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Friedenstruppe. Im sudanesischen Darfur tun Blauhelme seit 2007 Dienst. Foto: pa/dpa

© picture-alliance/ dpa

Politik: Zum Scheitern entsandt

Die Blauhelme der Vereinten Nationen leiden seit Jahrzehnten unter schlechter Ausrüstung und Motivation – Verbrechen wie im Kongo stehen sie hilflos gegenüber

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon liebt gelegentlich das große Wort. So lobte er im Juni in der UN-Generalversammlung auch die Friedensoperationen der Weltorganisationen überschwänglich: Es handle sich um Missionen „der Hoffnung für Menschen, die in bewaffneten Konflikten gefangen sind“.

Rund sechs Wochen später fielen Rebellen im Osten der Demokratischen Republik Kongo über wehrlose Frauen und Kinder her. Rund 500 Opfer mussten bestialische Vergewaltigungen über sich ergehen lassen. Von den Blauhelmen, die in dem zerrissenen Land die Gewalt eindämmen sollen, war nichts zu sehen. Später gestand der beigeordnete UN-Generalsekretär Atul Khare das klare „Versagen“ der UN-Truppe ein. Sie hatte die Vergewaltigungen nicht gestoppt – auch wenn Kongos Regierung die Hauptverantwortung für den mangelnden Schutz ihrer Bevölkerung trägt.

Die Gewaltorgie markiert einen neuen Höhepunkt in einer Serie von tragischen Versäumnissen, groben Unzulänglichkeiten und auch Verbrechen der Blauhelme und ihrer Kommandeure: So konnten sie den Völkermord in Ruanda 1994 und das Blutbad an den Muslimen in Srebrenica 1995 nicht verhindern. Und sie machten sich selbst durch sexuelle Übergriffe in westafrikanischen Flüchtlingslagern im vergangenen Jahrzehnt schuldig.

Weltweit stehen die 100 000 Soldaten und Polizisten in 16 UN-Missionen oft auf verlorenem Posten: Zu klein sind sie, zu schwach – und nicht selten torpedieren die Regierungen der Stationierungsländer ihre Friedensbemühungen. In den ersten acht Monaten 2010 starben 149 Uniformierte. Im gesamten Jahr 2009 zählten die UN 120 Todesopfer. Der Chef der Blauhelme, der Franzose Alain Le Roy, bringt das Problem auf den Punkt: „Wir sind überdehnt.“ Eine Reihe der Missionen sei vom „Scheitern“ bedroht. Die Konsequenzen für die UN als weltweitem Friedensstifter seien „schrecklich“. Vor allem belastet sie der permanente Truppenmangel. Je gefährlicher und politisch brisanter eine Mission ist, desto weniger Länder stellen Soldaten ab.

Beispiel Darfur: Mitte 2007 beschloss der UN-Sicherheitsrat, 26 000 Mann in die sudanesische Kriegsregion zu schicken. Die Einheiten unter Befehl von UN und Afrikanischer Union (Unamid) sollten helfen, die Gewalt in Darfur zu beenden. Drei Jahre später fehlen immer noch rund 4000 Uniformierte. Im September massakrierten Milizen auf einem Marktplatz im Norden Darfurs mindestens 37 Zivilisten; die Unamid war nicht zugegen. Als Blauhelme das Blutbad untersuchen wollten, verweigerten ihnen Regierungstruppen den Zugang.

Die Schikanen des Regimes in Khartum begannen schon kurz nach dem Beschluss zur Aufstellung der Truppe: Mal verlangte Sudan das Recht, jederzeit die Kommunikation zwischen den Unamid-Einheiten unterbrechen zu dürfen. Später verweigerte man Überflugsrechte.

Ebenso behindert die schlechte Ausrüstung Operationen unter der blauen Flagge. Beispiel Kongo: Viele Blauhelme können bislang nicht mit Handys telefonieren. Erst nach der Massenvergewaltigung denken Kommandeure an eine Versorgung ihrer Einheiten mit Mobiltelefonen. „Wenn mangelhaft ausgestattete Truppen in riesigen Gebieten ohne Infrastruktur operieren sollen und die Regierung nicht kooperiert, wird es sehr schwierig“, kritisiert David Bosold von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Die materiellen Engpässe lassen sich auf knappe Kassen zurückführen: Das Budget von 7,2 Milliarden US-Dollar für die Friedensmissionen zwischen Juli 2010 und Juni 2011 ist nur zum Teil gedeckt – traditionell nehmen es die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen mit der Zahlung ihrer Beiträge nicht so genau. Andererseits betrachten viele Regierungen das Abkommandieren von Streitkräften als lukratives Geschäft. Das Entsendeland kassiert pro Soldat und Monat rund 1200 US-Dollar. Seit Jahren schicken die bitterarmen Mitglieder Bangladesch und Pakistan die meisten Uniformierten zum UN-Dienst: Anfang September waren es mehr als 21 000 Bangladeschi und Pakistani. „Diese Männer sind nicht sonderlich motiviert“, sagt ein kritischer Diplomat. Mangelnde Kenntnisse der lokalen Sprachen und Kulturen machen den Blauhelmen zusätzlich zu schaffen.

Im Kongo kulminieren die mannigfachen Probleme der Blauhelme: Die mit Soldaten aus Ägypten, Bangladesch, Bolivien, Nepal und Pakistan bunt zusammengewürfelte Truppe verliert sich immer wieder in den Fallstricken der Konflikte um Macht, Territorium und Rohstoffe. Angesichts der hoffnungslosen Lage trat der damalige Militärchef der Kongo-Blauhelme, der spanische Generalleutnant Vicente Diaz de Villegas, 2008 zurück. Nur wenige Wochen zuvor hatte er seinen Posten erst angetreten.

Jan Dirk Herbermann

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