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Update

Wulff im Interview: Der Bundespräsident geht in die Offensive

Es sind die wichtigsten 15 Minuten in seiner politischen Karriere. Eben noch war Christian Wulff zu klein für das große Amt des Bundespräsidenten. Doch Gejagter will er nicht bleiben.

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Als sie schließlich bei der Bettwäsche angelangt sind, hat Christian Wulff seine Rolle gefunden. Es ist die Rolle eines Mannes, wie es ihn in Deutschland millionenfach gibt. Eines Ehemannes, der mit seiner Frau im Gästezimmer bei guten Freunden Ferien verbringt, mit ihnen kocht, frühstückt. Der es ganz normal findet, diese Freunde auch zu sich nach Hause einzuladen, „keine Rechnung dafür zu erheben, wenn mich die Freunde hier in Berlin besuchen“, wie er sagt. Und der auch als Politiker, als höchster Repräsentant des Landes darauf nicht verzichten will. Der findet, dass es düsterer im Land aussehen würde, „wenn ein Politiker keine Freunde mehr haben darf“. Politiker, sagt Wulff, seien auch Menschen. Warum also soll ausgerechnet ihm dieses Recht verwehrt werden?

Es ist fast halb sechs Uhr abends an diesem Mittwoch und der Bundespräsident sitzt im Fernsehstudio der ARD im Berliner Regierungsviertel. Die Wand hinter ihm ist rot und gelb beleuchtetet, er ist blass, er hält den Kopf gesenkt. Schon zehn Minuten wird er von zwei Journalisten der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten befragt. Seine Stimme klingt bei den Antworten, die wohlformuliert sind, oft brüchig, als können sie jeden Moment versagen. Es geht um einem umstrittenen Hauskredit, seine Urlaube bei Unternehmerfreunden, zuletzt auch um Schmähungen und Drohungen, weil er die vor drei Wochen auf der Mailbox des Chefredakteurs der „Bild“-Zeitung hinterlassen hat.

Es sind schwere Vorwürfe, die seit Wochen auf ihn einprasseln. Christian Wulff kann seine Kritiker nicht besänftigen, obwohl er schon zwei Tage vor Heiligabend eine Erklärung vor den Kameras abgegeben hat. Der Druck ist trotzdem immer stärker geworden. Zu klein, zu anmaßend, schlicht nicht geeignet für das höchste Staatsamt in Deutschland sei er. Zurücktreten soll er, um Platz zu machen für einen anderen. Das fordern die Kommentatoren beinahe aller großen Zeitungen, das denken mittlerweile auch nicht wenige seiner politischen Freunde. Doch dieser Bundespräsident will nicht gehen. Er will sich nicht vertreiben lassen aus dem Amt, das er so sehr gewollt hat und für das er sich selbst nach wie vor geeignet hält. Er nehme seine Aufgabe gerne wahr, sagt er, möchte „in fünf Jahren Bilanz ziehen, dass ich ein guter und erfolgreicher Bundespräsident war“.

Fünf Jahre, das ist ein atemberaubend langer Zeitraum für jemanden, den Berlin politisch für erledigt hält, aber es ist Wulffs erster Coup in der Viertelstunde, die so wichtig ist für sein Schicksal. Er will nicht weglaufen, nur weil es mal eng wird. Es ist auch das Credo seiner politischen Laufbahn. Drei Anläufe und neun Jahre brauchte er, um in Niedersachsen Ministerpräsident zu werden, drei Wahlgänge brauchte er, um Staatsoberhaupt zu werden. So einer lässt sich nicht vertreiben. Zumal er sich nichts vorwirft. „Ich weiß, dass ich nichts Unrechtes getan habe“, sagt Christian Wulff, „auch wenn nicht alles richtig war.“

Der Mensch ist fehlbar, versucht Wulff zu vermitteln

Das ist seine Verteidigungslinie an diesem Abend. Er wird von sich das Bild zeichnen eines Menschen, der fehlbar ist. Das mag seinen politischen Gegnern nicht genügen, aber an die wendet er sich jetzt nicht. Wulff spricht zu den Menschen, die ihn verstehen werden mit seinen Alltagssorgen, eine Scheidung zu verarbeiten, ein neues Haus für seine junge Familie zu finanzieren und nichts zu haben als seinen guten Namen. Bei ihnen wirbt er um Verständnis für seinen Drohanruf beim Springer-Verlag. Vier Tage in fünf arabischen Ländern, jeden Tag zehn Termine, protokollarische Pflichten, Reden, Händeschütteln. Und dann kommt die „Bild“-Zeitung und will Details seines Privatlebens veröffentlichen. Da muss er sich doch vor seine Familie stellen, hat eine „Schutzfunktion“ auch gegenüber Freunden. Können einem da nicht die Nerven durchgehen? Auch als Bundespräsident, der eigentlich über den Dingen stehen soll. „Vielleicht“, sagt Wulff, „muss man die Situation auch menschlich verstehen“.

Christian Wulff, der fürsorgliche Familienvater, der gejagt wird mit kleinlichen Verdächtigungen? Er selbst mag das so sehen. Aber er kann nicht den Ruch der Mauschelei und der Vorteilsnahme aus der Welt schaffen. Auf Druck nur hat er Transparenz hergestellt, und auch zu diesem Interview musste er gedrängt werden mit der ständigen Mahnung, er würde seinem Amt nicht gerecht.

Den ganzen Dienstag über, Wulffs letztem Urlaubstag nach Weihnachten, hat er im Schloss Bellevue seine Lage analysiert. Für ihn verheerende Kommentare in allen deutschen Zeitungen, aus der CSU der Ruf, sich schnell „zu erklären“, sowie deutliche Signale aus dem Kanzleramt, dass er für seine Zukunft jetzt alleine verantwortlich ist. Soll er wie vor Weihnachten noch einmal eine Erklärung abgeben? Oder schweigen und die Sache aussitzen? Oder vielleicht sogar zurücktreten. Ja, auch einen solchen Weg hat Wulff erwogen. Wenn auch nur kurz und nie wirklich ernsthaft.

Am Mittwochmorgen um zehn Uhr, Wulff war schon eine gute Stunde an seinem Schreibtisch, fiel die Entscheidung. Er würde ein Interview geben. Nicht im Schloss Bellevue, sondern im ARD-Hauptstadtstudio findet das Gespräch statt. Der Bundespräsident soll zu den Journalisten kommen, nicht die Journalisten zu ihm, Wulff selbst will das so. Schon vor Wochen hatten ARD und ZDF um ein Gespräch gebeten, kurz nach Weihnachten dann noch einmal. Nur die beiden Leiter der Hauptstadtstudios, Ulrich Deppendorf fürs Erste und Bettina Schausten fürs Zweite, dürfen Fragen stellen. Die Presse, die von Wulffs Einflussnahme in erster Linie betroffen ist, muss außen vorbleiben.

Für Wulff ist der Rahmen des Kreuzverhörs einfacher zu handhaben, als eine große Pressekonferenz, auf der zahlreiche Journalisten nachbohren und kompromittierende Fragen stellen können. Noch dazu bekommt Wulff die beste Sendezeit: um 20 Uhr 15, zur Primetime wird das Interview zeitgleich auf beiden Sendern ausgestrahlt. Wulff spricht zu den Menschen.

"Ein Korrekturrecht gibt es nicht"

Die Sendung wird aufgezeichnet. Nicht, weil sich der Bundespräsident offen halten will, anschließend noch Aussagen zu korrigieren, sagt Elmar Theveßen, Leiter der Hauptredaktion „Aktuelles“ und stellvertretender Chefredakteur des ZDF: „Ein Korrekturrecht gibt es nicht.“ Tatsächlich wird die Unterhaltung ungeschnitten ausgestrahlt. Welche Fragen Wulff gestellt bekommt, ist nach Theveßens Angaben vorher nicht mit Wulff abgesprochen worden. „Kein Themenkreis ist ausgeschlossen“, sagt er.

Als Christian Wulff schließlich vor dem Studiogebäude eintrifft, ein ungewohntes Gefühl für einen Bundespräsidenten: Auf ihn pflegen die Fotografen und Kameraleute warten, jetzt lauern sie. Zwei Dutzend sind es. Als Wulffs Kolonne dann heranrauscht, ein kurzer Blick, er versteckt sich nicht.

Man darf annehmen, dass der Präsident seinen Auftritt mit der Kanzlerin besprochen hat. Als er das Fernsehstudio dann schließlich betritt, kommt es auf ihn selber an. Sie scheint ihm zu liegen, diese Einsamkeit. Auf sich gestellt war er von Kindheit an. Nun hat er 15 Minuten, um sich selbst und mehr noch als in jeder politischen Rede persönlich zu offenbaren. In vielem zeigt sich da wieder das Kleine, Kleingeistige, das ihm zum Vorwurf gemacht wird, etwa wenn er von der Schnelligkeit spricht, mit der er ins höchste Staatsamt gekommen sei und die ihm keine Zeit gelassen habe zu lernen, was es bedeutet, der erste Mann im Staat zu sein. Als ob Wulff vorher nicht energisch um dieses Amt gebuhlt hätte.

Aber sein zweiter Coup an diesem Abend ist, dem Kleinen Größe zu geben. Keinen Millimeter weicht er zurück, wenn es um seine Beziehungen zu einflussreichen Freunden geht. „Ich will nicht Präsident in einem Land sein“, platzt es aus ihm heraus, „in dem man sich von Freunden kein Geld mehr leihen kann.“ Und auch zu dem Umstand, von der BW-Bank einen extrem günstigen Kredit bekommen zu haben, äußert er sich offensiv. Nicht er habe Vergünstigungen durch niedrige Zinsen erfahren, sondern das Risiko eines nur jeweils dreimonatigen Geldmarktkredits alleine getragen. Dieser Wulff will nicht länger Opfer sein.

Fehler zugeben ist das eine, und Wulff räumt schwere Fehler ein, bittet um Entschuldigung. Aber dabei bleibt es nicht. Das Amt selbst habe sich verändert, sagt er. Bundespräsident zu sein, bedeute, Vorreiter in Fragen der Transparenz zu sein, und wer, wenn nicht er, könnte diese Maßstäbe setzen. Schon für Donnerstag verspricht er, sämtliche Unterlagen zu seinem Hauskredit ins Netz und allen Menschen zur Verfügung zu stellen. Und kleinlich wirken plötzlich seine Gegenüber, wenn sie fragen, ob es nicht richtiger wäre für einen Politiker, 150 Euro pro Nacht seinen Freunden zu geben, wenn er in ihrem Gästezimmer schläft.

Wulff findet das überhaupt nicht. Freunde sind Freunde, viele kenne er aus der Schulzeit. Oder „würden Sie“, fragt er Bettina Schausten, von Freunden Geld für’s Übernachten verlangen. Ja, sagt die Journalistin. Wulff sieht aus, als könnte er es kaum glauben. In so einer Welt möchte er nicht leben.

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