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Politik: Wo ist vorwärts?

DER ZUSTAND DER SPD

Von Markus Feldenkirchen

Da treffen sich diese Woche zwei Sozialdemokraten an einem Kiosk am Rande des Reichstags. „Weißt du, was das Gute an der Parteikrise ist?“, fragt der eine. „Nein“, sagt der andere. „Na, dass wir, die SPD, in den Umfragen zum ersten Mal besser dastehen als der Kanzler.“ Galgenhumor in desaströsen Zeiten, da die Partei in den Umfragen jenseits von Gut und Böse rangiert – in jedem Fall aber unter 30 Prozent.

Die AntiKriegs-Euphorie, in der die Fraktionsgenossen ihren „Che Guerhardo“ mit stehendem Applaus zum Helden erheben, ist nur der Schleier, mit dem der müde Zustand der Partei verdeckt wird. Noch glauben die Genossen an ihren Chef, glauben an einen sozialdemokratischen Auftrag: den Irak vor Bomben zu retten. Bush als Kitt, der die SPD zusammenhält. Ist die Krise am Golf beendet, wird man die Leere der Partei besichtigen können. Denn der wiedergefundenen Pazifismus, eine der kräftigsten Wurzeln der Partei, ist das einzige Projekt, für das sich gemeinsam jubeln lässt.

Kurz vor ihrem großen Geburtstag, 140 Jahre nach der Gründung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ durch Ferdinand Lassalle, wirkt die SPD so verbraucht wie selten zuvor in ihrer stolzen Geschichte. Unter Gerhard Schröder ist den Genossen die Identität geschwunden. In Apathie und Orientierungslosigkeit steht die Basis hilflos vor ihren Wählern und sich selbst. Der einstige Stolz der Partei, gewachsen durch Phasen des Verbots, der Verfolgung und des Terrors, ist heute verkümmert.

Natürlich wissen auch die meisten Genossen, dass sich das lahmende Land nur mit einem großen Wurf, einem Bündel an einschneidenden Reformen wiederbeleben lässt. Es dämmert die Einsicht, dass diese Medizin ziemlich unsozialdemokratisch sein muss, wenn sie helfen soll. Es dämmert, dass es in den Ortsvereinen, den Keimzellen sozialdemokratischer Romantik, nie wieder so kuschelig wird, wie es einmal war. Für die SPD, die mehr Wärme braucht als andere Parteien, damit ihr Herz kräftig schlagen kann, ist das eine grausame Erkenntnis. Um damit umzugehen, bräuchte sie einen Chef, der nicht nur im Wahlkampf und in der Irak-Krise ihre Gefühlswelt respektiert.

Jetzt steht die Regierungspartei erstarrt vor dem Reformberg. Noch sind die Reformradikalen nur Einzelkämpfer wie Wolfgang Clement, sorgsam bekämpft von der Linken. Dabei sind auch ihr die Voraussetzungen für ur-sozialdemokratische Politik mit der Globalisierung längst weggeschwommen: das üppige Wirtschaftswachstum, die überschaubaren Grenzen des Nationalstaats oder die Heiligkeit von Flächentarifverträgen.

Neue Antworten hat die Partei nicht gefunden. Wie auch? Spätestens seit Schröder zum obersten Genossen aufstieg, ist sie als kreatives Denkzentrum, als produktives Streitwerk stillgelegt. Gebraucht wird die Partei vor allem als Plakatekleber oder als Broschürenverteiler in Fußgängerzonen. Schon nach gut vier Regierungsjahren erinnert die SPD an die CDU in der Spätphase Kohls. Die hatte unter der Last des Dicken Kraft und Selbstbewusstsein verloren, auch Identität.

Die SPD ist auf die kommenden Aufgaben nicht vorbereitet. Sie wurde nicht mitgenommen, sondern betäubt mit schlauen Slogans. Die Begriffspaare der Parteidesigner wie „Innovation und Gerechtigkeit“ oder „Sicherheit im Wandel“ klingen schick. Allein, es fehlt die Substanz. Schröder wollte nach 1998 keine breiten Programmdebatten mehr, weil sich die Partei in den 16 oppositionellen Jahren davor beinahe um den Verstand, sicher aber um die Macht geredet hatte. Doch spätestens nach dem 11. September hätte die Führung der Partei die Debatte wieder eröffnen, Gedankenfreiheit geben und die Partei in Diskussionen verwickeln müssen über das Sozialdemokratisch-Sein in einer widrigen Welt. Darüber, wie man Gerechtigkeit trotz Globalisierung erhalten kann. Dieses Versäumnis lässt sich mit einer Turbo-Programmdiskussion, wie sie Generalsekretär Scholz jetzt plant, kaum nachholen.

Für Schröder ist die Mitnahme seiner SPD auch persönlich die einzige Chance. Spätestens jetzt, da er ihr in den Umfragen nicht mehr vorauseilt, muss er dafür sensibel werden. Die 140 Jahre alte SPD kann gut und gerne auch doppelt so lange existieren. Wenn sie ihre Grundwerte in der Zukunft verankert.

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