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CDU-Politiker Wolfgang Bosbach.

© dpa

Wolfgang Bosbach über Sterbehilfe: Patienten müssen mehr selbstbestimmen können

Es ist eine der schwierigsten Entscheidungen überhaupt: Soll Sterbehilfe erlaubt werden oder nicht? Beim Tagesspiegel schreiben Ärzte und Politiker, was sie ganz persönlich darüber denken. Teil zwei.

Nur wenige gesellschaftspolitische Themen werden seit Jahren so leidenschaftlich, aber auch so kontrovers diskutiert wie das der „Sterbehilfe“. Mit dem Status quo ist eigentlich niemand so recht zufrieden. Aber jeder Änderungsvorschlag findet nicht nur Zuspruch, sondern auch mehr oder weniger heftige Kritik. Das mussten auch jene Wissenschaftler erfahren, die Ende August einen Gesetzentwurf zum „assistierten Suizid“ vorlegten. Danach soll zwar die Beihilfe zum Suizid grundsätzlich unter Strafe gestellt werden (obwohl die Haupttat straflos bleiben soll), was aber wiederum für Angehörige, Nahestehende und Ärzte nicht gelten soll.

Dies aber nur dann, wenn der Patient an einer Krankheit leidet, die unheilbar ist und in absehbarer Zeit zum Tode führt. Was aber ist eine „absehbare Zeit“? Und soll es zukünftig tatsächlich so sein, dass die Unterstützung des Arztes bei der Selbsttötung seines Patienten zur ärztlichen Aufgabe wird? Soll dieses ärztliche Angebot ergänzend zur palliativmedizinischen Versorgung hinzutreten? Vielleicht sogar als Regelleistung der Krankenkassen?

Kaum hatte der Chef der Bundesärztekammer kritisch zu Protokoll gegeben, dass „die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe“ sei, wurde dies als eigentlich irrelevante Äußerung von Ärzte-Funktionären abgetan. Gerade so, als hätten Montgomery und seine Kolleginnen und Kollegen in der Bundesärztekammer noch nie persönliche Erfahrung im Umgang mit Schwerstkranken gehabt, noch nie die Hand eines Todkranken gehalten.

Der Patient trifft die letzte Entscheidung

In den letzten Jahrzehnten hat die Rechtsprechung das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten kontinuierlich gestärkt. Und das war auch gut so! Auch medizinisch indizierte, vielleicht sogar dringend notwendige Heilbehandlungsmaßnahmen dürfen nicht vorgenommen werden, wenn der Patient hiermit nicht einverstanden ist. Und wenn ein Patient „nein“ sagt, dann trifft ihn auch keine Begründungspflicht gegenüber den behandelnden Ärzten. Rustikal formuliert: Auch der vielleicht objektiv unvernünftige Wunsch des Patienten ist zu respektieren! Der Arzt muss umfassend und zutreffend aufklären (am besten in einer Sprache, die auch der Nicht-Mediziner versteht). Er muss Chancen und Risiken eines Eingriffs abwägen – am besten gemeinsam mit dem Patienten.

Aber die endgültige Entscheidung trifft der Patient, nicht der Arzt. Das gilt sogar in Situationen, in denen es um das (Über-)leben eines Patienten geht. Stichwort: „Patientenverfügung“. Hier geht es nicht um eine akute Willensäußerung für oder gegen die Vornahme bestimmter medizinischer Eingriffe. Es geht um die vorweggenommene Entscheidung für eine Situation, in er man selber seinen Willen nicht mehr äußern kann. Das wiederum kann sehr schwierig sein! Wer beispielsweise vorab festlegt, dass er „unter keinen Umständen künstlich beatmet und/oder ernährt werden will“, sollte sich gut überlegen, ob das auch dann gelten soll, wenn dies nur kurzfristig medizinisch notwendig ist, z.B. nach einem Unfallereignis.

Häufig geht es bei derartigen Verfügungen auch um das Thema „Sterbehilfe“, weil sich – leider – bei vielen Menschen der Eindruck verfestigt hat, als sei es in Deutschland, wegen der geltenden Rechtslage, in viel zu vielen Fällen überhaupt nicht möglich, ohne unerträgliche Schmerzen, langes Leiden und in Würde zu sterben. Dafür müsse man wohl „in die Schweiz“. Und die dort ansässigen Organisationen helfen auch kräftig dabei mit, diesen Eindruck systematisch zu verstärken – dies fördert ihr Geschäftsmodell. Folglich war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch in Deutschland vergleichbare Organisationen etablieren, mit zum Teil abenteuerlichen „Geschäftsideen“. So präsentierte Ex-Justizsenator (!) Robert Kusch schon vor einigen Jahren voller Stolz eine Selbsttötungsmaschine, die dann Ende 2010 tatsächlich zum Einsatz kam: Die Person wollte nach dem Tod des Ehepartners nicht mehr leben. Ging es hier im Kern wirklich um Sterbehilfe – oder war nicht eher Lebenshilfe gefragt? Hilfe bei der Bewältigung einer schweren, existentiellen Lebenskrise. Kusch berichtet, dass das Durchschnittsalter der Selbstmörder bei nur 73 Jahren läge – und damit etwa 10 Jahre unter der durchschnittlichen Lebenserwartung der Bevölkerung.

Die schwerste Entscheidung, die ein Mensch treffen kann

In Kürze wird der Deutsche Bundestag darüber entscheiden, ob es in Deutschland ein Verbot dieser Form von geschäftsmäßiger Beilhilfe zum Suizid, also ein Verbot der organisierten, kommerzialisierten Hilfe der Selbsttötung geben soll. Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, dass auch diese Initiative wieder zu heftigen Reaktionen führen wird. Zumal gerade beim Thema „Sterbehilfe“ die Emotionen rasch sachliche Argumente überlagern. Aber ist das angesichts des Themas wirklich ein Wunder?

Nicht nur Menschen am Lebensende haben Angst vor dem Tod. Viele befürchten unerträgliche Schmerzen und langes Leiden. Sie haben die große Sorge, kein selbstbestimmtes Leben mehr führen zu können, oder auch „nur“ die Angst vor dem Alleinsein, dem Alleingelassenwerden. Wir stehen staunend vor den Möglichkeiten der modernen Apparatemedizin. Und fragen uns gleichzeitig, ob wir im Falle des Falles tatsächlich alles medizinisch Mögliche für uns in Anspruch nehmen wollen. Dies ist eine ganz individuelle, höchst persönliche Entscheidung. Die mit Abstand schwerste, die man treffen kann.

In einer solchen Situation brauchen die Betroffenen in erster Linie Rat, Hilfe, Empathie, Beistand. Ihnen ihre Ängste und Sorgen zu nehmen, konkrete Hilfen anzubieten und sie nicht alleine zu lassen, das wäre die Aufgabe einer wirklich humanen Gesellschaft. Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung, der stationären und ambulanten Hospizarbeit – das wären die richtigen Antworten auf diese wahrhaft existentiellen Sorgen der Betroffenen. „An der Hand, nicht durch die Hand eines Menschen“ – so wolle sie sterben, hat Bischöfin Margot Käßmann einst gesagt. Zugegeben: Alternativlos ist das nicht. Aber ist es nicht die bessere Alternative?

Wolfgang Bosbach

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