zum Hauptinhalt
Wladimir Putin.

© imago

Wladimir Putins Plan auf der Krim: Russlands Präsident - alles außer Schwäche

Und jetzt die Krim. Was bezweckt Wladimir Putin mit seinem Vorgehen? Bezweckt er überhaupt etwas? Jetzt steht er im Zentrum der Weltpolitik wie nie zuvor. Aber wer ist der Mann eigentlich?

Der Konflikt ist da. Die Tatsachen sind geschaffen nach dem Krim-Referendum. Und in Konflikten muss man seine Gegner kennen. Aber kennt Europa seinen Gegner, den es vielleicht nur für einen Gegenspieler hält? Wer ist Wladimir Putin und wie tickt er?

Diese Frage stellte sich Russland bereits im Sommer 1999, als Präsident Boris Jelzin den damaligen Geheimdienstchef zum Ministerpräsidenten und damit zu seinem designierten Nachfolger machte. Mit der Quasi-Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel und der ebenso handstreichartigen Erklärung ihrer Unabhängigkeit beschwört Putin die gefährlichste Krise nach Ende des Kalten Krieges herauf. Schon heißt es, ein Ende jenes Krieges habe es für Putin nie gegeben, nur eine Pause. Sie habe mit der Auflösung des Warschauer Vertrags 1991 begonnen, gerade gehe sie zu Ende.

Was bezweckt Putin?

Mit dem Krim-Konflikt ist Putins strategische Geduld mit dem Westen aufgebraucht. Der machte ihm trotz der russischen Unterstützung nach dem 11. September 2001 seine Einflusssphären streitig und unterläuft Putins Versprechen, dass die Nato niemals an russisches Gebiet grenzen werde. Dafür nimmt der russische Präsident große Risiken in Kauf, setzt den Rubel und die Aktien russischer Unternehmen aufs Spiel und damit die Loyalität seiner Paladine, die er sich durch Förderung ihrer Geschäftsinteressen erkaufte. Auch dem russischen Volk gegenüber könnte er wortbrüchig werden, dem er einst sagte: Es wird euch besser gehen.

Was hat Putin, der für gewöhnlich rational denkt und Schachzüge seiner Gegner oft im Voraus erahnt, mit seinem Krim-Abenteuer geritten? Was bezweckt er? Bezweckt er überhaupt etwas? Hat er womöglich einen Plan B, sogar einen Plan C mit mehreren Handlungsebenen? Oder hat er sich, weil diesmal die Emotionen mit ihm durchgingen, nur grandios verspekuliert und verrannt?

Fragen, auf die es nach der jüngsten Volte Putins keine Antwort gibt. Auch am heutigen Dienstag vermutlich nicht, da der Kremlherr zur Erläuterung russischer Politik auf der Krim Duma und Senat, Provinzfürsten und Zivilgesellschaft in seinen Palast geladen hat. Es ist die Verkündung eines Willensaktes, Fragen stellen nicht erlaubt. Vor einem in Ehrfurcht erstarrten Publikum.

Ohne an dieses auch nur einen Blick zu verschwenden, wird Putin mit dem Glockenschlag drei Uhr nachmittags durch die stuckvergoldete, von weißbehandschuhten Gardisten geöffnete Flügeltür des Kremlpalastes rauschen und mit zu Bronze erstarrtem Gesicht dem Rednerpult unter dem zentnerschweren Kronleuchter aus Bergkristall zustreben. Unangreifbar und unnahbar wie byzantinische Gottkaiser. Seine Reden an die Nation folgen immer demselben Muster.

Nicht einmal seine wenigen Freunde lasse Putin in sein Innerstes blicken

Nicht einmal seine wenigen Freunde lasse Putin in sein Innerstes blicken, behaupten Kenner der Materie. Selbst die Nähe von Ehefrau Ludmila mied er zunehmend, wie diese klagte, als das Paar im letzten Sommer die geplante Scheidung bekannt gab. Niemand weiß, ob sie bereits vollzogen wurde. Fragen zu seinem Privatleben hat Putin sich bei seiner letzten Jahrespressekonferenz im Dezember schon vorab ausdrücklich verbeten.

Zu den Konstanten zählen bei Putin Willensstärke, Disziplin, Pflichtbewusstsein und bedingt auch Treue. Nie, so heißt es, habe er einen Freund verraten. Aber hat es die Welt mit demselben Mann zu tun, den Russlandexperte Alexander Rahr als den „Deutschen im Kreml“ beschrieb? Damals galt er im Westen noch als Hoffnungsträger. Der späte Putin indes strotzt vor Machtbewusstsein, folgt einem fast zwanghaften Drang, Stärke zu zeigen, und zur Improvisation, was ja auch eine Kriegskunst ist, eine Art Experimentalwissenschaft mit den Nerven der anderen. Angela Merkel brach der Angstschweiß aus, als bei Konsultationen auf einem der Landsitze des Kremlchefs Conny auf dem Teppich lag: Putins schwarze Labrador-Hündin. Das war nicht vorgesehen, das Protokoll hatte den Kremlchef ausdrücklich gewarnt, die Kanzlerin sei durch einen Hundebiss traumatisiert.

Wladimir Putin hoch zu Ross.
Wladimir Putin hoch zu Ross.

© Reuters

„Es war seit Jahren offensichtlich, dass da etwas nicht stimmt mit Wladimir Putin“, schreibt jetzt der Schriftsteller Frederick Forsyth. „Jeder mittelalte Mann, der darauf besteht, fotografiert zu werden, während er in homoerotischen Posen barbrüstig durch Sibirien reitet, seine Muskeln spielen lässt und mit dem Sturmgewehr posiert, hat ein Problem.“ Er fühle sich eben zu klein – und bedroht. Entsprechend handelt er. Den vom Aussterben bedrohten sibirischen Kranichen flog er mit einem Segelflieger auf der Eismeer-Halbinsel Jamal voran, um den in Gefangenschaft geschlüpften Vögeln den Weg in die Winterquartiere im Süden zu weisen. Dafür bezahlte er mit Prellungen der Hüfte, die sofort für wochenlange Spekulationen über Gesundheitszustand und Handlungsfähigkeit sorgten. Im Fernen Osten kuschelte Putin mit einem ebenfalls vom Aussterben bedrohten Tiger und legte ihm höchstselbst das Halsband mit dem Ortungssender um.

Putin könne wie ein Schauspieler Tränen fließen lassen

Alles nur für die Kamera, behaupten ehemalige Weggefährten, die zur Opposition übergelaufen sind. Putin könne wie ein Schauspieler Tränen fließen und im rechten Moment wieder versiegen lassen. Empathie gehöre nicht zu seinen starken Seiten. Als sein politischer Ziehvater und Ex-Bürgermeister von St. Petersburg, Anatoli Sobtschak starb, hatte Putin sehr nahe am Wasser gebaut. Als im August 2000 das Atom-U-Boot „Kursk“ mit 130 Mann an Bord nach einer verkorksten und verschleppten Rettungsaktion unterging, machte Putin Urlaub in Sotschi und schwieg. Obwohl es die erste große Katastrophe nach seiner Machtübernahme war und er hätte wissen müssen, dass sein Verhalten dabei sich der Nation für immer einprägen würde. Erst zwei Wochen später raffte er sich dazu auf, den Hinterbliebenen in die Augen zu sehen.

Doch der Kreml hat aus den Kommunikationsdesastern gelernt, als die die missglückten Geiselbefreiungen von Beslan und in einem Moskauer Kino gelten. Freie Medien gibt es kaum noch, die Zustimmung für Putin ist hoch. Das Staatsfernsehen setzt Putin als Kerl mit Zukunft in Szene, obwohl er sie aufs Spiel setzt. Er brettert auf aberwitzig steilen Skipisten zu Tal, zwingt kampferprobte Judoka auf die Matte. Und bei Benefiz-Galas wagt er sich inzwischen sogar ans Klavier. Früher tat er das nur bei Kameradschaftsabenden der Tschekisten. Ja, im Fernsehen ist Putin eine Art Superheld, der bei seinem ersten Tauchgang eine antike Amphora aus dem schlammigen Grund des Asowschen Meeres barg. Ein Glück, von dem so mancher Archäologe sein ganzes Leben lang vergeblich träumt. Umso größer daher die Enttäuschung, als Putin sich 2007 bei der Tauchfahrt zum Nordpol, den Russland dabei durch eine in 4000 Meter Tiefe in den Meeresboden gerammte Trikolore symbolisch in Besitz nahm, durch einen Duma-Vizepräsidenten vertreten ließ.

Putin, so scheint es, glaubt, sich und dem Rest der Welt immer aufs Neue beweisen zu müssen, dass er ihn tatsächlich geschafft hat, den kometenhaften Aufstieg eines in ärmlichen Verhältnissen in einem Petersburger Proletenviertel geborenen, schmächtigen Jungen zu einem der mächtigsten und, wie es heißt, auch reichsten Männer weltweit. Denn als 1989 die Mauer in Berlin fiel, sah er sich bereits für den Rest seines Lebens als Taxifahrer jobben. Doch schnell überwand er die Schockstarre, frischte alte Kontakte in St. Petersburg auf, wurde dort Vizebürgermeister, machte dann in Moskau im Geheimdienst Karriere und wurde schließlich dessen Chef.

Für die Blitzkarriere kamen ihm offenbar auch Techniken zupass, mit denen er sich einst gegen Ältere und Stärkere auf den Petersburger Hinterhöfen zur Wehr setzte: täuschen, tricksen, treten.

Zur Startseite