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Politik: Wut auf Jordanien

Viele Iraker verzeihen ihrem Nachbarn nicht, dass Saddams Töchter dort Asyl fanden – ein Motiv für den Terror?

Dicker schwarzer Rauch quoll noch lange nach dem Bombenanschlag auf die jordanische Botschaft in Bagdad aus den brennenden Autos entlang der Straße. Mindestens elf Menschen wurden getötet, mehr als 60 verletzt. Umstände und Motive des Anschlags sind noch unklar. Die in einem Umkreis von mehreren hundert Metern herumliegenden Trümmerbrocken und Glasscherben lassen jedoch ahnen, wie heftig die Explosion war, die das vornehme Al-Washash-Viertel am Donnerstag erschütterte: Es war der blutigste Anschlag in Bagdad seit Kriegsende.

Der 22-jährige Mohammad Qassem war gerade auf dem Weg nach Hause von der Moschee gegenüber, als die Bombe hochging. „Ich wurde zu Boden geschleudert“, erzählt er. „Dann ging ich zur Botschaft und sah, dass dort mehrere Tote herumlagen. Mit einigen anderen versuchte ich in das Gebäude zu gelangen, doch ein jordanischer Soldat schoss zur Warnung in die Luft. Wir überwältigten ihn und nahmen ihm die Waffe ab. Dann begannen wir, die Leichen auf die Straße zu tragen. Sie waren alle verbrannt.“

Auch Hamad Fadhil, 28 Jahre alt, half, Tote und Verletze zu bergen: „ Körper mit abgerissenen Gliedmaßen lagen in ihrem Blut. Zuerst haben wir die Schwerverletzten herausgebracht.“ Andere machten unterdessen ihrer Wut auf Jordanien Luft. Eine Gruppe junger Iraker stürmte das Botschaftsgebäude und brüllte Parolen gegen Jordanien und König Abdullah II. Sie zertrampelten ein Bild des Königs und seines Vaters, König Hussein, und verbrannten eine jordanische Flagge.

Viele Iraker sind wütend auf Jordanien, weil das Land den Töchtern des gestürzten irakischen Diktators Saddam Hussein Asyl gewährt hat. Am Donnerstag vergangener Woche zogen Rana und Raghad Hussein mit ihren neun Kindern in die jordanische Hauptstadt Amman. „Ich bin wütend darüber“, sagt auch Fadhil, „aber ich bin gegen diesen Anschlag.“ Der jordanische Regierungssprecher Nabil Al-Sharif nannte den Anschlag „eine feige Terror-Attacke“. Jordanien werde die Täter fassen und vor Gericht stellen.

Die Verletzten wurden in verschiedene Krankenhäuser in Bagdad eingeliefert. Im Al-Yarmuk-Krankenhaus hetzten die Ärzte von einem Patienten zum nächsten und verbanden die Wunden. Alle Betten waren belegt. „Ich stand am Beratungsschalter der Botschaft, um mich nach einer Reise nach Jordanien zu erkundigen“, erzählt Saba Oudeh, während ihm ein Verwandter das Blut vom Gesicht wischt. „Alles, woran ich mich erinnern kann, ist ein ohrenbetäubender Knall.“

Augenzeugen berichteten von einem Geländewagen oder Bus, der sich der Botschaft wenige Sekunden vor der Explosion genähert habe. Die meisten gehen deshalb von einer Autobombe aus. Einige Augenzeugen wollen aber auch gesehen haben, dass ein Hubschrauber eine Rakete auf das Botschaftsgebäude abgefeuert hat – und legten damit nahe, die US-Streitkräfte hätten das Attentat begangen. Wieder andere mutmaßten, der Anschlag könne auf das Konto militanter Saddam-Anhänger gehen, denn während des Krieges billigte Jordanien die Stationierung von 60 00 US-Soldaten auf jordanischem Boden.

So gab es nur Vermutungen, Rätsel, Gerüchte – doch keine Gruppe hat sich bisher zu dem Anschlag bekannt.

Orly Halpern[Bagdad]

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