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Politik: „Wir sind beide kantige Charaktere“

Der Außenminister über sein Verhältnis zum Kanzler, zu den USA nach dem 11. September und die Hydra Terror

Herr Fischer, erinnern Sie sich noch, wo Sie am 11. September vor zwei Jahren waren und wie Sie die Nachricht erfahren haben?

Ich weiß es genau. Als ich vom Mittagessen mit dem jemenitischen Außenminister ins Büro kam, waren meine Mitarbeiter vor dem Fernseher versammelt, und wir sahen den Nordturm brennen. Die Frage war: Terroranschlag oder Unglück? Dann flog das zweite Flugzeug in den Südturm. Da war die Lage klar, ich habe mich dann sofort mit dem Bundeskanzler verbinden lassen. Denn das war eine Zäsur, nun war das Allerschlimmste zu befürchten.

Nichts wird mehr so sein, wie es war, hieß es nach dem 11.September. Wie hat das Ereignis Sie persönlich verändert?

Mit damals 53 Jahren verändert man sich persönlich nicht mehr so einfach, selbst bei welthistorischen Zäsuren. Aber die internationale Politik hat sich tief gehend gewandelt. Der Status quo, der diese Bedrohung hervorgebracht hat, war nicht mehr akzeptabel. Der verbrecherische Angriff auf Amerika, die einzige Weltmacht, hat das Staatensystem dramatisch erschüttert, mit weit reichenden Folgen.

Was sind die wichtigsten Veränderungen?

Die Nachkriegszeit, die 1989 mit dem Fall der Mauer begonnen hatte, ging zu Ende. Eine neue globale Konfliktstruktur wurde sichtbar: Statt der Blockkonfrontation, in die sich die Regionalkonflikte einordneten, haben wir eine Konfliktdiffusion. Die größten Gefahren sind heute religiöser Hass, nationale Rivalität, Massenvernichtungswaffen und Terrorismus. Wenn diese Elemente sich verbinden, entsteht eine strategische Bedrohung. Auch der neue Terrorismus ist totalitär, aber er zielt nicht auf die strategischen Potenziale, wie das die Sowjetunion tat oder davor das Nazireich. Sondern er will durch hohe Opferzahlen die offenen Gesellschaften zerstören, unseren „way of life“. Eine Chaosstrategie.

Ist die Welt seither wieder sicherer geworden?

Nein. Dass Al Qaida die Basis in Afghanistan genommen und vielen Terroristen das Handwerk gelegt wurde, ist ein Fortschritt. Aber die Eskalation des Terrors fordert uns langfristig heraus.

Die Gefahr ist erkannt, ein erster Schritt.

Ja, aber wir haben es mit einer Hydra zu tun. Da hilft es nichts, allein die Köpfe abzuschlagen, die wachsen nach. Man muss sie ins Herz treffen, also die Konflikte hinter diesem Terror schlichten.

Das klingt, als wäre die neue Bedrohung gefährlicher als die alte strategische durch die Sowjetunion?

Nein. Der große Krieg ist nach wie vor das Schlimmste, was es gibt. Al Qaida ist hochgefährlich, aber keine strategische Bedrohung. Der Westen wird sich zu verteidigen wissen. Man darf die Kraft der westlichen Demokratien nicht unterschätzen, an erster Stelle die der USA. Aber in Frieden zu leben, in einer offenen Welt mit Austausch von Menschen, Ideen und Gütern – das kann für Einzelne zu einer tödlichen Gefahr werden.

Haben wir die Auswirkungen des 11. 9. auf die Psyche Amerikas richtig verstanden?

Ich denke: Ja.

Haben wir zu viel verlangt von den Amerikanern, weil wir auf ihren zutiefst emotionalen Schock sehr rational reagiert haben?

Es gibt eine Erfahrungsdifferenz. Für die Europäer ist Terror nicht neu: Die Briten mussten sich vor der irischen IRA schützen, die Franzosen vor fundamentalistischen Anschlägen aus Nordafrika, die Spanier vor der baskischen Eta, wir Deutschen vor der RAF. Krieg ist eine europäische Kollektiverfahrung. Doch New York galt für zig Millionen Einwanderer als Tor zum gelobten Land, wo man die Kriege und Konflikte der Alten Welt hinter sich ließ. Der Angriff auf das Finanzzentrum in Manhattan und auf das Pentagon traf ins Herz dieser großen Demokratie, war etwas Neues, ein tiefer Schock. Als ich am 19. September 2001 nach New York kam, spürte ich diese emotionale Verwundung. Die Stadt hatte sich verändert. Dennoch muss man den Kampf gegen den Terror rational führen.

Sie haben am Rand des Kraters gestanden, den meisten Deutschen fehlt diese emotionale Erfahrung.

Das sehe ich anders. Es hat die große, sehr emotionale Solidaritätskundgebung am Brandenburger Tor gegeben, einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie zeigte die tiefe Verbundenheit der Deutschen mit den USA. Unsere Regierung war bereit, ihre politische Existenz aufs Spiel zu setzen, um in Afghanistan ihren Beitrag im Kampf gegen den Terror zu leisten. Das gründete auf dem Gefühl der Solidarität, aber auch auf dem rationalen Kalkül der gemeinsamen Bedrohung. Es war beides.

Wo endete dieses Gefühl: schon im Afghanistankrieg oder erst im Irak?

Im Irak war die zentrale Frage: Ist das überhaupt ein Schlachtfeld im Kampf gegen den Terrorismus? Ist es das richtige? Und die richtige Zeit? Nach dem 11.9. gab es eine unglaubliche Woge der Solidarität mit den USA, bis weit in die arabische Welt.

Vor einem Jahr begannen die schrillen Töne im Irak-Streit, mit der Rede des Vizepräsidenten Cheney und der Festlegung des Kanzlers gegen jede Intervention …

…Wir haben gefragt: Ist der Krieg zu rechtfertigen, haben wir alle anderen Mittel ausgereizt, und stärkt er den Terrorismus, statt ihn zu schwächen? Wissen die Koalitionskräfte, was es heißt, Frieden, Stabilität und den Zusammenhalt dieses Landes zu sichern? Wir haben gewarnt, weil wir den Schritt für falsch und hochgefährlich hielten.

Dann können Sie sich durch Präsident Bushs Bitte um Hilfe bestätigt sehen?

Wir begrüßen die Initiative der USA zu einer neuen UN-Resolution. Wir brauchen einen Strategiewechsel, gemeinsam mit den UN.

Braucht der Irak muslimische Truppen, um den kulturellen Konflikt abzubauen?

Entscheidend ist, dass die Iraker sehr schnell die Verwaltung ihres Landes übernehmen. Aber auch eine Arabisierung und Islamisierung der Hilfe zum Aufbau und zur Sicherheit ist richtig. Die Amerikaner können sich jedoch nicht schnell zurückziehen, das hinterließe ein gefährliches Vakuum. Die UN müssen in der Übergangsphase die zentrale Rolle wahrnehmen.

Und was ist Europas Rolle?

Europa ist bereit, zum Wiederaufbau materiell beizutragen und zur humanitären Hilfe, aber nur unter UN-Kontrolle und Gewährleistung von Transparenz.

Was kann Deutschland leisten?

Wir helfen bei der Stabilisierung Afghanistans, zivil und militärisch. Nach 23 Jahren Bürgerkrieg gelang es auf der PetersbergKonferenz, einen politischen Konsens herzustellen. Er ist fragil, aber er hält. In Afghanistan sind wir wegen des 11.9. Hätten Sie mich am 10.9. gefragt, ob die Bundeswehr nach Kabul gehen soll…

…hätten Sie uns für verrückt erklärt.

Ich hätte es diplomatischer ausgedrückt, aber es liefe auf dasselbe hinaus. Vor dem 11.9. wäre niemand auf diese Idee gekommen.

Sie sagen, der Irak gehört nicht in diesen Zusammenhang. Aber die Lage ist, wie sie ist. Es ist auch deutsches Interesse, dass das nicht im Chaos endet. Gibt es nichts, was Deutschland im Irak tun kann?

Die These, die Lage ist, wie sie ist, ist mir zu einfach. Man muss überlegen, warum die Lage nicht gut ist. Die erste Frage ist nicht: Was kann Deutschland leisten? Sondern: Geht es mit der jetzigen Strategie überhaupt aufwärts? Wir meinen, nein. Im Rahmen eines Strategiewechsels sind wir bereit, Beiträge zu leisten, allerdings nicht militärisch.

Hat die Nato einen Platz in der neuen Irak-Strategie?

Ich wüsste nicht, was die Nato da leisten kann, was qualitativ in eine neue Richtung weist. Wir sind froh, dass die Nato die Führung in Afghanistan übernommen hat, weil sie dort auf der Grundlage eines politischen Konsenses ist.

Ist das kein Modell im Irak?

Im Irak steht die Koalition vor einer anderen Situation.

Europa hat im Irak-Streit nicht mit einer Stimme gesprochen. Wie kommen wir dahin?

Es wird nie eine Garantie geben, dass Europas Staaten in einer Frage von Krieg und Frieden mit einer Stimme sprechen. So wichtig es ist, eine gemeinsame Position zu haben: Wenn es die falsche ist, wäre ich dagegen. Ob Deutschland Truppen schickt, entscheidet der Bundestag, kein Vertreter in Brüssel.

Hätte sich der Irak-Krieg verhindern lassen oder war Amerika fest entschlossen?

Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall ist die Position der Wankelmütigen in der Union gründlich widerlegt worden. Im Bundestagswahlkampf hielten sie sich noch bedeckt. Sobald die Wahllokale in Hessen geschlossen hatten, sprach sich Merkel für die amerikanische Position aus, angetrieben von so begnadeten Außenpolitikern wie Herrn Pflüger.

Woher droht größere Gefahr: Von Al Qaida oder der Weiterverbreitung von Atomwaffen?

Man muss beides fürchten, aber auf unterschiedliche Bedrohungen unterschiedlich reagieren. Besonders gefährlich wäre die Verbindung von Al-Qaida-Terror, von terroristischem Islamismus und arabischem Nationalismus. Es gibt ein schlimmes Beispiel: Hamas, mit der Vermischung von religiösem Fundamentalismus und palästinensischem Nationalismus. Eine Gefahr ist, dass wir im Irak eine ähnliche Entwicklung mit noch größerem Gewaltpotenzial erleben. Und wenn eine Macht im Nahen Osten Atomwaffen in die Hände bekäme, hätte das fatale Konsequenzen.

Was bedeutet das für den Umgang mit dem iranischen Nuklearprogramm?

Niemand kann wollen, dass Iran Atomwaffen entwickelt. Das wissen die Iraner.

Fürchten Sie amerikanische Alleingänge?

Wir werden eine gemeinsame Position finden.

Warum möchte der Bundeskanzler, dass sein Joschka in der Bundesregierung bleibt?

Sie haben Vorstellungen …

Bittet der Kanzler: Herr Außenminister, wir müssen zusammenbleiben?

Wir haben ein völlig anderes Verhältnis. Wir sind beide kantige Charaktere und wollen diese große innere Reformherausforderung annehmen – so wie wir die Neuausrichtung der Außenpolitik geschafft haben, ohne von den Grundlinien abzuweichen, die wir von unseren Vorgängern übernommen haben.

Was im Äußeren erfolgreich war …

… müssen wir nun im Inneren leisten. Das ist die historische Herausforderung für RotGrün. Die historische Leistung der Regierung Kohl war die staatsrechtliche Vereinigung Deutschlands und die Einführung des Euro. Bei der inneren Einheit hat sich diese Regierung aber als „Ancien Regime“ erwiesen. Es ist unsere Aufgabe, die Reformaufgaben gemeinsam zu stemmen und zum Erfolg zu bringen. Dafür hängen wir uns gemeinsam ins Geschirr.

Kanzler Schröder trifft Ende des Monats in New York Präsident Bush. Wird ein Strich unter die Spannungen gezogen?

Das weiß ich nicht. Bündnisse von Demokratien sind nie konfliktfrei. Im Nato-Rat steht ein wunderbarer lateinischer Satz: Animus in consulendo liber – „hier beraten freie Geister“. Das ist die Grundlage des Bündnisses, ungeachtet der unterschiedlichen Gewichte und Interessen. Das Zusammenwachsen Europas wird immer wieder Befürchtungen, Besorgnisse und Widersprüche auslösen. Gleichzeitig wird es einen Partnerschaftsgewinn geben. Ein stärkeres Europa liegt im Interesse unseres transatlantischen Partners.

Wie wird man in 20 Jahren auf den 11. September schauen: Amerika ist nach Eskapaden in die Weltgemeinschaft zurückgekehrt?

Das Wort Eskapaden ist schlicht falsch. In der Irak-Frage gab es einen strategischen Dissens. Aber eine Welt von sechs Milliarden Menschen wird multilateral sein. Die „Empire“-Debatte halte ich aus zwei Gründen für realitätsfern. Die USA sind ein großes Land, das nach innen blickt und seine Interessen in der Welt hat, aber in der Mehrheit wollen die Amerikaner keine imperiale Nation sein. Zweitens ist selbst die in der Geschichte der Menschheit einmalige Macht der USA zu gering, um globale Ordnung allein herzustellen.

Mit Fischer sprachen Stephan-Andreas Casdorff, Christoph von Marschall und Hans Monath.

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