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Bestattung einer muslimischen Frau, die als Flüchtling ums Leben gekommen ist, während der Aktion des "Zentrums für Politische Schönheit" in Berlin-Gatow.

© Fabrizio Bensch/Reuters

Zentrum für politische Schönheit: Warum das Spiel mit den Leichen eine politische Aktion bleibt

Leichen von Flüchtlingen werden bestattet, um damit zu protestieren und zu provozieren. Ist die Kunst politischer geworden? Nein, sie übernimmt nur Muster des politischen Handelns und nennt es Kunst. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Rüdiger Schaper

Die Toten bestatten mit Geste und Wort. Ihre Geschichte bewahren in der Erzählung, der Wiederholung. Die Erinnerung an sie wachhalten mit Rührung und Schrecken – das war die zivilisatorische Idee des Theaters der Griechen, 2500 Jahre jung. Es ersetzte die direkte Aktion – das Menschen- und Tieropfer, die Orgie – durch eine repräsentative Handlung, den wechselnden Vortrag von Schauspieler und Chor. Es entwickelte sich unter freiem Himmel, im Amphitheater, wo jene Menschen saßen, die im antiken Stadtstaat erste Formen der Demokratie praktizierten.

Dieses Verständnis von Kunst und Theater empfinden viele heute als nicht mehr zeitgemäß. Künstler drängt es zur unmittelbaren Handlung. Jetzt, los, sofort! So wie es auch, zumal in Berlin, eine wachsende Lust auf Volksabstimmungen, auf plebiszitäre Politik gibt.

Eine Gruppe mit dem ironisch gefärbten Namen „Zentrum für Politische Schönheit“ hat diese Woche damit begonnen, Leichen von Flüchtlingen in der deutschen Hauptstadt zu begraben. Antigone reloaded. Zuvor waren die Toten in Sizilien exhumiert worden, mit dem Einverständnis der Angehörigen. Sie stammten aus Syrien und hatten in Libyen ein Boot bestiegen; wenn die Angaben des „Zentrums“ stimmen. Im letzten Jahr hatten die Aktivisten im Regierungsviertel Kreuze abmontiert, die an die Mauertoten erinnern, und an die östlichen Außengrenzen der EU gebracht, wo die Festung Europa sich manifestiert.

Ist das Kunst? Hier mischen sich christlich-humanistische Gedanken mit einer Provokationstechnik, die sich der Symbole der letzten Dinge bedient: Kreuz und Sarg. Wenn überhaupt gespielt wird, dann mit dem Tabu. Es genügt nicht, ein Stück zu schreiben und aufzuführen. In einer immer komplexer erscheinenden Welt wird der traditionelle künstlerische Weg als viel zu kompliziert empfunden. Zu langsam auch: Dass Künstler so schnell reagieren wollen wie die Nachrichtenmedien, dass sie journalistisch vorgehen, ist überall zu beobachten.

Kunst-Biennalen schöpfen aus dem Abfall der globalisierten Industriegesellschaft, schauen auf die Opfer, setzen sich auseinander mit dem Begriff Gewalt. Was allerdings ein uralter Topos aller Künste ist – der Mensch und jenes Höhere, das ihn richtet und vernichtet, sei es das System der olympischen Götter oder die kapitalistische Unordnung.

Ist die Kunst politischer geworden? Das eben nicht. Sie übernimmt nur Muster des politischen Handelns, des zivilen Protests und nennt es – Kunst. Oder Performance. Der vor bald fünf Jahren verstorbene Christoph Schlingensief war der Vater des schnellen Gedankens und seiner spektakulären Umsetzung. Er besaß Charisma. Er hatte Humor und etwas Unschuldiges in seiner Art. Seine Nachfolger wirken kühl, überlegt, selbstbezogen auch, wie Ingenieure der Empathie. Sie sind als Personen nicht zu greifen, eher Partisanen als Parsifal.

Das ist es auch, was an den Aktionen des „Zentrums für Politische Schönheit“ abstößt und nicht so schön ist. Thema wichtig, Zeitpunkt richtig, alles bestens geplant, besonders auf die mediale Wirkung hin. Dazu gibt es knallige Schuldzuweisungen.

Was hat das mit Kunst zu tun? Das braucht die Kunst, um sich ihrer Freiheit zu bedienen und ihres Nimbus. Schlingensief gründete in Afrika ein „Operndorf“, mit Schule und Krankenstation. Die Idee hat sich als nachhaltig erwiesen, während der Kunstbetrieb inzwischen Protest und Pamphlete in Serie produziert. Die aktivistische Kunst will ohne Umschweife auf die Realität zugreifen. Sie arbeitet nicht mit Artefakten, sondern mit vorgefundenen Objekten – und Subjekten. Und wenn es Leichen sind.

Vielleicht bewirkt das etwas. Es nimmt aber der Kunst, wenn sie fremden Regeln folgt, auch schon viel von ihrem Wesen, ihrer Wirkungskraft. Die darin liegt, dass sie nicht Werkzeug von Politik ist, nicht reine Moral, nicht nur Konzept. Was jetzt passiert, am Mittelmeer, aber auch bei den Transporten toter Flüchtlinge, ist ein Rückfall in Zeiten vor der Zivilisation.

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