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Politik: „Wir sind auf der Müllkippe gelandet“

Deutschland schickt Roma nach Serbien-Montenegro zurück – 120 000 Menschen hausen in Hütten aus Kartons

„Ich heiße Toni“, sagt der Roma-Junge auf deutsch. Der Siebenjährige mit den strahlend blauen Augen ist barfuß, trägt eine kurze Hose und ein zerfetztes T-Shirt. Stolz streckt er der deutschen Grünen-Politikerin Claudia Roth seinen Fußball entgegen. Sein Vater Berisa Vasdet redet auf die Besucherin aus Deutschland ein und erzählt, wie es seine Familie vom niedersächsischen Syke in die armselige Roma-Siedlung am Rand der serbischen Hauptstadt Belgrad verschlagen hat. Roth ist zum ersten Mal im Land, um sich in ihrem neuen Amt als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung ein Bild davon zu machen, wie Roma hier leben.

Die Bundesregierung hat im vergangenen Herbst mit der Belgrader Führung ein Rückführungsabkommen geschlossen, das die Rücknahme ausreisepflichtiger Bürger Serbien-Montenegros vorsieht. Es geht dabei um etwa 190 000 Menschen, die derzeit illegal in Deutschland leben und auf Wunsch der dortigen Behörden zurückkehren sollen. Wie viele Roma darunter sind, weiß keiner genau. Schätzungen sprechen von mehreren Zehntausend. Ausgenommen von der Abschiebung sind bislang Minderheiten aus dem UN-verwalteten Kosovo.

„Die Kinder sind in Deutschland geboren und nun hier auf der Müllkippe gelandet“, sagt Vasdet. Die beiden Jungen und das Mädchen sprechen ganz gut deutsch, aber kein Serbisch. Ihr Haus ist eine elende Bruchbude. Die Zimmer mag der Familienvater gar nicht erst zeigen. Auf dem Dach sammelt er in einer Tonne das Regenwasser zum Kochen. Im lehmigen Innenhof wimmelt es von Fliegen. „Das ist unser Wohnzimmer“, sagt Vasdet und deutet auf zwei verschlissene Sessel im Hof. Es stinkt, denn es gibt auch kein Klo. 20 Euro Miete zahlt die Familie im Monat – ein Heim möchte man das nicht nennen.

Die neue Heimat heißt Deponia und es sieht aus wie auf der Mülldeponie. Es ist eine der 110 Elendssiedlungen von Roma in Belgrad, wo schätzungsweise 120 000 Menschen in Karton- und Wellblechhütten hausen. An manchen Stellen des unübersichtlichen Häusermeers haben Einwohner Stromleitungen der Umgebung angezapft – und Dutzende von Satellitenschüsseln schmücken die undichten Dächer. Wenn stimmt, was Vasdet erzählt, lebte die Familie mit drei Kindern zwölf Jahre in Syke, etwa 20 Kilometer südlich von Bremen. Der älteste Sohn Samson sei in Deutschland drei Jahre in die Schule gegangen. Bis eines Nachts die Polizei kam und die Familie per Flugzeug nach Belgrad abschob. Bei der Ankunft gab es von staatlicher Stelle keine Hilfe. „Ich habe keine Papiere, keine Krankenversicherung, gar nichts“, sagt Vasdet. Von den Kindern gibt es auch keine Geburtsurkunden aus Deutschland. Zur Schule gehen können die Kinder nicht, denn ihnen fehlen die Sprachkenntnisse. In einer Roma-Schule lernen sie deshalb ein paar Stunden am Tag Serbisch, erzählt der Vater. Geld verdienen die meisten Roma in Deponia, indem sie aus den Müllcontainern der Zwei-Millionen-Stadt Brot, Flaschen und Papier klauben. Etwa 70 Cent gibt es für einen großen Sack mit altem Brot.

Nach der letzten Volkszählung soll es 110 000 Roma in Serbien-Montenegro geben, aber Experten schätzen, dass die Zahl an die 500 000 landesweit heranreicht. In illegalen Elendssiedlungen wie Deponia leben rund 90 Prozent der Roma, sagt Dragoljub Ackovic. Er ist einer der Belgrader Roma-Führer und arbeitet als Journalist im Roma-Programm des staatlichen Rundfunks. „Man kann die Menschen nicht in die Ungewissheit zurückschicken“, sagt Claudia Roth nach ihrem Rundgang und spricht vom „Wahnsinn deutscher Innenpolitik.“ Vereinzelt gibt es deutsche Hilfsprojekte. So baut das Technische Hilfswerk in sechs Gemeinden Vorschulen für Roma-Kinder. So gibt es inzwischen ein viel gelobtes Minderheitengesetz, einen gerade neu gewählten National-Rat und seit 1. Mai im serbisch-montenegrinischen Ministerium für Menschenrechte ein neu geschaffenes „Roma-Sekretariat“. Dessen juristischer Berater Djuric sagt, das Ministerium plane zuerst, eine Anlaufstelle am Flughafen einzurichten. „Aber auch das ist unmöglich ohne finanzielle Hilfe aus dem Ausland.“

Gemma Pörzgen[Belgrad]

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