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Politik: „Zuhören, nicht wegschauen“

Friedennobelpreisträgerin Ebadi über ihre Wünsche an Europa, Fundamentalismus in Iran – und das Kopftuch

Frau Ebadi, Sie sagten, die Nachricht vom Friedensnobelpreis an Sie sei ein „Schock“ gewesen. Hatte man Sie überhaupt nicht vorgewarnt?

Es war wirklich ein Schock. Ich war bei einer Konferenz der Internationalen Föderation für Menschenrechte in Paris und bereits auf dem Weg zum Flughafen, als mich die Nachricht per Telefon erreichte. Ich war völlig überrascht. Ich wusste ja nicht einmal, dass ich als Kandidatin vorgeschlagen worden war.

Welche Bedeutung hat der Preis für Sie ?

Er zeigt, dass der Weg, den ich schon vor mehr als 20 Jahren eingeschlagen habe, der richtige ist. Ich werde ihn fortsetzen. Natürlich gilt der Preis auch meinen vielen Weggefährten. Ohne sie wäre die Auszeichnung gar nicht möglich gewesen. Wir werden weiter für die Menschenrechte in Iran kämpfen, für die Demokratie, für die Frauen und die Kinder. Und wir werden dies jetzt mit noch mehr Kraft und Überzeugung tun.

Der Preis ging an Sie, an eine Frau und das erste Mal an eine Muslimin. Welches Zeichen wollte Ihrer Meinung nach das Nobelkomitee setzen?

Meine Arbeit besteht seit Jahrzehnten darin zu sagen, dass es keinen Widerspruch zwischen dem Islam und den Menschenrechten gibt. Dass ich nun als muslimische Frau für diesen Preis ausgewählt wurde, zeigt, dass meine Meinung richtig ist, und dass ich so weitermachen kann. Es ist also eine Bestätigung aus Richtung Oslo und eine Bestätigung für die menschliche Natur des Islam.

In Paris treten sie als westlich gekleidete Frau auf, geschminkt und modisch. Bilder aus Ihrer Heimat zeigen Sie mit dem Schleier. Warum diese Unterschiede?

In Iran ist der Schleier gesetzlich vorgeschrieben. Ich respektiere die Gesetze meines Landes. Deshalb bedecke ich meine Haare. Wenn ich im Westen bin, kann ich es halten wie ich will. Dort trage ich den Schleier nicht.

In Iran gibt es derzeit einen Machtkampf zwischen den Reformern um Präsident Chatami und den konservativen religiösen Führern. Wer wird diesen Kampf gewinnen?

Es gab immer dunkle Wolken in diesem Land. Ganz früher waren wir genauso wenig zufrieden wie in den letzten Jahren. Aber nie konnten die Wolken das Licht ganz verdecken. Der Fundamentalismus kann keine wirklichen Schatten auf das neue, modernere Leben werfen, ob man das akzeptiert oder nicht: Es gibt Licht. Ich bin sicher, dass letztlich die Modernisierung über den Traditionalismus siegt. Aber das wird dauern.

Werden Sie ab jetzt mehr politisches Gewicht im Land haben?

Die religiösen konservativen Führer haben ihre Meinung über mich, daran wird auch der Nobelpreis nichts ändern. Ich habe jetzt aber, nach dieser wundervollen Auszeichnung, noch mehr innere Kraft als vorher. Ich beharre weiter auf meinem Konzept. Ich werde es fortsetzen, hoffentlich mit mehr Einfluss, aber jetzt, nach dem Preis, auch mit viel größerer Verantwortung.

Sie haben gesagt, es sei „krank“, wie die Gesellschaft von Männern dominiert wird. Verstehen Sie sich als Feministin?

Als Feministin im westlichen Sinne sicherlich nicht. Ich kämpfe gegen das wie selbstverständlich hingenommene Patriarchat und versuche, zunächst einmal die Frauen in meinem Land aufzuklären. Sie kennen solche abstrakten Begriffe nicht. Sie nehmen alles quasi gottgegeben hin und fügen sich. Sie sind unterdrückt, aber das ist nicht ihre Schuld. Sie wissen nichts darüber. Ähnlich ist es mit der Religion. Sie sind muslimischen Glaubens, aber auch das ist ihnen nicht richtig bewusst. Die meisten haben keinen einzigen Satz im Koran gelesen.

Was halten Sie von der Reaktion der Teheraner Regierung auf Ihre Auszeichnung?

Es ist im Moment noch zu früh, die wirkliche Haltung der Regierung und der iranischen Institutionen zu beurteilen. Fest steht, dass ich heute sogar einen persönlichen Anruf des VizePräsidenten erhielt, der mir in einem längeren Gespräch gratulierte. Darüber freue ich mich erst einmal. Ich habe grundsätzlich Vertrauen und zu keinem Zeitpunkt Angst, nach Hause zurückzukehren.

Viele Schiiten aus Ihrem Land wollen jetzt Einfluss im Irak ausüben. Wie schätzen Sie die momentane Situation im Nachbarland ein?

Ich bin absolut davon überzeugt, dass das Schicksal jeden Landes in den Händen seiner eigenen Bevölkerung liegt. Ich bin deshalb gegen jegliche Art von Einmischung, egal, ob sie vom Iran kommt oder von den USA. Ich bin total dagegen, keine Interventionen. Es sind die Iraker, die entscheiden müssen, wie es bei ihnen weitergehen soll.

Was erwarten Sie von Europa im Hinblick auf die Menschenrechte in Ihrem Land und die Probleme in der arabischen Welt ?

Es ist wichtig, dass in Europa über die Probleme in Iran diskutiert wird. Wir brauchen Aufmerksamkeit. Entscheidend ist, dass zugehört wird und nicht weggeschaut.

Das Gespräch führte Sabine Heimgärtner.

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