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SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi: "Eine deutsche Kanzlerin darf nicht unterwürfig sein gegenüber den USA."

© Georg Moritz

Yasmin Fahimi attackiert Angela Merkel: "Das Kanzleramt hat bei Kontrolle des BND kläglich versagt"

SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi setzt sich im Interview mit dem Tagesspiegel dafür ein, die BND/NSA-Affäre "rückhaltlos aufzuklären". Sie sieht viele Indizien dafür, dass das Kanzleramt bei der Beaufsichtigung des BND "kläglich versagt hat".

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Frau Fahimi, will die SPD die große Koalition platzen lassen?

Definitiv nicht. Wir Sozialdemokraten werden unserer Verantwortung in dieser Regierung gerecht - und zwar bis zum Ende der Wahlperiode.

Die SPD tritt in der BND/NSA-Affäre seit Wochen als Ankläger gegen den eigenen Koalitionspartner auf. Wo soll das hinführen?

Anders herum wird ein Schuh daraus: Sie würden uns doch Kumpanei und Hasenfüßigkeit vorwerfen, wenn wir aus Koalitionsräson die Augen verschließen würden vor diesem Skandal. Wir setzen uns dafür ein, diese Affäre rückhaltlos aufzuklären – im Interesse der Öffentlichkeit und unserer Demokratie.

Das nimmt Ihnen in der Union niemand mehr ab.

Ganz ehrlich: Die Schnappatmung einiger Unionspolitiker verstehe ich nicht. Sie haben doch sicherlich das gleiche Interesse an Aufklärung wie wir.

Sie legen nahe, dass das Kanzleramt vor der Bundestagswahl von 2013 von Lügnern geführt wurde. Geht es Ihnen um Aufklärung oder um Verdächtigung?

Fakt ist: Nach den Enthüllungen Edward Snowdens haben CDU und CSU im Wahlkampf 2013 den Bürgerinnen und Bürgern einen Vertrag mit den USA in Aussicht gestellt, der gegenseitige Spionage verbieten würde. Dabei sollen sie längst gewusst haben, dass es ein solches „No-Spy-Abkommen“ nie geben würde. Da halte ich Zweifel an der Ehrlichkeit des Wahlkampfs doch für angebracht.

An der Spitze dieses Wahlkampfs stand Angela Merkel. Wollen Sie die politische Glaubwürdigkeit der Kanzlerin beschädigen?

Es geht doch gar nicht um persönliche Angriffe auf die Kanzlerin! Die Aussagen von Unions-Politikern im Wahlkampf – von der CDU-Vorsitzenden bis zum Innenminister – stehen im Widerspruch zu den internen Einschätzungen des Kanzleramts aus dieser Zeit. Das ist doch unzweifelhaft.

Die Kanzlerin versichert, damals hätten alle „nach bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt. Nehmen Sie ihr das nicht ab?

Es ist völlig unerheblich, ob ich ihr das abnehme. Die Gremien des Bundestages müssen den Vorwürfen nachgehen und dafür alle nötigen Informationen erhalten.

Wäre die Bundestagswahl anders ausgegangen, wenn die Union keine Hoffnung auf ein „No-Spy-Abkommen“ geweckt hätte?

Das weiß ich nicht, ist aber auch gar nicht die Frage. Alle Wählerinnen und Wähler haben ein Anrecht zu erfahren, weshalb ihnen vor der Wahl dieser Bären aufgebunden worden ist.

Angenommen Frau Merkels frühere Kanzleramtsminister De Maizière und Pofalla hätten wirklich tatenlos zugesehen, wie die NSA den BND für Spionage gegen europäische Verbündete oder gar deutsche Unternehmen missbrauchte - welche Konsequenzen hätte das?

Im Augenblick stehen wir vor der Frage, ob das Kanzleramt seiner Aufgabe gerecht geworden ist, den BND zu beaufsichtigen. Es häufen sich gerade die Indizien dafür, dass das Kanzleramt hier kläglich versagt hat. Im ersten Schritt muss es darum gehen festzustellen, wie stark der Kontrollverlust gewesen ist – und wer dafür die Verantwortung trug. Im zweiten Schritt müssen wir dann dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder vorkommen kann. Im Rechtstaat gelten Regeln, an die sich auch der Geheimdienst halten muss.

Wird die Kanzlerin in einen Konflikt mit den USA getrieben?

Für die Aufklärung der Affäre ist von zentraler Bedeutung, nach welchen Suchvorgaben der NSA der Bundesnachrichtendienst seit dem Jahr 2005 E-Mails, SMS und Telefongespräche ausgespäht hat. Die SPD verlangt nun von der Kanzlerin, die Liste dieser so genannten Selektoren dem NSA-Untersuchungsausschuss vorzulegen - notfalls gegen den Willen der USA. Wollen Sie die Kanzlerin in einen Konflikt mit Deutschlands wichtigstem Verbündetem treiben?

Wir dürfen uns nicht zum Vasallen der USA machen und die Rechte des Bundestags ignorieren. Als SPD sind wir fest überzeugt, dass Mitglieder des Untersuchungsausschusses Einblick in diese Liste erhalten müssen. Dafür braucht das Kanzleramt nicht unterwürfig in Washington um Erlaubnis betteln. Es genügt, die USA über die weiteren Schritte zu informieren. Noch einmal zur Erinnerung: Es liegt der Vorwurf auf dem Tisch, dass die NSA gegen grundlegende Vereinbarungen verstoßen hat, indem sie den BND für regelwidrige Spionage eingespannt hat.

Und wenn die Kanzlerin anders entscheidet?

Wenn die Bundeskanzlerin die Herausgabe der Liste verweigert, erschwert sie die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste. Eine deutsche Kanzlerin darf nicht unterwürfig sein gegenüber den USA. Gerhard Schröder hat vorgemacht, wie man Rückgrat zeigt, wenn es um elementare deutsche Interessen geht.

Ist nicht auch die enge Zusammenarbeit von NSA und BND in deutschem Interesse, um die hiesige Bevölkerung vor Terroranschlägen zu schützen?

Ja, natürlich! Wir müssen aber ausschließen, dass der US-Geheimdienst diese Kooperation ausnutzt, um gegen deutsche Interessen zu handeln. Deshalb müssen wir überlegen, wie wir den BND ausstatten müssen, damit er weniger abhängig wird von der NSA.

Den BND technisch so aufzurüsten, dass er nicht mehr auf die NSA angewiesen ist, würde Milliarden kosten.

Natürlich ist der Preis für diese Unabhängigkeit hoch. So viel sollte uns unsere Souveränität aber Wert sein. Als weitere Konsequenzen schlage ich vor, dass wir endlich einen klaren Rechtsrahmen schaffen für die Auslandsaufklärung des BND. Denn natürlich brauchen Demokratien Geheimdienste. Diese Geheimdienste dürfen aber nicht in einem rechtsfreien Raum agieren. Deshalb müssen wir klar festlegen, wie der BND im Ausland agieren soll und darf. Und wir müssen beispielsweise für die Überwachung auch zuverlässige Kontrollinstanzen schaffen. Dafür gibt es die G-10-Kommission des Bundestags, die für alle Abhöranträge im Inland zuständig ist. Ihre Kompetenzen könnten wir künftig aufs Ausland ausdehnen.

Die Union will einen Geheimdienst-Beauftragten des Bundestages – mit ähnlichen Kompetenzen wie heute der Wehrbeauftragte. Gute Idee?

Nein, denn es würde unnötige Parallelstrukturen schaffen – und die Rechte der Parlamentsminderheit schwächen. Ein solcher Beauftragte könnte jeden Skandal einfach abmoderieren. Wir brauchen ein Mehr-Augen-Prinzip. Wenn die Union die Kontrolle tatsächlich wirksam verbessern will, sollte sie lieber den Stab des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages personell deutlich aufstocken.

Was wird der Außenminister dazu sagen?

Haben Sie eigentlich Außenminister Frank-Walter Steinmeier einmal gefragt, ob er den Konfrontationskurs gegen Kanzlerin und USA für vernünftig hält?

Wir befinden uns nicht auf Konfrontationskurs, weder mit der Kanzlerin noch mit den USA. Es gibt massive Vorwürfe gegen die NSA. Dieser Skandal würde das Verhältnis zu unseren europäischen Partnern belasten, wenn wir nichts dafür täten, um ihn aufzuklären.

Steinmeier hat als Kanzleramtschef 2002 die Kooperation mit der NSA zum Austausch von Daten, das „Memorandum of Agreement“, geschlossen. Stellt die SPD jetzt den eigenen Außenminister ins Feuer?

Frank-Walter Steinmeier hat damals ein sehr gutes Memorandum ausgehandelt, das die Geheimdienste verpflichtet, sich an deutsches Recht und Gesetz zu halten. Dieses Memorandum ist offensichtlich nicht eingehalten worden. Nicht das Memorandum ist das Problem, sondern das Versagen von Steinmeiers Nachfolgern bei der Kontrolle der Geheimdienste.

Sie werfen nicht nur dem Kanzleramt Versagen vor, sondern auch Verteidigungsministerin von der Leyen. Wie wollen sie noch zwei Jahre lang in der Koalition zusammenarbeiten, wenn Sie den Partner derart niedermachen?

Wenn hochrangige Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und ein deutscher Waffenhersteller den Militärischen Abschirmdienst (MAD) einschalten wollen, um unliebsame Journalisten auszuspähen, die kritisch über das G-36-Gewehr berichten, ist das doch kein normaler Vorgang. Und wenn das Büro der zuständigen Ministerin von diesem ungeheuerlichen Vorgang erfährt und ihn einfach zu den Akten legt, dann können wir doch nicht einfach dazu schweigen.

Was kann Ministerin von der Leyen dazu?

Frau von der Leyen trägt schon die Verantwortung für Vermerke, die ihr Büro erreichen. Jetzt zu behaupten, oops, der Brief ist uns damals durchgerutscht, spricht zumindest nicht für eine ordentlich geführte Ministeriumsspitze.

Apropos: Wie kann es eigentlich passieren, dass die SPD-Generalsekretärin gleich in zwei Tweets den Namen des Bremer SPD-Spitzenkandidaten Jens Böhrnsen falsch schreibt?

Gut, jetzt spreche ich mit dem Tagesspiegel also über Tippfehler (lacht). Wie sie wissen, verfüge ich weder über einen eigenen Twitter-Account, noch twittere ich. Es gibt aber einen Twitter-Account des SPD-Vorstands, der tatsächlich den Namen des Bremer Bürgermeisters komplett falsch geschrieben hat. Ein Tippfehler – das ist peinlich und ärgerlich, passiert aber. Die Häme in den sozialen Netzwerken habe ich erwartet, dass die BILD-Zeitung mich deswegen zur „Verliererin des Tages“ adelt, nicht. Aber immerhin hat sie dabei meinen Namen richtig geschrieben.

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