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Politik: Wunder dauern etwas länger

Von Albrecht Meier

Ohne Gala und ohne Mozartklänge – so beginnt die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Geschäftsmäßig sozusagen. Das passt zur allgemeinen Stimmung in Deutschland. Brüssel ist nah und doch weit weg. Zudem wird es als undurchschaubar und deshalb etwas unheimlich wahrgenommen. So scheint es vielen Leuten ziemlich egal zu sein, wenn Deutschland ab jetzt für sechs Monate den Vorsitz in der Europäischen Union hat. Die Geschäftsmäßigkeit, mit der die Präsidentschaft beginnt, hat schon Programm bei Angela Merkel. Die Kanzlerin will keine zu hohen Erwartungen wecken, und sie tut auch gut daran.

Von Merkel wird nicht weniger erwartet als ein kleines Wunder. Sie soll den europäischen Karren wieder flottmachen, der stillsteht nach dem „Nein“ der Franzosen und Niederländer zur EU-Verfassung. Sie soll einen Ausgleich finden sowohl zwischen den Nein-Sagern als auch der Mehrheit der EU-Staaten, die das Vertragswerk bereits ratifiziert haben, nicht zu vergessen jene Länder, die noch keine Entscheidung darüber getroffen haben. Wenn es der Bundesregierung gelänge, im kommenden Halbjahr einen Ausweg aus diesem Schlamassel aufzuzeigen, käme das tatsächlich einem kleines Wunder gleich. Aber genau dies wird in den meisten EU-Mitgliedsländern erwartet: Wenn es selbst Deutschland als größtes Mitgliedsland der EU nicht fertigbringt, diese Aufgabe zu meistern, wer soll es dann schaffen?

Angesichts der großen Hoffnungen wird die Kanzlerin in den nächsten sechs Monaten den diplomatischen Turbo einschalten müssen. Sie wird mit Tony Blair und Jacques Chirac über die Zukunft Europas reden und gleichzeitig Fäden zu deren Nachfolgern spinnen. Sie wird die Wünsche der kleinen EU-Staaten aufnehmen müssen. Und vielleicht wird sie auch ihre ostdeutsche Herkunft mit ins Spiel bringen, wenn es gilt, die Verfassungsskeptiker in den neuen EU-Staaten zu überzeugen. Wenn sich am Ende des deutschen EU-Vorsitzes ein Konsens darüber abzeichnen würde, was in der Verfassung geht und was nicht – das wäre schon ein großer Erfolg.

Auf viele Bürger wirkt die Frage der EU-Verfassung technisch – und sie ist es zunächst einmal auch. Für Merkel verbindet sich mit ihrer Lösung genauso viel politisches Handwerk wie mit dem Gesundheitsfonds oder der Föderalismusreform. Das Problem mit der EU ist nur, dass sie in Deutschland selten so wenig Emotionen geweckt hat wie heute. Die Schlagbäume sind gefallen – na und? Der Euro muss den Vergleich mit dem Dollar nicht scheuen – was soll’s? Die EU spielt im Nahen Osten inzwischen ihr politisches Gewicht aus – das ist weit weg. Das Vermittlungsproblem, das sich der Politik ohnehin schon stellt, trifft die Europäische Union gleich doppelt: Auch in Brüssel werden, nicht anders als in Berlin, dicke Bretter gebohrt. Hinzu kommt aber, dass der Berliner Politikbetrieb – auch aus Angst vor eigenem Bedeutungsverlust – „Brüssel“ gern zum Feind erklärt. Wer soll da noch durchblicken?

Die Botschaft mag abgedroschen klingen, aber sie wird dadurch nicht falsch: Zur Europäischen Union gibt es in Zeiten der Globalisierung keine Alternative. Es wäre wirklich zu viel verlangt von Angela Merkel, Deutschland im nächsten Halbjahr – in Erinnerung an die WM – in eine Europa-Fanmeile zu verwandeln. Aber vielleicht würde es schon reichen, wenn sich so mancher Bundespolitiker demnächst etwas mehr für die EU erwärmen könnte – sozusagen mit dem Herzen in der Hand.

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