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Politik: Zerreißprobe für Georgien

Russland und USA kämpfen um Einfluss im Kaukasus – Moskau setzt dabei auf das abtrünnige Abchasien

Die Warnungen russischer Experten vor einer weiteren Eskalation im russisch-georgischen Konflikt klingen mittlerweile ähnlich schrill wie die Erklärungen, mit denen sich Moskau und Tiflis nahezu im Stundentakt attackieren. Es gehe längst nicht mehr allein um einen Konflikt Georgiens mit seinen abtrünnigen autonomen Regionen Südossetien und Abchasien. Russland hat beide durch Aufnahme besonderer Beziehungen, wie Putin sie Mitte April ankündigte, faktisch zu souveränen Staaten aufgewertet.

Vielmehr bahne sich, erläutert Sergej Markedonow vom Institut für politische und militärische Analysen, ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA an, bei dem Georgien versuche, sich als Teil der westlichen Hemisphäre zu positionieren. Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte das Säbelgerassel ausgerechnet am Mittwoch. Während in Brüssel der Russland-Nato-Rat die Kampfhähne zu Mäßigung aufrief, verstärkte Moskau seine Blauhelmkontingente in der Krisenregion.

Mit einem Mandat der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS ausgestattet, sollen diese den fragilen Frieden an der Waffenstillstandslinie sichern, die Tiflis 1993 mit den Separatisten aushandelte. Georgien indes behauptet, russische Einheiten hätten am Mittwoch den Fluss Psou überschritten. Er mündet südlich von Sotschi, dem Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014, ins Schwarze Meer und bildet die Grenze zwischen Russland und Abchasien.

Georgiens neu ernannter Vertreter bei Nato und EU, David Bakradse, warf Russland eine Intervention im sowjetischen Stil vor – wie 1968 in der Tschechoslowakei und 1979 in Afghanistan. Russland, keilte Außenminister Sergej Lawrow zurück, wolle keinen Krieg, werde aber „nicht tatenlos zusehen“, wenn Tiflis zu militärischen Mitteln greife. Zuvor hatte das Verteidigungsministerium georgische Truppenkonzentrationen an Abchasiens Grenzen als „Provokation“ bezeichnet, die Russlands Blauhelmen „wesensfremde Aufgaben“ aufzwinge.

Gemeint waren aktive Kampfhandlungen. Die, so fürchten Experten wie Markedonow, würden für Georgien mit einer Katastrophe enden und für Russland mit internationaler Isolation. Nicht einmal von der GUS sei Unterstützung zu erwarten: Mehrere der Ex-Sowjetrepubliken hätten „ähnliche Leichen im Keller“ wie Georgien. Auch der Kreml ist sich der Risiken offenbar bewusst und setzt darum beim Schutz russischer Interessen statt auf Einheiten der regulären Armee auf Heimwehren der südrussischen Kosaken und auf halblegale Milizen ethnischer Minderheiten.

Mit Panzern und Artillerie, erbeutet aus russischen Waffenlagern, kämpften sie schon 1993 auf Seiten Abchasiens gegen georgische Regierungstruppen. Darunter sind auch Elite- Einheiten der tschetschenischen Separatisten. Ihnen öffnete Moskau, schon damals heimliche Schutzmacht Abchasiens, eigens dazu sogar einen Korridor für den sicheren Durchzug.

Bis 1996 koordinierte die Konföderation der Kaukasusvölker KNK die Aktivitäten der nach ethnischem Prinzip organisierten Milizen. Dann führten Differenzen über Moskaus Tschetschenienkrieg zur Spaltung. Seither agieren die Feldkommandeure autonom. Putin versuchte, sie zu liquidieren, vermochte aber nur, sie noch tiefer in den Untergrund zu zwingen. Jetzt holt er sie offenbar aus ihren Verstecken – für einen zweiten Abchasienfeldzug.

Wie die „Nesawissimaja Gaseta“ berichtet, waren schon am letzten Samstag alle ehemaligen KNK-Chiefs nach Tscherkessk, der Hauptstadt der Teilrepublik Karatschai-Tscherkessien, gekommen, um dort mit Unterstützung der Regionalregierung eine neue Dachorganisation zu gründen: Die „Assoziation der Abchasien-Veteranen“. Einziger Tagesordnungspunkt: „Internationalistische Waffenhilfe für unsere Brüder in Abchasien“.

Für Moskau, wo die potenziellen Kombattanten den ausdrücklichen Segen für ihr Vorhaben empfangen haben wollen, ein Hochrisiko-Unternehmen. Wie immer es ausgeht: Bei einem Misserfolg dürften die Feldkommandeure vor allem Moskau dafür verantwortlich machen. Und bei einem Erfolg werden sie Russlands neuen Präsidenten Dmitri Medwedew mit ähnlich maximalistischen Autonomieforderungen für ihre Volksgruppen kommen, wie Tschetschenen-Präsident Ramsan Kadyrow gegenüber Putin.

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