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Politik: Zeichen der Zeit

Von Lorenz Maroldt

Gnade ist nicht die Krönung eines offenen rechtsstaatlichen Verfahrens, sondern dessen geheimnisvolles Gegenteil: ein Willkürakt. Dennoch hat das Gnadenrecht seinen Platz im demokratisch verfassten Rechtssystem. Gnade kann ein Zeichen von Stärke sein, aber auch ein Korrektiv, ein Zugeständnis an die Unvollkommenheit. Gnade im Rechtsstaat setzt Vertrauen voraus: das Vertrauen der Gesellschaft in denjenigen, der Gnade erweist – oder verwehrt. Es gibt keine verbindlichen Kriterien, nach denen Gnade erteilt oder versagt wird. Es gibt auch keine öffentlichen Erklärungen, warum Gnade erteilt oder versagt wird. Aber gerade weil das so ist, hat sich in der Gesellschaft eine stark von Gefühlen geprägte Erwartung manifestiert. Täter, die um Gnade bitten, sollen ihre Schuld gestehen, Reue zeigen, die Opfer um Verzeihung bitten, zur Aufklärung der Taten beitragen. Darüber lässt sich kaum schweigend hinweggehen, wenn diese Erwartungen so offensichtlich wie im Fall Christian Klar nicht erfüllt werden.

Bundespräsident Köhler hat zu seiner Entscheidung über das vier Jahre alte Gnadengesuch Klars offiziell lediglich bekannt gegeben, woher er seine Informationen bezog, die ihm als Grundlage dienten. Mangelnde Recherche wird man ihm nicht vorwerfen können. Zuletzt sprach er mit Christian Klar selbst, und nicht nur die empörte CSU sah dies bereits als vorzeitige Festlegung auf einen Gnadenerweis an. Wie auch immer dieses Treffen verlaufen sein mag, was auch immer der Präsident bis dahin dachte: Ganz offensichtlich hat Christian Klar ihm keine ausreichend starken Argumente für eine Begnadigung geben können oder wollen. Notfalls unbequem zu sein hatte Köhler zu einem Leitgedanken seiner Präsidentschaft erklärt. Jetzt zeigt sich: Notfalls agiert er auch überraschend, hier selbst auf die Gefahr hin, dass es nun heißen könnte, er habe sich, seiner Wiederwahl zuliebe, dem Druck der Union gebeugt. Im Köhler’schen Sinne unbequem wäre indes der Gnadenerweis gewesen.

Der Bundespräsident hat nicht nur das Gnadengesuch Christian Klars abgelehnt, sondern auch das Birgit Hogefelds. Die Erklärung des Präsidialamts zu diesem Fall lässt dann doch einen Rückschluss auf den Fall Klar zu. Mehrfach wird die bisherige Haftzeit von Hogefeld betont, es sind vierzehn Jahre, und es schwingt das Wort „erst“ mit. „Zu gegebener Zeit“ werde sich der Präsident mit Hogefelds Gesuch abermals befassen. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass andere Voraussetzungen, womöglich Reue, bei ihr gegeben sind – jedoch nicht bei Klar. Was Christian Klar daran hindert, offen das auszusprechen, was anderen ehemaligen RAF-Mitgliedern irgendwann gelang, bleibt ein Rätsel, bleibt verschlossen in einer unzugänglichen Gedankenwelt. Ein Gnadengesuch zu stellen, ist auch ein Akt der Unterwerfung, ein Eingeständnis des Scheiterns, ein Anerkennen der Autoritäten, die mit der Waffe in der Hand voller Hass bekämpft wurden. Eigentlich ein großer Schritt, ein mindestens so großer wie Reue, wenn ein Gefühl wie Stolz noch einen Wert hat nach mehr als zwanzig Jahren Gefängnis. Doch das Schweigen lässt eben auch die Möglichkeit zu, dass die Bitte um Gnade lediglich ein taktischer Schritt war, kein tatsächlicher.

So ist auch für Christian Klar die Zeit in gewisser Weise noch nicht gegeben. Dass es es für ihn keine Freiheit auf Gnade gibt, entspricht jedenfalls dem Gefühl, dass ein Schlussstrich noch längst nicht in Sicht ist.

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