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Demonstranten in der syrischen Stadt Homs fordern ein Ende des Regimes Assad.

© rtr

Zentrum der Opposition: Syrische Stadt Homs - zwischen Tod und Hoffnung

Fast kein Tag vergeht, ohne dass in Homs Blut fließt. Trotzdem gehen Menschen wie Majid Amer immer wieder gegen das Regime auf die Straße. Amer hat Furchtbares erlebt. An den Traum von Freiheit glaubt er weiter.

Es ist nicht leicht, in diesen Tagen mit einem Aktivisten aus Homs über seine Stadt zu sprechen. Mitten im Gespräch wechsle ich zwischen Lachen und Tränen, ohne es zu merken. Was soll ich ihn fragen zu einer Stadt, die mehr als 1200 Märtyrer verloren hat seit Beginn der Revolution? In der die Menschen trotz dieser Verluste jeden Tag ungeduldig den Beginn der täglichen Demonstrationen erwarten, die von manchen Satellitensendern sogar live übertragen werden?

Die Demonstrationen in Homs sind eine Art Volksfest der Freiheit geworden, das oft nur wenige Meter entfernt stattfindet vom täglichen Beschuss der Stadt durch Gewehre und Panzer. Majid Amer, ein Aktivist der ersten Stunde, erzählt, dass sich die Demonstranten zunächst an einem relativ sicheren Ort sammeln, im Schutz von Häusern und engen Gassen. Den Zugang zu diesen Gassen blockieren sie mit Mülltonnen, und sie positionieren Wachen, die laut Alarm pfeifen, sobald Sicherheitskräfte sich nähern.

Razzien und Panzerbeschuss sind nicht die einzigen Schrecken in Homs, das inzwischen den Ehrennamen „Hauptstadt der Revolution“ trägt und gerade vom Syrischen Nationalrat, dem Hauptgremium der Opposition, zur „Katastrophenstadt“ erklärt wurde, weil sie seit Tagen von der syrischen Armee und von Schlägertrupps des Regimes belagert und systematisch angegriffen wird. Am schlimmsten, sagt Amer, ist das Pfeifen der Gewehre der Scharfschützen. Er nennt es schlicht „die Ankündigung eines sicheren Tods“.

Amer gehörte zu den ersten, die in Homs auf die Straße gingen. Inzwischen ist der Alltag in seiner Stadt ein einziges Drama. Sein Auto hat Amer in einen Krankenwagen umfunktioniert. Jedes Mal, wenn er nach einer Demonstration Verwundete geborgen hat, muss er die Sitze auswechseln, weil die Sicherheitskräfte an den Checkpunkten nach Blutspuren suchen, um die heimlichen Helfer zu finden. In den vergangenen Tagen konnte er keine Kranken mehr transportieren, weil das Netz von Kontrollpunkten in der Stadt zu dicht geworden ist und es praktisch keine Schleichwege mehr gibt.

Als schlimmsten Tag bislang hat er das Massaker am zentralen Platz von Homs in Erinnerung. Rund um den markanten Turm mit der Uhr hatten Aktivisten eine Sitzblockade organisiert, die nur wenige Stunden später in einem blutigen Showdown endete. „Der Tag begann mit Vorbereitungen für die Beerdigungen jener, die bei Demonstrationen am Tag zuvor getötet worden waren. Eine riesige Menschenmenge bewegte sich in Richtung des Shuhada-Friedhofs im Stadtviertel Bab Tadmur“, erinnert sich Amer. „So eine große Menschenmenge hatte ich in Homs noch nie zuvor gesehen.“

Seite 2: „Wir haben geschrieben, sie angefleht, sogar geweint, um sie vom Marsch auf die Statue abzuhalten.“

Nach den Beerdigungen hätten sich die Menschen am Bab-Tadmur-Platz versammelt und gemeinsam gesungen und Slogans gerufen. „Ich war überglücklich und wirklich stolz auf meine Leute.“ Nach etwa einer halben Stunde hätten dann einige Demonstranten begonnen, in Richtung der berüchtigten Hafez al Assad-Statue zu zeigen und zu rufen: „Auf nach Hubal“, eine Anspielung auf eine vorislamische Gottheit, die für Muslime heute ein Symbol der Ungläubigen darstellt. „Die Menge zu der Statue zu dirigieren, hieß, sie in die Arme der Sicherheitskräfte zu treiben und ein sicheres Massaker zu provozieren“, sagt Amer. „Ich bin sicher, dass dies geheime Agenten der Sicherheitskräfte waren.“ Er und seine Freunde versuchten gegenzusteuern und die Menge in eine andere, weniger gefährliche Richtung zu lenken. „Wir haben geschrieben, sie angefleht, sogar geweint, um sie vom Marsch auf die Statue abzuhalten.“

Als er merkte, dass die Menge schließlich umkehrte und ihren Anweisungen folgte, sank er erschöpft auf der Straße nieder und begann zu weinen. Seine Kleider waren zerfetzt, er hatte seine Schuhe verloren, aber nach einer Weile rappelte er sich auf und marschierte mit der Menge weiter. Überall auf den Balkonen hatten sich Menschen versammelt und besprenkelten die Marschierenden mit Wasser und jubelten ihnen zu.

Irgendwo entlang des Weges muss dann die Idee der Sitzblockade am Uhrenturm entstanden sein. Amer erzählt mir von jenem dramatischen 18. April, während wir gemeinsam in einem Café sitzen. Er hält kurz inne, um mir einen Kaffee zu bringen. Niemals, sagt er, wieder am Tisch, habe er zu hoffen gewagt, einen solchen Tag zu erleben. Seine Worte erinnern mich an die eines älteren Aktivisten, der sagte, am Tag jener Sitzblockade habe er sich zum ersten Mal seit 60 Jahren frei gefühlt. „Nun spielt es keine Rolle mehr, ob ich lebe oder sterbe“, hatte jener Aktivist noch gesagt.

Doch was als der schönste Tag in Homs begann, endete als einer der tragischsten in der Geschichte der Stadt. Binnen weniger Stunden hatten die Menschen am Uhrenplatz Zelte aufgebaut und den Platz für eine Sitzblockade vorbereitet, die dauern sollte bis zum Fall des Regimes. Das hatte jedoch andere Pläne. „Ich war auf dem Weg nach Hause, so gegen halb zwölf Uhr, um zu duschen und mich umzuziehen und dann zum Sit-in zurückzukehren. Als ich am Museum vorbeikam, sah ich sie in der Dunkelheit“, erzählt Amer. Im Eingang des Gebäudes, von dem aus man den ganzen Platz überblicken konnte, sammelten sich im Schutz der Dunkelheit Dutzende Männer. „Ich stand allein auf der Straße und zündete eine Zigarette an. Im Schein des Feuerzeugs sah ich sie, alle in Uniform und schwer bewaffnet.“

Er ging weiter, zitternd, überlegend, was er tun sollte. Zurück zum Platz konnte er nicht, sie hätten ihn gesehen und gewusst, dass er sie gesehen hat. „Als ich an ihnen vorbeiging, dachte ich, mein Herz bleibt stehen, so große Angst hatte ich, dass sie mich in den Kopf schießen.“ Eine Ecke weiter blieb er stehen und versuchte zehn Minuten lang verzweifelt, einen seiner Freunde auf dem Platz telefonisch zu erreichen. Als endlich einer antwortete, nahm er ihm das Versprechen ab, den Platz sofort zu evakuieren. Doch als Amer ein paar Minuten später noch einmal anrief, sagte ihm sein Freund, ein Geistlicher auf dem Platz habe ihm versichert, die Sicherheitskräfte seien nur gekommen, um die Demonstranten zu schützen.

„Ich war schockiert, als ich das hörte und ging sofort nach Hause. Ich habe geduscht und mich hingelegt und versucht, dem Mann zu glauben, aber ich konnte es nicht. Wieder habe ich angerufen und bekam dieselbe Geschichte zu hören.“ Irgendwann schlief Amer vor Erschöpfung ein – bis ihn das Geräusch einer heftigen Schießerei weckte. Er rannte sofort hinaus, sprang in sein Auto, während er von überall Schüsse hörte. Irgendwer rief ihm hinterher: „Bleib hier!“ Aber er hatte das Auto schon gestartet und fuhr los. Ihm taumelten Menschen unter Schock entgegen; ohrenbetäubender Lärm, Schreie, Schüsse füllten die Straßen. Männer, Frauen und Kinder jeden Alters rannten wild durcheinander. „Ich hielt an und zog Leute in meine Auto, um sie aus der Gefahrenzone zu bringen. Ich weiß nicht, wie oft ich hin und her gefahren bin. Eine Kugel schlug in meinem Auto ein, und ich fing an zu weinen, ich konnte kaum noch sehen, wo ich lang fuhr, aber irgendwie fuhr ich weiter.“

Seite 3: „Zum ersten Mal dachte ich: Diese Mörder verdienen den Tod.“

Wie er nach Hause kam, weiß er nicht mehr, er erinnert sich nur noch, dass ihn vor seinem Haus Menschen aus dem Auto zogen, er am ganzen Körper zitterte und nicht aufhören konnte zu weinen. „Die Schießerei ging bis zum Morgengrauen, und ich wurde regelrecht hysterisch. Es war ein entscheidender Moment für mich. Zum ersten Mal dachte ich: Diese Mörder verdienen den Tod.“

Am Morgen die Bilanz der düsteren Nacht: Dutzende Tote, mehrere Hundert verhaftet oder verschwunden. Ganz zu schweigen von dem Gefühl der Überlebenden, unter ständigem Terror und Unterdrückung zu leben. Doch seit jenem Tag sind die Bürger von Homs entschlossener denn je, politischen Wandel zu erreichen.

Auf die organisierte Opposition in Form des Nationalrats setzt Amer dabei wenig Hoffnung. „Vielleicht, weil wir hier vor Ort das Gefühl haben, dass auf politischer Ebene nichts vorangeht. Wann immer ich nach Hause komme und das Blut meiner Freunde von meiner Kleidung und meinen Händen wasche und die Nachrichten einschalte, warte ich darauf zu hören, dass wir endlich eine Übereinkunft und ein System haben, das die syrische Revolution repräsentiert.“

Ob er angesichts der Brutalität, die Homs jeden Tag von Seiten des Regimes erlebt und ob des Mangels jeder politischen Lösung eine Militarisierung der Revolution befürworte, frage ich Amer. „Der Gedanke macht mir Angst“, sagt er. „Ich bin hin- und hergerissen zwischen meinem Wunsch, eine zivile Staatsordnung in Syrien zu sehen, in der jedes Individuum einfach nur Staatsbürger ist – und dem Wunsch, dem Töten um jeden Preis ein Ende zu setzen, selbst wenn das bedeutet, dass wir selbst erst einmal zu Waffen greifen müssen. Ich müsste lügen, wenn ich sagte, ich hätte noch nie daran gedacht, selbst eine Waffe zu tragen, nachdem so viele meiner Freunde gestorben sind.“

Und was hat ihn letztlich von dem Schritt abgehalten? „Die Gewissheit, dass, wer auch immer durch meine Hände sterben würde, ebenfalls ein syrischer Bürger ist – und dass ich mit ihm den Traum töten würde, für den ich auf die Straße gegangen bin.“

Die Autorin: Razan Zeitouneh (34) ist Aktivistin und Anwältin. Seit Beginn der Revolution im März lebt sie versteckt in Damaskus. Kürzlich wurde sie mit dem Sacharov-Preis des Europäischen Parlaments ausgezeichnet. Diese Geschichte wurde erstmals publiziert auf der Seite www.damascusbureau.org

Von Razan Zeitouneh

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