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Politik: Zeit für die Kanzlerin

Von Alfons Frese

Bald kommt der Frühling. Und der Streik der Räumkolonnen, die in diesen Tagen so manche Straße in Süddeutschland dem Schnee überlassen, wird nicht weiter aufregen. Das ist schlecht für die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Oder doch gut? Was wäre wohl passiert, wenn auf glatter Straße jemand zu Tode gekommen wäre? Sozusagen ein Arbeitskampfopfer wegen 18 Minuten zusätzlicher Arbeitszeit am Tag.

Der Streik geht in die fünfte Woche, und außer einer Einigung auf der kommunalen Ebene Hamburgs hat sich bisher nichts nach vorne bewegt. Im Gegenteil. Beide Seiten haben sich festgefahren. Der Verhandlungsführer der Bundesländer, Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring, sagt immer wieder: Ohne 40-Stunden-Woche schließen wir nicht ab. Und Verdi-Chef Frank Bsirske echot, Arbeitszeitverlängerung kostet Arbeitsplätze, das machen wir nicht mit. Aber Bsirske sagt nur die halbe Wahrheit. Denn viele Bundesländer erhöhen bei Neueinstellungen oder Beförderungen bereits die Arbeitszeit. Der Anteil derer, die nicht mehr 38,5 Stunden sondern 40 Stunden oder mehr arbeiten, ist nach und nach gestiegen. Anders gesagt: Die Länder schaffen Fakten, die Wirklichkeit läuft Verdi davon.

Dieser Arbeitskampf ist besonders. Die Verdi-Mitglieder streiken nicht für mehr Geld oder kürzere Arbeitszeit. Sie streiken, damit sich nichts für sie verschlechtert. Und weil dieser Arbeitskampf ein Abwehrkampf der Gewerkschaft ist, eignet er sich hervorragend für die andere Seite, alles auf Sieg zu setzen. Eine prima Gelegenheit für die öffentlichen Arbeitgeber, Verdi und Bsirske zu demütigen und die Gewerkschaften insgesamt zu schwächen. Die Äußerungen des CDU-Politikers Möllring darf man so interpretieren. Das ist ja auch verständlich. Die CDU hat prinzipiell kein Interesse an starken Gewerkschaften, die – trotz Agenda 2010, Hartz IV und Linkspartei – noch immer als traditioneller Bündnispartner der SPD fungieren.

Doch die CDU ist inzwischen auch Bündnispartner der SPD. Aber weniger aus Gründen der Klimapflege wird sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für einen Tarifkompromiss einsetzen. Sie hat vielmehr inhaltliche Gründe für eine Intervention. Ein unendlicher Arbeitskampf belastet erst die Stimmung und dann die Konjunktur; ruckzuck wäre der Schwung der ersten 100 Regierungstage verpufft. Und bevor sich Bsirske vor Möllring in den Staub wirft, wird er noch viele Monate gezielt zum Ausstand aufrufen. Der Zorn der Bürger über liegen gelassenen Müll, geschlossene Kitas und verschobene Operationen wird sich gewiss nicht allein auf die Gewerkschaft beschränken; am 26. März wird in drei Ländern gewählt.

Wichtiger jedoch ist langfristig die Frage, wer künftig über die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst entscheidet. Wollen wir ein einheitliches Tarifrecht, das für Bund, Länder und Kommunen gilt, oder trifft jedes Land mit Verdi seine eigenen Verabredungen? Das bedeutete das Ende des Flächentarifs im öffentlichen Dienst. Hoher Verhandlungs- und Regelungsaufwand in jedem einzelnen Land wären die Folge. Die Konkurrenz um die besten Arbeitskräfte ginge zu Gunsten der reichen Länder aus; die Ostländer würden weiter abgehängt. Wer an gleichwertigen Lebensverhältnissen hier zu Lande interessiert ist, der muss das verhindern wollen.

Vielleicht erinnert Angela Merkel die Herren Möllring und Bsirske daran, dass die Wahrheit zumeist in der Mitte liegt. Das wären dann 39,25 Stunden in der Woche. Für Verdi ist das ein schwerer Gang. Aber eine Brücke über den ideologischen Graben könnte in der Ausbildungspolitik liegen. Verdi akzeptiert die längere Arbeitszeit – und im Gegenzug erhöhen die öffentlichen Arbeitgeber die Zahl der Ausbildungsplätze. Nach der Ausbildung bleiben die jungen Leute mindestens ein Jahr im Dienst. So würden die Tarifparteien ihrer beschäftigungspolitischen Verantwortung immerhin etwas gerecht. Schön wär’s. Aber allein wird sie das nicht schaffen, die Bundeskanzlerin.

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