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Politik: Wo der Wähler Halt sucht

Von Tissy Bruns

Mit zwei großen Vorteilen geht das Regierungslager in das Jahr 2005. Da ist einmal der überraschende – vor einem halben Jahr undenkbare – Befund der Trendwende zulasten der Opposition. Die Union scheint ganz verzagt, während sich an der sozialdemokratischen Basis wieder Kampfeswillen zeigt. Das wiegt schwer, denn das wichtigste Kapital politischer Parteien in Wahl und Vorwahlzeiten ist die Motivation, die Mobilisierbarkeit ihrer eigenen Leute. Und zweitens wissen bei SPD und Grünen Freund und Feind, wer den Hut aufhat.

Das ist im Fall der SPD erstaunlich, denn für eine Arbeitsteilung zwischen Kanzler und SPD-Chef gab es bisher kein geglücktes Beispiel. Zwischen Gerhard Schröder und Franz Müntefering aber ist die Rechnung aufgegangen. Schröder, befreit von allen Partei-Interna, konnte in ein neues Format hineinwachsen. Nicht erst die Flut, vor allem die Krisen des letzten Jahres haben seinem Bild eine neue Facette zugefügt: Festigkeit. Damit verkörpert der Bundeskanzler auch die für die Bürger so immens wichtige Botschaft der Geschlossenheit. Man weiß nicht viel darüber, was in diesem Jahr noch kommen wird, so viel scheint aber doch gewiss: Was gemacht werden muss, bringen Schröder, Müntefering und Fischer ihren Parteien und den Leuten schon bei. Und dass mit Schwung und Nachdruck sehr viel Neues angepackt wird, danach drängt es die meisten Bürger nicht, die den schwierigen Teil der Agenda-Reformen erst jetzt am eigenen Leib erleben.

Die Not ist also nicht so furchtbar groß, noch einmal energisch Reformkraft zu beweisen. Das politische Kräfteverhältnis lässt trotz des Zwischentiefs der Union ohnehin keine großen Sprünge zu. Und bis zur nächsten Bundestagswahl müssen immer noch 21 Monate vergehen. Trotzdem ist das Jahr für die regierenden Parteien unberechenbar. Ende Mai wird in Nordrhein-Westfalen gewählt. Trotz besser gewordener Werte für Schröder und die SPD sehen führende Sozialdemokraten und Grüne illusionslos, dass ein Machtwechsel in Düsseldorf symbolisch und praktisch ein starkes Signal für den in Berlin wäre.

In den starken Pendelausschlägen der politischen Stimmungen spiegelt sich wider, wie eine in Bewegung geratene Bevölkerung verunsichert immer wieder nach Orientierung sucht. Vertrauen und Hoffnung wenden sich wechselhaft dahin, wo Stärke und Handlungsfähigkeit vermutet werden – diesen Effekt konnte Gerhard Schröder im letzten Bundestagswahlkampf auf sich lenken. Weil die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen seit vierzig Jahren regieren, weil das Land das alte sozialpartnerschaftliche und das neuere rot-grüne Modell für Regierungspolitik aus dem linken Lager repräsentiert, wäre ein schwarz-gelber Wahlsieg ein unüberbietbarer Nachweis der Stärke für Union und FDP. SPD und Grüne wären ab sofort in der Situation der Gejagten.

Es steht aber sehr in Frage, ob ein rot-grüner Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen umgekehrt einen ähnlich beflügelnden Effekt haben würde. Jedenfalls auf den zweiten Blick, der fällig wird, wenn CDU und FDP die innerparteilichen Erschütterungen nach einer Niederlage verdaut haben werden. Von der rot-grünen Bundesregierung wird dann erwartet, dass sie spürbar regiert. Bisher ist von derartigen Absichten nichts bekannt geworden.

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