung der Partei auf das Unausweichliche. Die SPD ringt noch um einen Standpunkt, die Fraktion hat noch nicht über einen Einsatz außerhalb Kabuls diskutiert. Fraktionsvize Gernot Erler möchte – wie viele eher linke SPD-Parlamentarier – eine klare politische Vorgabe, ehe über weitere Soldaten gesprochen wird. Er hat eine neue Petersberg-Konferenz vorgeschlagen. In einem sind sich die SPD-Vertreter einig. „Die Frage nach der Größe und der Grenze des Engagements in Afghanistan stellt sich in der Tat“, so der Abgeordnete Markus Meckel. „Ehrlich gesagt: Sie stellte sich von Anfang an.“

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