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Politik: Wolfgang Clement bemüht sich, Gefühl zu zeigen

Der Düsseldorfer Regierungschef verbreitet gute Laune. Aber zu siegesgewiss darf er sich nicht gebenTissy Bruns Sie kam in Leder.

Der Düsseldorfer Regierungschef verbreitet gute Laune. Aber zu siegesgewiss darf er sich nicht gebenTissy Bruns

Sie kam in Leder. Doch davon erzählt der Ministerpräsident nichts. Wolfgang Clement sitzt umringt von Journalisten im Wahlkampfbus und schwärmt sachlich vom Vorabend: "500 Leute, die mich unterstützen, aus der Wirtschaft, Wissenschaftler, viele nicht aus der SPD." Er war dabei, als die "Wählerinitiative Pro Clement" in Bochum aus der Taufe gehoben wurde. Dabei war auch Überraschungsgast Verona Feldbusch, im orangefarbenen Lederanzug. Und ein Fotograf, der das Zusammentreffen der Welten von Clement und Feldbusch für das Publikum des regionalen Boulevardblatts "Express" festgehalten hat.

Doch davon, wie gesagt, erzählt der Ministerpräsident den Journalisten im Bus nichts. Der Wahlkämpfer Clement weiß, was wo und wie am besten wirkt: Verona für die Leser, Wirtschaft und Wissenschaft für die Schreiber. Von Verona redet Clements Mann aus dem Pressestab, und auch darüber, wie lange der Abend in Bochum gedauert hat - bis drei Uhr - und wie früh der Morgen in Bonn wieder angefangen hat. Um sechs, denn Clements Tag beginnt mit Joggen. Dann ein Redaktionsbesuch. Das übliche Ministerpräsidentenprogramm: Termine, Termine. Schließlich der Wahlkampf. Eins, zwei, drei Auftritte pro Tag absolviert Clement in dieser Woche - der Pressemann spricht mit aufrichtiger Bewunderung.

Für Clement ist die Anstrengung kein Thema. "Ich bin fit", sagt er gern oder auch: "Wir sind gut drauf, psychisch und physisch." In Essen hat er einen 17-Uhr-Auftritt, eine Tageszeit, die professionelle Wahlkämpfer ein bisschen heikel finden: Welcher Normalbürger hängt Politik schon gern direkt an den Arbeitstag? Die Veranstaltung findet im Saalbau statt, einem Essener Traditionsgebäude aus den Zeiten der frühen Bundesrepublik. Düsterer Prunk, überwiegend in Dunkelbraun, hängt über der Versammlung, die geduldig auf Clement wartet. Denn der muss erst durch den Kamera-Pulk ("Alles Quatsch, die Meldungen mit der FDP-Koalition") und anschließend an den Kaffeetisch mit den SPD-Lokalgrößen. Small-talk.

"Heimat und High Tech", sagt Clement in einem Wahlkampfspot, "das geht hier bei uns zusammen." Im Essener Saalbau auch. Das Publikum, überwiegend Genossinnen und Genossen, hohes Durchschnittsalter, wirkt ganz so, wie man sich das traditionelle Ruhrgebiet vorstellt. Auf der Bühne erstrahlt die Region hingegen global. Da schimmert ein blauer Erdball, auf dem sich die Städte zwischen Duisburg und Dortmund über die gesamte nördliche Halbkugel erstrecken. In der Mitte dieser Welt liegt Essen. Clement kommt. Man erhebt sich. Man klatscht. Schilder werden hochgereckt. Die obere Hälfte verkündet Weiß auf Rot: Clement. Die untere Rot auf Weiß: 2000.

Die Genossinnen und Genossen auf dieser Wahlveranstaltung sind - im wahrsten Sinne des Wortes - ganz die Alten. Und doch wirkt alles anders bei dieser Ruhrgebiets-SPD, die im Jahr 2000 um Wähler kämpft. Und anders auch ihr Spitzenmann. Man sitzt und sieht und rätselt. Da fehlt doch was: "Wir in Nordrhein-Westfalen" hat jeder SPD-Wahlkampf unter Johannes Rau angefangen. Die SPD hat ihre wärmende Formel aufgegeben. Sie geht jetzt kühleren Blutes "Richtung Zukunft". Und ihr Spitzenkandidat? Ihm fehlt - die Brille. Im Bildgedächtnis jedenfalls ist Wolfgang Clement als der mit dem überlegenen Halbbrillen-Blick abgespeichert. Das passt zum Image, das ihn als Macher ausweist, als Manager, als einen, von dem es immer hieß, er sei viel zu kühl, um dem Überlandesvater Rau nachfolgen zu können. Clement, seit zwei Jahren Ministerpräsident, zeigt in diesem Wahlkampf Gefühl - und seine Familie mit den fünf Töchtern, die er "Clementinen" nennt. Die SPD zeigt stolz ihn. Clements Kopf prangt auf riesigen Plakaten: "Weil er Charakter hat."

Vor Clement sitzen Sozialdemokraten, die vor einem dreiviertel Jahr ihre Mehrheit in den Kommunen verloren haben. Essen hat seitdem einen schwarzen Bürgermeister. Eine Vorstellung, die vor fünf Jahren, als die SPD vom Verlust der absoluten Mehrheit im Land kalt erwischt worden war, noch ganz undenkbar schien. Keine Botschaft könnte diese SPD besser erwärmen als die, mit der Clement auftritt: "Bei uns ist was los, und bei der CDU ist Ruhe im Karton." Clement begeistert, nicht zuletzt deshalb, weil er selbst von dieser Entwicklung am meisten begeistert ist.

"Die FDP möchte eine Koalition mit uns, die Grünen auch, und der Herr Rüttgers, wenn er sich mal aussprechen könnte, würde wohl am liebsten auch mit uns koalieren", sagt der Wahlkämpfer der Versammlung, um sie dann aufzufordern, die Chance zu nutzen "für einen unangefochtenen und einen unanfechtbaren Platz eins für die SPD." Der gewiefte Politiker dementiert vor den Kameras und den Journalisten im Bus alle Gerüchte um eine Koalition mit der FDP: "Keine reale Frage." Schon "aus Gründen der Loyalität" seien die Grünen sein erster Verhandlungspartner. Wenn, ja wenn denn verhandelt werden muss, und wenn die Grünen drin sind. Es blitzt in den Augen, es zuckt in den Mundwinkeln, wenn Clement beobachtet, wie seine "Wenns" in den Köpfen ankommen. Denkt da einer an die absolute Mehrheit? Bei den Grünen, die Clements Blinzeln zur FDP offiziell zur ernsten Gefahr erklären, um ihre Wähler zu mobilisieren, sieht man inoffiziell auch etwas anderes: nämlich Clements Versuch, sich über das Koalitionsgeplänkel unauffällig in die Nähe der absoluten Mehrheit zu bewegen. Der Wahlredner ist da ganz nüchtern. Er weiß: Das Risiko liegt mittlerweile darin, dass die SPD so siegesgewiss ist, dass sie sich selbst und ihre Wähler nicht mobilisiert.

Doch im kühl kalkulierenden Politiker steckt ein Wolfgang Clement mit heftigem Temperament. Gut gelaunt kontert er Fragen nach seinem legendär schlechten Verhältnis zur grünen Koalitionspartnerin Bärbel Höhn mit der Bemerkung, dass er nicht mehr mit Akten schmeiße, "obwohl ich ja der sein soll, der mit Akten schmeißt". Sodann beklagt er zu viel "administratives Klein-Klein in der Koalition" und bestätigt, dass er damit durchaus das Umweltministerium meine. Aber er habe doch gerade gesagt, er habe nichts gegen Frau Höhn. Richtig. "Nichts Persönliches." Im Essener Saalbau bricht aus Clement der Sozialdemokrat, Geburtsort Bochum, heraus, als sein flammender Aufruf gegen die Arbeitslosigkeit im Ausruf gipfelt: "Das muss wech!" Arbeitslosigkeit, antwortet er wie aus der Pistole geschossen auf die Frage, was denn eigentlich das Thema dieses Wahlkampfes sei. Authentisch wirkt Clement, wenn er über Arbeit und Arbeitslosigkeit spricht. Die SPD glaubt ihm seinen Ausbildungskonsens, für den er drei Jahre unermüdlich durch das Land gezogen ist. Und diesem Mann glaubt sie dann auch gern, dass moderne Wirtschaft ausländische Spitzenkräfte braucht.

Selten nur muss Clement den Namen nennen, der ihn vor acht Monaten noch in finstere Stimmung versetzt hat. Lieber sagt er "dieser Mann" und "der famose Herausforderer". Oder auch: "Die Wirtschaft versteht überhaupt nicht, wohin der steuert." Jürgen Rüttgers hat verloren. "Dem wäre es besser bekommen, wenn er nach den vielen Jahren in festen Netzen in die Wirtschaft gegangen wäre, um sich dort den Wind um die Nase wehen zu lassen", ruft Clement in Essen. Und das glaubt man dem gelernten Journalisten eben auch. Denn der hat 1986 den Job in der SPD-Zentrale hingeworfen, als Willy Brandt und Kanzlerkandidat Rau im Streit lagen. Der kennt die Niederlage. Und er kennt das lange Warten, das für einen Ungeduldigen wie ihn noch schwerer ist. Sein Verhältnis zu Rau sei jetzt "ganz relaxed", sagt er im Wahlkampfbus. "Das ist natürlich nicht so leicht gewesen."

In Raus Heimatstadt Wuppertal, wo er am Abend unter freiem Himmel spricht, fängt Clements Rede mit Dank und Respekt an. Für Rau. "Sozialdemokraten können wieder lächeln", sagt er dann, "das war auch nicht immer so." Clement weiß, wovon er spricht. Zehn Jahre hat er neben Rau gestanden, loyal. Drei Jahre hat er auf den Spitzenjob gewartet, um danach die Flugaffäre, das rot-grüne Regierungschaos in Berlin und das Desaster bei den Kommunalwahlen zu erleben. Da versteht man schon, dass er den Erfolg genießt. Die InternetAdresse auf den SPD-Wahlplakaten verbreitet reine Zuversicht: "

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