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© dpa

Zehn Jahre Merkel: Die Weichzeichnerin

Seit zehn Jahren steht Angela Merkel an der Spitze der CDU. Wie hat sie die Partei verändert?

Von Robert Birnbaum

Ihre Machtübernahme war ein Putsch von oben und von unten zugleich. Als der CDU-Parteitag in Essen am 10. April 2000 Angela Merkel zur neuen Parteivorsitzenden wählte, gaben 897 von 935 Delegierten nur noch einem Votum ihren Segen, das fünf Regionalkonferenzen in einem Beifallssturm vorweggenommen hatten. Das macht das Wunder nicht kleiner. Die Neue war das Gegenteil dessen, was die Christlich-Demokratische Union sich je selbst zugetraut hätte: Frau, Osten, gerade ein Jahrzehnt in Politik und Partei, eigensinnig frisiert und gekleidet, eine mäßige Rednerin. Genau dieses Andere war es, was die CDU magisch anzog.

Tatsächlich war Merkels Aufstieg nur in diesem einem Augenblick der Parteigeschichte denkbar. Helmut Kohl im Spendensumpf versunken, Manfred Kanther vom Podest des schwarzen Sheriffs in den gleichen Morast gekippt, Wolfgang Schäuble nach einer Falschauskunft im Bundestag über eine anrüchige Spende nicht mehr zu halten – die CDU sah ernsthaft den Untergang vor Augen. Schäuble fragte seine Generalsekretärin, ob sie übernehmen wolle. Merkel hatte Kohl mit einem legendären Aufsatz in der „FAZ“ beiseitegeräumt. Sie wollte. Eine kleine Runde in Schäubles Büro tüftelte den einzig möglichen Weg aus. Ein Votum der Basis musste her, um Kohls natürliche Enkel auszubooten: Jürgen Rüttgers vorweg, den Ältesten der Jungen und als NRW-Chef der Mächtigste. So zog Merkel auf Bewerbungstour in die Regionalkonferenzen. Und wenn trotzdem einer wie Rüttgers seinen Anspruch angemeldet hätte, hat einmal einer aus der kleinen Runde erzählt, „dann hätten wir eine Mitgliederbefragung gemacht“.

Die war nicht nötig, der Basis war auch so nach radikalem Neuanfang. Die junge Frau mit dem schüchternen Winken bot die Projektionsfläche dafür, ihre inhaltliche Unschärfe ließ keinen Ansatzpunkt für Widerspruch. Der revolutionäre Putsch nahm seinen Lauf, bevor Kohls Erben es fassen konnten. Der Feldzug der Generation West gegen die Frau an der Spitze brach danach erst los. 2002 wäre der Sturz beinahe gelungen – Merkel konnte sich nur retten, weil sie in letzter Minute dem CSU-Chef Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur selbst anbot. Erst kurz vor ihrem eigenen, knappen Wahlsieg 2005 rollte ihr härtester Konkurrent Roland Koch die Fahne ein.

Bis dahin hatte Merkel einen soliden Ruf als Schwarze Witwe nebst einer ansehnlichen Liste männlicher Opfer. Machtpolitisch hielt sich die Parteichefin dabei an das Judo- Prinzip: Wenn einer mit Schwung auf dich losgeht, mach dir dessen Energie per Hebelkraft zunutze, um ihn zu Boden krachen zu lassen. So scheiterten Gradheraus-Kämpfer wie Koch, Stoiber oder Friedrich Merz stets auch an sich selbst. Dass mit jedem Abgang die CDU an Farbe verlor – der Rückzug von Merz hat den Wirtschaftsflügel bis heute auf Pinguinformat gestutzt –, hat Merkel durchaus gesehen, aber in Kauf genommen. Und manchmal, darf man vermuten, war es ihr sogar recht.

Denn die Parteivorsitzende Merkel hat – anders als die Kanzlerin, die sich stark vom Regierungsalltag prägen lässt – bei aller Unschärfe im Detail von Anfang an ein klares Modernisierungsprojekt verfolgt. Wer eine der Fernseh-Rückblenden zu Helmut Kohls 80. Geburtstag verfolgt hat, hat den Weg sofort vor Augen, den die CDU in diesem Jahrzehnt gegangen ist. Schon als Generalsekretärin hat Merkel ihrer Partei ein Familienprogramm verordnet, das die Realität von Patchworkfamilien und berufstätigen Müttern zur Kenntnis nahm. Ursula von der Leyen später zur Ministerin für Familie zu machen war keine Zufallspersonalie.

Das zweite Modernisierungsprojekt endete spektakulär im Beinahe-Desaster. Auch hier griff Merkel zum Stilmittel des Putschs von oben. Allerdings blieb diesmal der Versuch ziemlich erfolglos, mit Volkshochschulvorträgen über die Vorzüge der „Gesundheitsprämie“ die Basis für das Radikal-Reformprogramm des Leipziger Parteitags 2004 zu erwärmen. Die Wähler verstanden eh nur „Kopfpauschale“ und zuckten zurück. 2005 kam Merkel, mit scheinbar uneinholbarem Vorsprung in den Wahlkampf gegen Gerhard Schröder gestartet, gerade mal ins Ziel.

Seither hat die Kanzlerin ein Kümmerer-Image entwickelt und die scharfen Leipziger Ecken allmählich abgeschliffen. Als CDU-Chefin verstört sie nur die Traditionstruppen ihrer Partei gelegentlich noch. Als der Parteitag in Hannover 2008 sich über die Frage der Forschung mit embryonalen Stammzellen spaltete, stimmte Merkel für den liberaleren Antrag ihrer Forschungsministerin Annette Schavan.

Auch personell finden Konservative in Merkels CDU wenig Halt. Seit dem Abgang des Hessen Franz Josef Jung ist Schäuble der Letzte im Kabinett, bei dem Konservative wenigstens darauf hoffen können, dass er sie versteht. Dafür sitzen Merkels Vertraute jetzt an den Schaltstellen – als Minister, Staatssekretäre, Fraktionsgeschäftsführer, Generalsekretär. Es sind ausgerechnet die „Jungen Wilden“ aus der Ära Kohl, die einst mit jungen Grünen Pizza aßen und Deutschland frech ein Einwanderungsland nannten.

Zwischen Vorsitzender und Teilen der Partei ist die kleine kühle Distanz immer geblieben. Auch der Stolz auf die eigene Kanzlerin hat sie nie ganz überbrückt. Parteibuch-Inhaber sind wie Fußballfans – der eigene Verein hat immer recht! Aber Pathos kann Merkel nur ausnahmsweise, stramme Sprüche sind ihr intellektuell zu dürftig und weinseliges Schunkeln am Parteitagsabend käme ihr nie in den Sinn. Dass die CDU in zehn Jahren den fünften Generalsekretär hat, ist ein Hinweis auf das Problem. Zumal nicht erst der letzte Amtsinhaber Ronald Pofalla sich dauernd gegen den Verdacht wehren musste, er sehe sich als Sprecher der (Regierungs-)Chefin und nicht als Hüter der Partei. Merkel nahm auch das in Kauf, erleichterte ihr doch das flache Profil der eigenen Partei die Akzentverschiebung, die ihre Kritiker lautstark als „Sozialdemokratisierung“ geißelten. Sie hat auf ihre Weise auf die Kritik reagiert. Der neue General im Adenauer-Haus, Hermann Gröhe, gehört ebenfalls zur Garde der Modernisierer, will aber erklärtermaßen dem C im Parteinamen wieder mehr Gewicht verleihen.

Die Zwischenbilanz bleibt eigentümlich zwiespältig. Merkel war vom ersten Tag an in Machtkämpfe verwickelt – und sie ist nach der Dekade immer noch da, unangefochten wie nie zuvor. Die CDU ist unter ihr moderner, pragmatischer, weltoffener geworden. Der Preis ist ein Verlust an Trennschärfe, innerer Geborgenheit und Engagement. Kein Kanzler war so anhaltend beliebt wie Merkel, wahrscheinlich haben wenige vor ihr so wenig Aggression beim politischen Gegner ausgelöst. Dass die Union bei Bundestagswahlen trotzdem nie mehr über das Ergebnis hinausgekommen ist, mit dem Kohl abgewählt wurde, steht auf dem gleichen Blatt. Andererseits: Kohl hat als Parteichef ein Vierteljahrhundert lang vergebens die „Sozen“ kleinzukriegen versucht. Er hat es mit Schlachtgeschrei versucht und mit schwarzen Kassen. Merkel hat es völlig ausgereicht, vier Jahre mit den Hauptkonkurrenten zu regieren.

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