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Ein letzter Blick. Graça Machel,

© REUTERS

Politik: Zum Abschied fließen Tränen

Leichnam von Mandela im Regierungsgebäude in Pretoria aufgebahrt.

Kapstadt - Der 10. Mai 1994 wird in Südafrikas Geschichtsbüchern stets ein ganz besonderes Datum sein: An jenem strahlend klaren Südwintertag wurde Nelson Mandela auf den Stufen vor dem Regierungsgebäude in Pretoria als erster schwarzer Staatspräsident vereidigt. Das Elitegeschwader der Luftwaffe, ausschließlich weiße Piloten, grüßte seinen neuen Befehlshaber beim Vorbeiflug durch das Wippen der Tragflächen. Jedem, der damals das Manöver am Himmel über Pretoria verfolgte, war die tiefe symbolische Bedeutung bewusst: Es war der Moment, in dem die weiße Minderheit ihre Macht nach fast 350-jähriger Herrschaft und Rassentrennung friedlich in schwarze Hände legte – in die Hände des am Donnerstag verstorbenen südafrikanischen Volkshelden Nelson Mandela.

Am Mittwoch kehrte Mandela ein letztes Mal dahin zurück, wo er vor fast 20 Jahren hinter schusssicherem Glas seinen Amtseid geleistet hatte. Sein einbalsamierter Leichnam war am frühen Morgen von einer Motorradstaffel aus dem Militärhospital zum Regierungsgebäude gebracht worden. Dort liegt er nun unter einem Glasdeckel in einem seiner berühmten Blumenhemden aufgebahrt. Kaum einen Kilometer entfernt liegt das Privatkrankenhaus, in dem Mandela zwischen Juni und August mit einer schweren Lungenentzündung lag, von der er sich am Ende nicht mehr erholte.

Mit der Aufbahrung des Leichnams hat sich die Stimmung im Land gedreht: War in den Tagen nach seinem Tod seine Lebensleistung freudig zelebriert worden, senkt sich nun mit der am Sonntag nahenden Beerdigung in seinem Alterssitz Qunu Trauer über das Land. Schweigend standen am frühen Mittwoch Hunderte von Weißen und Schwarzen in einer Ehrenformation an den Straßen, die der Konvoi mit dem Sarg Mandelas auf dem Weg zum Regierungssitz durchfuhr, vorbei unter anderem am schmucklosen Justizpalast, wo der Freiheitskämpfer 1964 nach einem aufsehenerregenden Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt worden war.

Am späten Vormittag war es zunächst den engen Familienangehörigen vorbehalten, sich am Sarg des großen Staatsmannes zu verabschieden. Neben seiner Gattin Graça Machel und seiner Ex-Frau Winnie Mandela, die beide in Schwarz gekleidet waren und beim Verlassen des Zeltes mit dem Sarg weinten, befanden sich auch die drei noch lebenden Töchter und deren Kinder unter den ersten Trauergästen. Gegen Mittag wurde die Öffentlichkeit zugelassen. Allerdings wird der Zugang zum Unionsgebäude strikt kontrolliert, um einen Massenandrang zu verhindern.

Der Sarg Mandelas ist am späten Vormittag von seinem Enkel Mandla, der seit ein paar Jahren Häuptling in Mandelas Heimatort Mvezo ist, in Empfang genommen worden. Beim Entladen des mit einer südafrikanischen Flagge umhüllten Sargs erklang die Nationalhymne, die aus zwei Liedern besteht: dem Choral „Nkosi Sikelel’ iAfrika“ („Gott schütze Afrika“), einem überall auf dem Kontinent gesungenen Kirchenlied, das in Südafrika eng mit dem Widerstand gegen das Apartheidsregime verbunden ist; und der „Stem van Suid-Afrika“ („Die Stimme Südafrikas“), der burischen Hymne, in der die Eroberung des Landes durch weiße Siedler glorifiziert wird. Mandela hatte sich damals gegen den Willen seines Afrikanischen Nationalkongress (ANC) 1994 dafür eingesetzt, dass beide Hymnen als Zeichen der Vielfalt des Landes nacheinander abgespielt werden. Wolfgang Drechsler

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