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Politik: „Wir öffnen die Tür einen Spalt“

Rita Süssmuth über den Kompromiss beim Zuwanderungsgesetz und die Folgen der Terrorangst

Sie haben das Zuwanderungsgesetz mit den Worten kommentiert, es sei ein Kompromiss, aber die Richtung stimme. Wann wird es nachgebessert?

Entscheidend wird sein, wie wir das Gesetz nutzen. Man kann es sehr restriktiv nutzen oder aber produktivgestaltend.

Und wenn sich aber erweisen sollte, dass es doch zu viel Kompromiss und zu wenig Richtung war?

Die Ausrichtung dieses Gesetzes macht es sehr viel einfacher, einzelne Paragrafen zu ändern, ohne dass man die Richtung ändert. Das wird den humanitären Bereich weniger betreffen. Dort sehe ich einen großen Durchbruch. Aber nehmen Sie den Integrationsteil, da sind Veränderungen ja im Gesetz selbst angelegt. Es wird eine Auswertung und 2007 einen Bericht über die Wirksamkeit geben. Was die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt angeht, sage ich voraus: Das Gesetz wird geändert, wenn wir eine andere Arbeitsmarktlage haben.

Ist das eine ökonomische Frage oder eine der Volksseele?

Angesichts hoher Arbeitslosigkeit müssen wir jede Zuwanderung sehr gut begründen. Die erste Reaktion der Menschen ist die Frage: Haben wir wirklich unter 4,5 Millionen Arbeitslosen nicht diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt fehlen? Es ist sehr schwierig zu vermitteln, dass es hohe Arbeitslosigkeit gibt und trotzdem gleichzeitig Fehlbedarf. Es gibt aber diesen zwar begrenzten, jedoch wichtigen Arbeitskräftebedarf, vor allem auch für unseren Mittelstand.

Wir betonen zu viel die Risiken?

Das hat damit zu tun, dass wir seit Jahrzehnten in einem Übermaß Ungelernte und gering Qualifizierte ins Land geholt haben. Aber es stimmt, wir haben das Fremde bisher zu wenig als Hilfe für uns gesehen und zu sehr als Belastung. Wir müssen viel stärker und schneller die Potenziale derjenigen nutzen, die zu uns kommen, zum Beispiel auch unter den Flüchtlingen. Einen Feststoffphysiker zum Taxifahrer zu machen, können wir uns überhaupt nicht leisten.

Reicht das Gesetz für eine solche Umorientierung aus?

Das Gesetz lässt sie zu. Wir öffnen uns grundsätzlich für hoch Qualifizierte, für Selbstständige, für Studenten, die nach dem Studium nicht sofort wieder nach Hause geschickt werden, sondern ein Jahr bleiben können, um einen geeigneten Arbeitsplatz bei uns zu finden. Wir öffnen die Tür einen Spalt für Fachkräfte. Die Hürden sind allerdings sehr hoch gehängt. Ein Beispiel: Selbstständige dürfen künftig kommen, wenn sie eine Million Euro investieren und zehn Arbeitsplätze schaffen. In den USA gilt: Eine Million Dollar oder zehn Arbeitsplätze. Es gibt heute Kleinstfirmen mit vier, fünf Beschäftigten, die Weltmarktführer sind. Auch die Begrenzung der Aufenthaltserlaubnis auf zunächst drei Jahre könnte sich als zu eng erweisen. Aber mehr war eben unter den jetzigen Bedingungen nicht zu erreichen.

Haben wir Deutschen, mit dem neuen Bundespräsidenten Horst Köhler zu sprechen, „Angst zu scheitern“ vor der Aufgabe, vor die uns Zuwanderer stellen?

Es gibt diese Neigung, mit Abwehr zu reagieren. Das Fremde ist für uns das Bedrohliche. Nach dem 11. September hat dieses Gefühl noch zugenommen. Zeitweilig hat so die Anti-Terror-Debatte die Zuwanderungsfrage überlagert. Andererseits: Wären diese Aspekte nicht in das Gesetz hineingenommen worden, wären die Ängste um unsere Sicherheit nicht verschwunden. Man muss jetzt nur aufpassen, dass wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen.

Apropos falsche Sicherheit: So wichtig die Integration ist, steckt nicht darin auch die unrealistische Erwartung, dass danach die Fremden ihr Fremd-Sein abgelegt haben?

Integrieren heißt teilhaben. Statt einer Politik für Zugewanderte brauchen wir viel stärker eine Politik mit Zugewanderten. Wenn wir den Zugewanderten im Alltag begegnen, vom Kindergarten bis zur Altenpflege, dann entsteht neue Nähe. Wenn die Polizei Probleme hat mit türkischen Jugendlichen, dann nimmt sie am besten einen Kollegen mit, der aus diesem Kulturkreis kommt. Und das bedeutet dann für uns alle mehr Sicherheit.

Sie klingen insgesamt ganz zufrieden.

Ich hätte mir an manchen Stellen mehr gewünscht. Aber die Alternative wäre ein Abbruch der Verhandlungen gewesen, und das wäre verheerend gewesen. Die Zugewanderten hätten daraus geschlossen: Sie wollen uns nicht! Das hätte uns mehr Probleme geschaffen, mehr Abschottung, auch mehr Gewalt. Und die Zuwanderungsgegner hätten den Eindruck bekommen: Man muss nur hart genug abwehren, dann verschwinden sie! Die Botschaft, die wir jetzt gesetzt haben, ist eine andere. Ein Gesetz allein bewirkt noch keine Veränderung. Aber das Leben mit dem Gesetz kann ein anderes Klima schaffen. Deshalb bin ich erleichtert. Es ist ein Anfang. Und es ist kein fauler, sondern ein tragfähiger Kompromiss, mit einer breiten, nicht nur einer knappen Mehrheit. Das ist ganz wichtig. Wir haben dieses Gesetz gemeinsam zu Stande gebracht. Darin liegt etwas Unumkehrbares, für das politische Klima Wertvolles.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Robert Birnbaum

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