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Der Weg durch die Wüste. Laiendarsteller bringen im Oberammergauer Passionsspielhaus das Stück „Moses“ von Feridun Zaimoglu auf die Bühne.

© dpa

Zaimoglu in Oberammergau: Im Niemandsland der Religionen

„Moses“ heißt das Theaterstück, gespielt wird es in Oberammergau, geschrieben hat es Feridun Zaimoglu. Eine jüdische, muslimische, christliche Koproduktion also. Ein Gespräch mit dem Autor über Götter, Propheten und Zwerge. Der zweite Teil unserer Sommerserie über Grenzen und deren Überschreitungen.

Die Blicke der Hanseatin sind streng. Einfach so an ihr vorbei durch die Haustür huschen, nur weil sie diese einen Augenblick zu lang offenhielt? Für ihre Einkaufstaschen und für sich, nicht für die Außenwelt. Nicht für Unbefugte! In ihren Augen steht Ächtung.

An der Haustür steht „Tür bitte schließen!“, darunter „Ab 20.00 Uhr Haustür abschließen!“. An den Treppenstufen steht „Bitte Füße abtreten!“ und darüber „Vorsicht gebohnert!“. Die vier Gebote einer ganz normalen Kieler Hausgemeinschaft. Auf der Hofseite haben sich zwischen den Mülltonnen Gartenzwerge postiert, rotmützig erstarrt in der Pose ihres Fleißes.

Und hier wohnt Feridun Zaimoglu, 1964 in Bolu, Türkei, geboren? Der Mann, der einst mit „Kanak Sprak“ auffiel, diesen 24 nach Geist und Wortwahl authentischen Monologen junger Türken in Deutschland? Nach seiner Vorlage entstand im Jahr 2000 der Film „Kanak Attack“.

Zweiter Stock, hatte er gesagt. Dort sind drei Türen, aber keine Namen. Doch da, hinter dem mit Paketband verklebten, gesplitterten großen Loch in der Scheibe telefoniert jemand. Es ist seine Stimme, die sanfte, von langwierigen Fernsprechverabredungsversuchen längst vertraute, geradezu vorsätzlich milde Stimme eines Mannes, der weiß, dass es nur ein aussichtsreiches Verhältnis zur Welt gibt: das größtmöglicher Nachsicht. Der Widerruf jeder „Kanak Attack“, schon rein akustisch.

Zaimoglu schreibt längst über andere Leute. Der Autor des Stückes, das am Freitag bei den Oberammergauer Passionsspielen Premiere hatte, beendet beim ersten Klopfen sein Gespräch. Ja, er erwarte Besuch, eine Journalistin.

Sein Stück heißt „Moses“.

Moses hat anders als die Kieler Hausgemeinschaft statt vier gleich zehn Gebote erlassen. Und er formte damit anstelle einer Treppenhausethik eine Weltmoral. Aber das ist es nicht allein: Ein Muslim schreibt für Oberammergau ein Stück über den Mann, der als größter Erzieher der Juden gilt, ja als eigentlicher Schöpfer des Volkes Israel. Und ein Katholik – der Oberammergauer Christian Stückl – inszeniert es. Man dürfte das auch angewandte Ökumene nennen. Oder interreligiösen Dialog. Wenn diese Worte in ihrer hilflosen Sachlichkeit nicht schon das Eingeständnis des Scheiterns enthielten. Und wenn man nicht ahnte, dass Feridun Zaimoglu bei solchen Begriffen sofort der Stift aus der Hand fällt.

Zaimoglu ist, was sein Erstling noch fast verbarg, ein Wörtererfinder. Und zwar auf Deutsch. Wer seine Bücher liest, ob „Leyla“ oder „Hinterland“, der weiß: Er ist ein Schöpfer der deutschen Sprache. Niemand hat das Wörtererfinden nötig, würden die, die es schon gibt, ihm schön genug, sprechend genug erscheinen. Sprachreicher als er sind wenige. Mit Zaimoglu entdeckt man wieder, zu welchen Schönheiten das Deutsche fähig ist.

Aber woher, um Himmels willen, Moses? Der Autor ist zu aufmerksam, um im Gesicht der Besucherin nicht noch eine andere, irgendwie dringlichere Frage zu lesen: Aber woher, um Himmels willen, das Loch in der Tür? Ein trennungsreifes Paar habe vor ihm hier gewohnt, erklärt der „Moses“-Verfasser, und wie Männer neueren, rücksichtsvolleren Typs das tun, sei der ausgezogen, sie ist geblieben.

Doch eines Tags kehrte er zurück, und die Tür öffnete sich nicht. Da sei dem Mann klar geworden, dass diese Tür ebenso seine Tür war, und auf dem Höhepunkt dieser Einsicht steckte er eben die Faust hindurch. Keine Kanak-Attack, aber die Scheibe ging trotzdem zu Bruch wie schon zuvor das Leben des Vormieters. Zaimoglu macht jetzt ein andächtiges Gesicht, es bedeutet: Dieses Loch ist ein authentisches Loch! Es ist ein Denkmal.

Ein Mahnmal, notdürftig verklebt. Nein, er hatte nicht das Recht, das Loch zu zerstören. „Ich habe Plexiglas dahintergesetzt“, sagt Zaimoglu. Das sei vollkommen einbruchssicher, und er habe bei jedem Schritt durch die Tür die Gefährdung des Menschseins vor Augen, dieser, wie er gleich sagen wird, „vier Wimpernschläge Leben“. Ja, er ist ein Dichter.

Wörtererfinder. Die Sprache von Feridun Zaimoglu zeigt, zu welchen Schönheiten das Deutsche fähig ist.
Wörtererfinder. Die Sprache von Feridun Zaimoglu zeigt, zu welchen Schönheiten das Deutsche fähig ist.

© Arne Dedert/dpa

Das Loch des Seins. Ein Dichter ist ein Mensch, der besonders gefährdet ist, in dieses Loch zu fallen, sonst müsste er es nicht immer wieder sorgfältig verstopfen. Und zwar mit Worten. Feridun Zaimoglu zählt jetzt auf, was er seinem Besuch anbieten kann: „Leitungswasser. Noch mal Leitungswasser. Und löslichen Kaffee.“ Während er von der Antwort „Also beides!“ irritiert und geleitet zugleich in Richtung Küche geht, überlegt die zu Bewirtende, ob Gott in Wahrheit nicht auch so ein Loch ist. Und manche Menschen werden stärker als andere von diesem Loch angezogen, so dass sie es schließlich mit ihrem ganzen Sein verschließen müssen. Wie Moses.

Es handelt sich beim Prophetentum also genau genommen um einen Notfall. Und aus diesem Notfall heraus hört einer Gott hinter brennenden Dornbüschen sprechen, brüskiert in Gottes Namen den Pharao, der ihn zu seinem Nachfolger machen will, erlässt am Ende zehn Gebote und führt ein ganzes Volk von einem Land mitten durch Meer und Wüste in ein anderes. Leben kann einfacher sein.

Aber die Einfach-Lebenden mag Zaimoglu nicht. Seine Sympathien galten schon immer Leuten, die sich aus freien Stücken in ausweglose Situationen begeben. Wie Moses. Wie er selbst. „Man muss eine lächerliche Figur abgeben!“, ruft Zaimoglu aus der Küche, es gebe keinen anderen Weg. Eine lächerliche Figur. War nicht auch Moses, der Stammler, eine? Dieser Weltenrichter: ein Stotterer vor dem Herrn.

Zaimoglu kommt mit dem Leitungswasser und dem löslichen Kaffee zurück. „Dass Sie auch Schwarz tragen, finde ich gut!“, sagt er. Er halte schon lange keine andere Farbe mehr an sich aus. Seine Eltern hätten das nie verstanden. Vielleicht ist Schwarz eine Tarnfarbe? Damit ein Loch einen in der Nacht nicht sofort erkennt? Aber solche Vermutungen lassen sich nicht mit einem Fastfremden, einem Kaumvertrauten teilen. Und Gott als Loch? Nein, unmöglich. Andererseits ist das, was jetzt unweigerlich auf uns zukommt, ein theologisches Gespräch. Draußen vorm Fenster verdämmert ein grauer hanseatischer Hochsommertag, einer von denen, die Zaimoglu liebt, obgleich sie ihn immer melancholisch machen. Und dafür liebt er sie gleich noch einmal so stark.

Auch Zaimoglu spürt, dass er jetzt eine Art Grundsatzerklärung des Inhalts „Moses und ich“ abgeben muss. Dabei braucht er sich gar nicht zu rechtfertigen, schon gar nicht als Muslim. Die Muslime nennen Moses „Kalim Allah“, „der, zu dem Gott spricht“. Der Koran kennt ihn als „Empfänger des Buches“ und erzählt fast alle seine Geschichten. Moses ist neben Mohammed und Jesus der bedeutendste Prophet der Muslime. „Mohammed nennt ihn gar ‚mein Bruder’“, sagt Zaimoglu und schaut prüfend durch den Rauch seiner Zigarette: Als ob es darauf ankäme! Als ob es ihm darauf ankäme!

Feridun Zaimoglu ist kein Gewohnheitsgläubiger, im Gegenteil, den Religionsverwaltern, den Glaubensmaklern, den „Priestern“ hat er schon immer misstraut. Und das ist nur heftiger geworden. „Ich bin bei den Propheten, nicht bei den Priestern!“, sagt er. Und während Zaimoglu über die Priester spricht, diese Popularisatoren der Macht zu allen Zeiten, heute laut Zaimoglu vornehmlich bei den TV-Stationen und in der Presse anzutreffen, geht der leicht fassungslose Blick über die Wände seines Zimmers: Zwerge!

Rotbemützte Gartenzwerge über- und untereinander, mit Schubkarre und ohne, aber jeder mit eigener Wandhalterung. Zwerge auch neben und über den Fenstern. Aber wir wollen über Moses reden, nicht über Löcher und Zwerge. Nur eins ist klar: Zu den Priestern zählen sie nicht. Zwerge haben niemals recht! Und sie sind schon längst, was Zaimoglu zuerst von sich fordert: eine lächerliche Figur.

Ihm zuzuhören heißt zu wissen, hier spricht kein Autor, der mal eben einen Ausflug in die Religionsgeschichte unternimmt. Hier spricht ein intimer Kenner, nein ein Mitwisser der Religionsgeschichte. Hier spricht ein Beinahe-Theologe, der die Theologen doch verachtet. Schon weil sie „über“ den Glauben reden, statt mitten aus ihm heraus.

So wie der Stammler Moses, dem in der Unterredung mit Gott das Gesicht verbrennt, so dass er fortan ein Tuch darüber legen muss, um die anderen nicht zu erschrecken. Noch näher als Moses ist Zaimoglu wohl nur einer, den er Jeschua nennt. Jesus. „Für mich ist er einer der schönsten Menschen, ja, für mich ist er der Meister. Er hat Frauen die Füße gesalbt!"

Eine ungewöhnliche Begründung, aber was an diesem Autor ist nicht ungewöhnlich? Auf dem Boden stehen Zaimoglus Bilder. Er hat mal Malerei studiert, hier in Kiel, ist aber zweimal von der Kunsthochschule geflogen. Wegen Beleidigung der Professorenbilder. Blöde Angestelltenkunst, hat er gesagt. Wahrscheinlich hat er noch viel mehr gesagt. Zaimoglus Bilder sind schön. Es sind nur Frauen darauf, die einzigen Männer hängen am Kreuz vor knallgelben Hintergrund.

Aber muss es denn gleich Oberammergau sein?

„,Die Zeit’ hat mich dorthin geschickt, im Frühjahr 2000“, erklärt er. Wahrscheinlich musste „Die Zeit“ schon über die Konstellation von Ort und Autor lachen. Zaimoglu fuhr los, stand vor dem Kofel, dem Oberammergauer Hausberg, und las die kleine Gedenktafel: „Die Gemeinde Oberammergau gelobte, das Spiel vom Leiden und Sterben des Herrn alle zehn Jahre aufzuführen, wenn Gott der furchtbaren Pest Einhalt gebieten wolle.“

Er besuchte die Herrgottschnitzer, sah das Passionsspiel, Regisseur: Christian Stückl, genau wie jetzt beim „Moses“. Die Bilder aller seiner Professoren zusammengenommen, konnten ihn nicht so beeindrucken wie dieses Passionsspiel. Zaimoglus Bericht gipfelte in der Auskunft, die der Oberammergau-Rezensent noch heute wiederholt: „Die Wurzel all dessen ist aus der modernen Anschauung heraus nicht zu verstehen. Es gibt einen Gehalt der Passion, der sich dem abständigen Hohngrinsen vollständig verschließt.“

Die „Hohngrinser“ verkörpern das andere Feindbild des Feridun Zaimoglu. Es sind nicht die Priester allein, obwohl beide Parteien partiell miteinander identisch sind. „Hohngrinser“ nennt er vorzugsweise die Träger postmodernen Durchschnittsbewusstseins, die auf Vernichtung alles Bildhaften, alles „Herzverrückten“ zielen.

„Ja, wir haben Lust. Wir machen das“, sagte Günter Senkel auf die „Moses“-Anfrage aus Oberammergau. Senkel ist Zaimoglus Koautor bei all seinen Theaterstücken, Zaimoglu hat mit ihm schon Shakespeares „Othello“ für die Münchner Kammerspiele oder „Molière“ für die Salzburger Festspiele adaptiert .

Günter Senkel wohnt Feridun Zaimoglu genau gegenüber. Für jedes Arbeitstreffen müssen sie nur einen Schritt durch die eigene Tür gehen. Wahrscheinlich haben die Mitmieter des Hauses inzwischen schon Wissenswertes darüber erfahren, was alles nicht im Alten Testament steht, aber dafür in Quellen, die nie auf Deutsch erschienen sind. Zaimoglus Wohnung ist die Dichterwohnung, Senkels Wohnung ist die Philologenwohnung. Senkel arbeitete sich durch drei große englischsprachige Sammlungen jüdischer Legenden, erschienen Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Stück sollte nichts vorkommen, was nicht belegbar ist. Damit kein Bibelfester sagen kann: Das dichtet Zaimoglu, dieser Muselman, uns an!

Im Stück steht: „Einst ging dieser Gott zum Volk von Esau, zum Volk von Ammon und Moab, zu den Kindern von Ishmael.“ Will heißen: Gott hatte vor Moses schon alle anderen Völker der Welt gefragt, ob sie nicht seine zehn Gebote annehmen wollten. Er hatte jedes Mal eine abschlägige Antwort erhalten. Esaus Kinder etwa konnten mit dem Gebot „Du sollst nicht töten!“ gar nichts anfangen: „Herr des Universums, das geht uns gegen die Natur.“ Die Kinder von Ammon und Moab wiederum irritierte das Gebot „Du sollst nicht stehlen!“. So steht es in den jüdischen Legenden.

Wer Zaimoglu liest, weiß wieder, dass Religion und Dichtung ursprünglich eins waren. Das ist auch bei „Moses“ so. Jedes Bild trägt etwas Archaisches in sich. Das macht die Zeitgeistigen, die allzu modern Postmodernen so misstrauisch gegen Zaimoglu.

Und doch gibt es einen Anhaltspunkt, ein Indiz, ein alles entscheidendes sogar: Bei Zaimoglu redet Gott nie persönlich wie noch in jedem drittklassigen Hollywood-Film! Immer ist es Moses, so auch am brennenden Dornbusch: „Ich höre dich, Herr, der du sprichst: ‚Zum Gesandten erwählt bist du, Moses’. …Du sprichst: ‚Diese Welt schläft, doch mein Land wird erblühen’.“

Es ist umständlich so, aber Zaimoglus ganze religiöse Redlichkeit liegt darin. Und er betrügt einen Berg später, schon am Sinai, auch nicht um die Grausamkeit dieser bedingungslosen Gotteskindschaft. Die Regieanweisung lautet: „Während des Massakers zählt Moses die zehn Gebote auf.“ Das Massaker gilt all denen, die nicht Atem genug hatten, auf Moses’ Rückkehr zu warten und um das Goldene Kalb tanzten.

Schon vorher, beim Auszug aus Ägypten, bezahlten jene, die lieber weiter so leben wollten, wie sie immer gelebt hatten – also in Ägypten – diese Renitenz mit ihrem Leben. „Von Güte ist hier nicht die Rede, letztlich handelte es sich um die fortgesetzte Disziplinierung einer Armee“, weiß Zaimoglu. Schweifen seine Gedanken mitunter, Parallelen bemerkend, in die Gegenwart des Nahen Ostens? Nie, antwortet der Autor, so habe er nie gedacht, und er lässt keinen Zweifel an seiner Verachtung der leichtfertigen Analogiebildner.

Das Telefon klingelt. Zaimoglu spricht nun türkisch, geht aus dem Zimmer. Als er wiederkommt, sagt er: „Das war meine Mutter. Sie wollte wissen, ob es mir gut geht.“ Zaimoglus Mutter. Die Heimatvertriebene mit den armenischen und tschetschenischen Wurzeln, die in der Türkei eine neue Heimat fand und sie wieder verließ, um in Deutschland Putzfrau zu werden. Die ihre Goldreifen verkaufte für die Ausbildung ihrer Kinder. Die ihrem Sohn von einem Tag auf den anderen verbot, mit türkischen Kindern zu spielen.

Nur deutsche Freunde! Er würde die Sprache so besser lernen. Zaimoglu war einverstanden, denn er liebte ein Mädchen namens Petra und wollte ihr nicht im Taubstummenidiom erklären, wie es um ihn stehe. Zaimoglus Mutter: Die Frau, aus deren bitteren Kindheitserfahrungen sein wohl erfolgreichstes Buch „Leyla“ gemacht ist, und doch brachte es dem Sohn einen Plagiatsvorwurf ein, erhoben von einer Literaturwissenschaftlerin, die das Dunkel der Anonymität vorzog. Da saß seine Mutter bald auf gepackten Koffern, um mit ihr zu reden, „Frau gegen Frau“, wie sie sagte. „Mutter, nein, bitte nicht!“, bat der Sohn, obwohl die Lügen ihn vergifteten.

Der Blick fällt wieder auf die beiden Gekreuzigten auf gelbem Grund. „Die sind schon älter“, sagt Zaimoglu, jetzt male er gar keine Männer mehr, nur noch Frauen. „Meine Männerskepsis ist enorm“, sagt er. Im nächsten Frühjahr erscheint sein neues Buch, „Isabel“. Ein Männervernichtungsroman, erklärt er ungerührt.

Beim Hinausgehen wieder das Loch. Nur Männer verursachen dieserart Glasschäden. Darf man einem Loch eigentlich das Prädikat der Existenz zusprechen? Oder ist es nicht vielmehr eine Lücke im Sein, eine Verkörperung des Nichts? Auch wer fragt, ob Gott existiert, hat ihn schon verfehlt. Es gibt wenige, die das so genau wissen wie Feridun Zaimoglu. Früher nannte man solche wie ihn auch Mystiker.

Der Zwerg neben der rechten Mülltonne scheint zum Abschied die Hand zu heben. In Zaimoglus Roman „Hinterland“ bevölkern Wichtel die Tage und Nächte einer 50-jährigen Alkoholikerin. Erzählt aus der Sicht der Zwerge! Wie viele Namen er ihnen findet: „Fingerhutmännchen“, „Moosfräulein“, „Erdkerlchen“. Als Kind hatte Feridun Zaimoglu begonnen, die Zwerge zu lieben, jetzt hat er sie definiert: „Ein Zwerg ist eine belebte Torfknolle im Nebelmantel.“

Und plötzlich ist es klar: Wer die Zwerge verleugnet, verleugnet am Ende auch Gott. Was nicht heißt, dass beide existieren.

Erschienen auf der Reportage-Seite.

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