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Politik: Zeit für den Entzug

Von Moritz Döbler

Heute, morgen, übermorgen. Oder diesen Monat, nächsten Monat, bis zum Jahresende. Weiter reicht der Horizont von Aktienhändlern nicht. Und so steigen die Kurse dank positiver Zinssignale und Unternehmensnachrichten aus den USA, obwohl der Ölpreis ein Rekordniveau markiert. Wie die Börse gehen die Bürger zur Tagesordnung über. Der Benzinpreis ist nach Ostern wieder gesunken, und die ersten Sonnenstrahlen beenden die Heizperiode.

Hinzu kommt: Preisbereinigt verläuft der Ölpreis in den letzten Jahrzehnten eben nicht in der gefühlten steilen Kurve nach oben. Nominal ist nicht real. Wenn dann noch die Ölförderländer die versprochenen Kapazitäten tatsächlich aufbauen, haben die Sorgen für viele Jahre ein Ende. Schluss mit dem Alarmismus!

Oder vielleicht doch lieber nicht. Denn eines ist sicher: Die Ölressourcen sind endlich, die Nachfrage nimmt wegen der Aufholjagd von China, Indien und anderen aufstrebenden Volkswirtschaften zu, und das treibt den Preis. Originell ist diese Erkenntnis nicht. Aber trotz der Ölkrise der 70er, trotz des ökologischen Bewusstseins und sieben Jahren Rot-Grün fehlt in Deutschland eine grundsätzliche Erörterung der Folgen.

Wie leben wir in der Zeit nach dem Öl? Ernsthaft beschäftigen sich mit dieser Frage nur die Öl produzierenden Staaten in Nahost. Eine halbe Billion Euro dürften sie allein in diesem Jahr einnehmen, und damit bauen sie künftige Geldquellen auf. Der Tourismus soll den Ölboom ablösen, deswegen entstehen am Golf riesige Flughäfen und spektakuläre Hotels, werden steinige Küsten plötzlich zu Postkartensandstränden und Palmenpromenaden. Von der obersten Etage des Sieben-Sterne-Hotels Burj-al-Arab in Dubai aus sieht man in die Zukunft.

Gerhard Schröder hat aus diesem 321- Meter-Turm geschaut, er hat die Herausforderung begriffen und strategische Beziehungen nach Nahost und Russland geknüpft. Man mag es schlechten Stil finden, dass der Altkanzler nun ein Jahressalär von einer Viertelmillion Euro für seinen Posten an der Spitze des russischen Pipelineaufsichtsrats bezieht. Aber kalt betrachtet steht die Summe in keinem Verhältnis zum Nutzen, den Deutschland von einer sicheren Versorgung mit russischem Erdgas ziehen wird.

Auch Schröders einstiger Intimus, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, hat die Energie als Schlüsselthema seiner Amtsführung benannt. Und die Bundeskanzlerin – einst Umweltministerin – ebenfalls. Dieses Jahr geht es um Gesundheitswesen und Arbeitsmarkt; das nächste Jahr, wenn Deutschland die Ratspräsidentschaft in der EU und den G8-Vorsitz übernimmt, steht im Zeichen der Energie. Deutschland allein aber ist ein zu kleiner Spieler auf der energiepolitischen Weltbühne, und es reicht nicht, das Thema nur zu benennen. Gebraucht werden europäische, westliche Antworten auf die drängenden Fragen.

„Wir sind süchtig nach Öl.“ Mit diesen Worten hat George W. Bush den Ausbau erneuerbarer Energien angekündigt. Dass den Worten wenige Taten folgen, dass die Atomkraft der Schlüssel seiner Überlegungen ist, werfen ihm Kritiker vor, und sie mögen Recht haben. Doch der Blick vor die eigene Tür ist wichtiger. Wo sind die Konzepte jenseits der Pipelines, auch jenseits der Windräder? Vielleicht stellt sich manche als sicher angenommene Entscheidung bald anders dar. Natürlich ist da das Reizthema, das Merkel vorerst ausspart: die Atomkraft. Ein Allheilmittel ist sie nicht, neue Reaktoren will niemand – aber wie klug ist es, bezahlte, abgeschriebene, funktionstüchtige Reaktoren vom Netz zu nehmen? Oder: Will man sich wirklich von dem einzigen heimischen Rohstoff, der Kohle, verabschieden? Und soll sich der Staat ganz aus der Bahn zurückziehen, wenn er zugleich attraktive Alternativen zum Autofahren für alle Bürger garantieren will?

Womöglich ist Schweden ein Vorbild. Bis 2020 will das Land nicht mehr auf Öl, Gas oder Kohle angewiesen sein. „Wir werden weltweit die Ersten sein, die unabhängig von fossilen Brennstoffen sind“, lautet die Losung. Das wäre ein Wettlauf, der sich lohnt.

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