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Unnachgiebig. Regierungschef Erdogan fordert weiterhin das Ende des Assad-Regimes. Deshalb unterstützt er nach Kräften Syriens Opposition. Foto: Riza Ozel/dpa

© picture alliance / dpa

Politik: „Wir werden zur Zielscheibe“

Premier Erdogan gerät wegen seiner Haltung im Syrien-Konflikt im eigenen Land zunehmend unter Druck.

Die Türkei ist offenbar tiefer in den Syrien-Konflikt verwickelt als bisher bekannt. Nach Recherchen der Opposition in Ankara toleriert die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan umfangreiche Waffenlieferungen arabischer Staaten an die syrischen Rebellen über türkisches Gebiet und die Anwesenheit radikalislamistischer Kämpfer an der Grenze zu Syrien. Damit werde die Türkei zur Zielscheibe möglicher syrischer Vergeltungsschläge, sagen Erdogans Kritiker in Ankara. Die türkische Armee verstärkt derweil ihre Verteidigungsstellungen.

Erdogan fordert seit langem ein internationales Eingreifen in Syrien, um Präsident Baschar al Assad zu stürzen. Mit Blick auf die erwarteten Militärschläge der USA als Reaktion auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz durch das Regime am 21. August sagte der türkische Premier, eine Aktion von ein oder zwei Tagen sei nicht ausreichend. Das Assad-Regime „müsse zur Aufgabe gezwungen“ werden. Auch Regierungssprecher Bülent Arinc warnte, eine Nadelstich-Aktion der USA würde das Leid in Syrien nur noch vergrößern. Die Militärschläge müssten dafür sorgen, dass die syrische Regierung hinterher „nicht mehr auf die Beine kommt“.

Womöglich tut auch die Erdogan-Regierung selbst einiges dafür, um dieses Ziel zu erreichen. Offiziell lautet die Linie zwar, dass Assads Gegner politisch und humanitär unterstützt werden, aber nicht militärisch. Doch die Opposition in Ankara ist überzeugt, dass in Wirklichkeit sehr wohl militärisch geholfen wird.

Atilla Kart, ein prominentes Mitglied der Oppositionspartei CHP, hat nach eigenen Angaben Beweise dafür, dass allein zwischen Januar und Mitte April dieses Jahres 16 Transportmaschinen der saudiarabischen Streitkräfte auf dem Flughafen von Ankara landeten. Mitte August seien weitere saudische Flugzeuge in Ankara entladen worden, sagte Kart dem Tagesspiegel in Istanbul.

Offenbar hätten die Jets Waffen für syrische Rebellen oder sogar Kämpfer für den Krieg gegen Assad in die Türkei gebracht, sagte der Oppositionspolitiker. Der Flughafen sei zu einer Drehscheibe des militärischen Nachschubes für die Rebellen geworden. Schon im Frühjahr hatte es mehrere Presseberichte über groß angelegte arabische Waffenlieferungen für die syrischen Kämpfer über die Türkei gegeben. Demnach wird das Kriegsgerät von Ankara aus per Lastwagen nach Syrien gebracht.

In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage Karts bestätigte die Regierung, dass saudische Maschinen in Ankara landeten, sprach aber von humanitären Hilfsgütern, die aus Saudi-Arabien in die Türkei gebracht worden seien. Genauere Angaben über den Inhalt der Lieferungen enthielt die Antwort nicht, wohl aber den Hinweis darauf, dass die Türkei bei der „Entstehung eines neuen Syriens“ mithelfen wolle.

Kart und Politiker der Kurdenpartei BDP werfen der Regierung zudem vor, im Grenzgebiet den Kämpfern der islamistischen Nusra-Front freie Hand zu geben. Lokalpolitiker aus der Region berichten von verwundeten Kämpfern, die sich in türkischen Krankenhäusern behandeln ließen; die Nusra-Front hatte sich in den vergangenen Woche heftige Gefechte mit syrischen Kurden geliefert.

„Die Türkei wird zur Zielscheibe und zur Partei“ des Syrien-Konflikts, sagte Kart. Dies sei nicht nur ein Verstoß gegen türkische Gesetze, die eine Parlamentsbeteiligung bei Entscheidungen über ein solches Engagement in einem anderen Land vorschreiben, sondern auch „außerordentlich gefährlich“.

Nach Meinung von Sinan Ülgen, dem Vorsitzenden der Istanbuler Denkfabrik EDAM, war eine derartige Entwicklung sehr wohl abzusehen. „Erdogan hat sich schon früh festgelegt und die Türkei bei jenen Staaten eingereiht, die die Speerspitze gegen Assad bilden“, sagte Sinan Ülgen. „Und diese Festlegung bringt Risiken mit sich.“

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