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Politik: Zu arm, zu groß – aber wichtig

Vieles spricht für die Aufnahme der Türkei in die EU, vieles aber auch dagegen. 1989 hatte die EU-Kommission Beitrittsgespräche noch wegen der instabilen politischen und wirtschaftlichen Lage des Landes abgelehnt.

Vieles spricht für die Aufnahme der Türkei in die EU, vieles aber auch dagegen. 1989 hatte die EU-Kommission Beitrittsgespräche noch wegen der instabilen politischen und wirtschaftlichen Lage des Landes abgelehnt. Seit sich die Mitgliedsstatten vier Jahre später auf Kriterien für einen Beitritt geeinigt haben, reicht ein einfaches „Nein“ nicht mehr. Doch natürlich spielen Für und Wider bei der Auslegung dieser Kriterien eine gewichtige Rolle.

Für den Beitritt spricht:

Die Lage. Nach dem 11. September ist die Bedeutung der Türkei als stabilisierender Faktor in der Region an der Grenze zu Asien und dem Mittleren Osten noch gewachsen. Sie strahlt in den Mittelmeerraum ebenso aus wie in den Mittleren Osten, nach Zentralasien und den Kaukasus. Gegen Migranten aus ihren Nachbarstaaten könnte sie als Pufferzone wirken. Außerdem erhöhte sich durch eine EU-Mitgliedschaft der Türkei die Versorgungssicherheit bei Öl und Gas.

Die militärische Partnerschaft. Als langjähriges Natomitglied war die Türkei wichtiger Akteur in den Balkankriegen und Afghanistan. Die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU soll davon profitieren.

Die Integrationskraft. Als EU-Mitglied könnte die Türkei glaubwürdig die Vereinbarkeit von Islam, Demokratie und europäischen Werten repräsentieren. Andere Staaten könnten nachziehen.

Gegen den Beitritt spricht:

Die rechtsstaalichen Standards. Die EU verlangt stabile Institutionen, die Demokratie garantieren, Rechtstaatlichkeit, Menschenrechte, Minderheitenschutz, Religionsfreiheit, Gleichberechtigung, eine funktionierende Marktwirtschaft und die Fähigkeit, am Wettbewerb teilzunehmen. Hier sind in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte gemacht worden – doch westliche Standards werden häufig bestenfalls auf dem Papier erreicht.

Der Identitätskonflikt. DieTürkei wird ein islamisches Land bleiben, während die EU von christlich-abendländischen Nationen geprägt ist. Nach innen wird die Türkei ihre islamische Identität aufrechterhalten – was die Entwicklung einer europäischen Identität im traditionellen Sinne einschränkt.

Die Wirtschaft. Die Ökonomie im Land ist fragil. In einer Studie der EU-Kommission ist von 500 000 bis vier Millionen Türken die Rede, die sich auf den Weg nach Westen machen werden. Noch sind zudem bis zu 40 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Für die Europäische Agrarpolitik wären deshalb grundlegende Veränderungen erforderlich.

Die Größe. Die Türkei gilt bei vielen als zu arm und zu groß . Die EU-Kommission rechnet daher mit zusätzlichen Kosten von jährlich 16 bis 28 Milliarden Euro. Zudem wird die Türkei mit heute 69 Millionen Einwohnern im Jahr 2020 mehr Einwohner haben als Deutschland. Fünfzehn Prozent der EU-Bevölkerung wird dann dort leben. Nach dem Prinzip der doppelten Mehrheit aus Bevölkerung und Mitgliedstaaten wird Ankaras Stimme das gleiche Gewicht haben wie die Berlins.

Mariele Schulze Berndt[Brüssel]

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