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Politik: „Wir werden kämpfen“

Die Türken wollen sich von Extremisten nich einschüchtern lassen – für sie sind die Bomben ein Angriff auf die Nation

„Wir überlassen diesen unmenschlichen Terroristen doch nicht das Feld“, empört sich Sebahattin Demir. „Wir werden kämpfen!“ Kaum 24 Stunden ist es her, da sprang der 34-jährige Taxifahrer kurz vor dem britischen Bankhochhaus im Istanbuler Stadtteil Levent aus seinem Wagen und rannte vor den herumfliegenden Trümmern der Bombenexplosion davon. Wegen der rosa Rauchwolke glaubte Demir zunächst an einen Gasangriff; aus Angst und durch Schock erlitt er einen Kreislaufzusammenbruch. Einen Tag später fährt er den Explosionsort schon wieder an, um einen Kunden neben dem zerstörten Bankgebäude abzusetzen. „Das Leben muss weitergehen“, sagt Demir.

Glasscherben klirren und knirschen überall in der Levent-Straße neben dem zerbombten Bankgebäude. Containerwagen der Müllabfuhr rangieren durch die belebte Geschäftsstraße, um die Scherbenhaufen einzusammeln; gleichzeitig liefern offene Kleinlaster von Glaserbetrieben schon Dutzende neue Schaufenster an. Die meisten Ladenfronten klaffen fensterlos, doch die Geschäfte sind geöffnet. Ihre Kunden steigen über Trümmer und drücken sich an den Glasern vorbei; manche tragen einen Verband am Kopf oder am Arm. „Gecmis olsun“ – möge dies vergehen – wünschen sich Verkäufer und Kunden gegenseitig, doch dann wird gekauft und verkauft.

„Wir Türken sind ein Volk, das nicht so leicht einzuschüchtern ist“, sagt Ortsbürgermeister Yusuf Namoglu, der in der Levent-Straße überall Hände drückt und finanzielle Hilfe für geschädigte Geschäftsleute verspricht. „Es muss weitergehen“, sagt ein Kunde vor der zertrümmerten Ladenzeile. „Wir dürfen uns nicht von der Angst besiegen lassen.“ In seltener Einmütigkeit spiegelt die türkische Presse am Freitag diese Entschlossenheit wider. „Sie werden uns nicht unterkriegen“, titelte die liberale „Milliyet“ – eine Aussage, die sich in verschiedenen Formulierungen in den Überschriften und Leitartikeln fast aller Zeitungen quer durch das politische Spektrum wiederholte. Statt eines Bildes der Verwüstung wählte „Milliyet“ als Foto ein Bild von zwei weinenden Frauen, die sich gegenseitig stützten – die eine mit Kopftuch und die andere ohne. Sinnbilder der gesellschaftlichen Lager in der Türkei.

„In schweren Tagen wie diesen rücken die Türken zusammen“, sagt auch Taxifahrer Demir. „Das war nach dem Erdbeben so, und gegen den Terror werden wir das jetzt wieder so halten.“ Ziel der Terroristen, davon sind die meisten Türken überzeugt, sind sie selbst – ihr Staat, ihre Werte, ihre Demokratie und ihre Anbindung an den Westen. Die Türkei sei im Visier des Terrors, weil sie den lebenden Beweis dafür erbringe, dass ein islamisches Land demokratisch, entwickelt und modern sein könne, meint Chefredakteur Ertugrul Özkök von der größten türkischen Zeitung, „Hürriyet“. Sie beweise damit zugleich, dass der Islam ein menschlicher, friedlicher und zeitgemäßer Glaube sei – und auf diesen Beweis hätten es die finsteren Kräfte des Terrors abgesehen.

„Wie eine Faust wird sich die Türkei gegen diese verfluchten Taten zusammenschließen“, schwor Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. „Die Türkei wird sich keinesfalls dem Terror beugen, sie wird ihren Kampf gegen den Terrorismus fortsetzen“, erklärte Außenminister Abdullah Gül.

Die politische Debatte darüber, wie dieser Kampf geführt werden soll, hat am Freitag kaum begonnen, doch dass darüber bald mehr gesprochen wird, spürt man in der Levent-Straße. „Die Terroristen wollen unseren Lebensmut untergraben, um unser Land zu destabilisieren“, schreibt die Zeitung „Vatan“. „Unsere Aufgabe ist es deshalb jetzt, zu leben.“

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