zum Hauptinhalt

Politik: Zum Westen gehören - aber als Partner

Die baltischen Staaten haben sich seit dem Auseinanderfallen der Sowjetunion vor zehn Jahren in der westlichen Wahrnehmung als stabile Länder etabliert. Gerade Estland gilt mittlerweile vielen eher als Nord- denn als Osteuropa.

Die baltischen Staaten haben sich seit dem Auseinanderfallen der Sowjetunion vor zehn Jahren in der westlichen Wahrnehmung als stabile Länder etabliert. Gerade Estland gilt mittlerweile vielen eher als Nord- denn als Osteuropa. Eine sachliche Zuordnung wird möglich, wenn man sich historische Zusammenhänge vor Augen führt. Das Buch macht genau das möglich. Wer das Baltikum bereist, bemerkt schnell die kulturellen Unterschiede zwischen Estland, Lettland und Litauen. Ausgerechnet das letzte Jahrhundert, das ihnen zwei Mal - Anfang der zwanziger Jahre und Anfang der neunziger Jahre - die staatliche Souveränität beschert hat, hat sie bei deren Entzug auch wieder zusammengewürfelt.

Ein schönes Beispiel für die Wurzeln estnischen Kulturverständisses ist die Universität von Tartu, früher Dorpat. Das "Heidelberg des Nordens" wurde die kleine Stadt genannt, und viele deutsche Gelehrte arbeiteten dort. Es war keine nationale Ketzerei, als das unabhängige Estland eine eigene Währung einführte und auf den Zwei-Kronen-Schein das Porträt des Biologen Karl Ernst von Baer (1792-1876) aufdrucken ließ. Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein war Deutsch die Sprache der gesellschaftlichen Oberschicht; Estnisch als Literatursprache setzte sich erst allmählich durch. Dass es sogleich gegen jede Russifizierung immun war, liegt unter anderem daran, dass es als nicht-slawische Sprache relativ isoliert weiterexistierte. Lettland mit der Ostseemetropole Riga als Hauptstadt und Litauen, das mit Vilnius (früher Wilna) auf das "Jerusalem des Ostens" stolz sein konnte, waren vor dem Wüten der Nazis zwei Welten. Gerade über Litauen ist in Deutschland wenig bekannt, obwohl deutsch-litauisch-jüdische Beziehungen allerorten im Lande zu erspüren sind.

Aufholjagd in Richtung EU

Das Baltikum eint heute vor allem der Wunsch nach Westintegration - allerdings nicht um jeden Preis: "Das Selbstbewusstsein der Balten hat insgesamt zugenommen, und man begreift den Weg zum Beitritt in die EU zwar durchweg als Aufholjagd, diese aber nicht nur mit dem Ziel der Angleichung und Anpassung, sondern auch der Ebenbürtigkeit und Anerkennung." Die baltischen Staaten sind schon jetzt Partner für die kleineren EU-Mitglieder in Fragen der Gleichberechtigung bei Brüsseler Entscheidungen. Warum und an wessen Seite die baltischen Staaten in Europa eine Rolle spielen werden, dazu liefert dieses Buch - allzu trocken geschrieben, aber bei allen Fakten verlässlich - nützliches Hintergrundwissen.

Mareile Ahrndt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false