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Politik: Zu oft geirrt

Die Trauerfeier fand ohne Politiker statt. Gut ein Jahr nach dem Brückeneinsturz im Norden Portugals, bei dem 70 Menschen starben, haben die Einwohner des Dorfes Castelo de Paiva den Schock noch nicht verarbeitet.

Die Trauerfeier fand ohne Politiker statt. Gut ein Jahr nach dem Brückeneinsturz im Norden Portugals, bei dem 70 Menschen starben, haben die Einwohner des Dorfes Castelo de Paiva den Schock noch nicht verarbeitet. Schlamperei war die Ursache für diese nationale Tragödie, in der sich die Bevölkerung vom Staat verlassen fühlte. Und deswegen beschloss man, die Spitzenkandidaten der Parteien, die sich vor der Parlamentswahl an diesem Sonntag gern auf dieser Trauerfeier im Scheinwerferlicht gesonnt hätten, nicht einzuladen.

Der Staat versucht derweil, das verlorene Vertrauen seiner Bürger zurückzugewinnen. Seit der Fluss Douro in der Nähe Portos einen Reisebus und zwei Autos mitriss, fließt plötzlich viel Geld in diese urwüchsige Region. Gleich zwei neue Brücken entstehen, Straßen werden gebaut. 110 Millionen Euro regneten über Nacht über der Region nieder, in der Portugal jetzt beispielhaft beweisen will, dass das staatliche Interesse nicht nur den beiden Vorzeige-Großstädten Lissabon und Porto gilt.

Doch allem Anschein nach fing nach diesem Unglück die Krise des Staates erst richtig an. Die Sozialistenregierung, die mit Antonio Guiterres an der Spitze seit 1995 das arme EU-Land steuerte - erst erfolgreich nach oben in die Eurozone und dann steil nach unten in ein großes Schuldenloch -, trat im Dezember zurück. Zuvor hatten die Sozialisten in der Kommunalwahl alle großen Rathäuser verloren, die liberal-konservativen Sozialdemokraten eroberten die wichtigsten Bürgermeisterämter. Sämtliche Umfragen deuten an, dass die Konservativen mit ihrem Führungsmann Jose Durao Barroso (45) die politische Linke nun auch aus dem Regierungspalast in Lissabon vertreiben könnte.

Nach dem Sturz von Guiterres wurde der bisherige Bauminister Eduardo Ferro Rodrigues (52) Spitzenkandidat der Sozialisten. Er gelobte zwar nach den "schweren Irrtümern" Besserung. Doch dass Portugal wegen dieser "Irrtümer" nun Gefahr läuft, die Fußball-EM 2004 zu verlieren, dürfte der Partei kaum zugute kommen. Die Drohung des Uefa-Präsidenten Lennart Johannsson, das Land wegen seiner dramatischen Geldnot der EM zu berauben, traf die Nation tief in ihrem Stolz und war ohne Frage das heißeste Thema in diesem Wahlkampf.

Niemand weiß, woher die mindestens 500 Millionen Euro für den Bau von zehn neuen Fußballstadien samt begleitender Infrastruktur kommen sollen. Ausgerechnet die Vollendung der beiden Arenen in Porto und Lissabon, in denen das Eröffnungs- und das Endspiel stattfinden sollten, ist völlig ungewiss, die Arbeiten wurden zunächst gestoppt. Nun rief der sozialistische Staatspräsident Jorge Sampaio die streitenden Parteien auf, das Kriegsbeil zu begraben und die EM, die im "nationalen Interesse" liege, per gemeinsamen Kraftakt zwischen Staat, Städten und Fußballklubs zu retten.

Ganz nebenbei erwarten den Wahlsieger weitere Probleme, deren Lösung der Quadratur des Kreises gleichkommt: lange aufgeschobene Reformen in praktisch allen Kernbereichen. Das Sozial-, Gesundheits-, Bildungs-, Justiz- und Steuersystem gelten als stark unterentwickelt. Über allem steht dann auch noch die Sanierung der defizitären Staatskasse, die ihre Verschuldung im vergangenen Haushaltsjahr verdoppelte.

Ralph Schulze

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