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Politik: „Zurück in die Zeit vor der WTO“

Der indische Aktivist Sharma über die Konferenz von Cancun und Fairness für die Dritte Welt

Was bedeutet für sie fairer Handel?

Fairer Handel muss so funktionieren, dass beide Seiten davon profitieren. Aber der Wille dazu existiert gar nicht. Den Industrieländern geht es vor allem darum, die Entwicklungsländer auszubeuten. Und um sich selber haben sie einen Schutzring gebildet. Innerhalb der multilateralen Abkommen, die wir heute haben, werden wir nicht fair behandelt. Es bleibt also nur ein Ausweg: Die Entwicklungsländer müssen sich wieder auf bilaterale Abkommen konzentrieren. Wir müssen zurückkehren in die Zeit vor Gründung der Welthandelsorganisation (WTO).

Sie glauben also nicht, dass die Interessen der Entwicklungsländer innerhalb der WTO künftig stärker berücksichtigt werden?

Zumindest gibt es keine Anzeichen dafür. Ein Beispiel: Als wir 1995 über den Handel mit geistigen Eigentumsrechten verhandelt haben, wurde uns gesagt, dass wir dieses Opfer bringen müssten. Heute stellen wir fest, dass wir unter dieser Vereinbarung sehr leiden. Das zeigt sich jetzt beim Streit um billige NachahmerMedikamente gegen Aids. In Cancun wird das Gegenteil von fairem Handel beschlossen werden. Wir werden unsere Märkte weiter öffnen müssen, während die Industrieländer ihre Landwirtschaft schützen. Sie haben ja nicht nur die Exportsubventionen, sondern auch Zölle und andere Möglichkeiten zum Schutz ihrer Märkte.

Wie können die Entwicklungsländer Druck auf die reichen Staaten ausüben?

Die G-20-Staaten haben mit ihrem kürzlich veröffentlichten Forderungspapier bereits einen großen Schritt gemacht: Es geht um den Abbau der Subventionen und auch wenn sie nicht direkt „null Subventionen“ fordern, so doch etwas Ähnliches. Die Entwicklungsländer müssen den Abbau von Handelsbarrieren von der Abschaffung der Agrarsubventionen abhängig machen. Das ist nur fair. Wenn die reichen Länder sich mehr Zeit erbitten, warum sollen wir dann von heute auf morgen reagieren?

Indien gehört zu den G-20-Staaten. Wird diese recht heterogene Gruppe ein Umdenken bei den USA und der EU bewirken können?

Die Entwicklungsländer sind nie ein homogener Block gewesen. Wir haben sehr unterschiedliche wirtschaftliche Interessen. Malaysia zum Beispiel wünscht sich eine Öffnung der Märkte, während sich Brasilien, China und Indien schützen möchten. Aber alle Länder kennen die Stärke Indiens. Wir stellen ein Sechstel der Menschheit, unser Markt ist der zweitgrößte der Welt. Wenn Indien die Führung übernimmt, dann muss der Rest der Welt zuhören.

Sie argumentieren, dass die reichen Länder mit Dumping-Preisen Hunger in der Dritten Welt verursachen. Aber müssen Länder wie Indien denn nicht auch innenpolitisch einiges verändern?

Das Hunger-Problem ist tatsächlich ein innenpolitisches Problem. Es ist beschämend und paradox, dass in einem Land mit einem Rekordüberschuss von 38 Millionen Tonnen Getreide gleichzeitig Millionen Menschen jeden Abend hungrig zu Bett gehen. Die Lebensmittel sind da, aber die Menschen haben kein Geld. Wir müssen daher in erster Linie Arbeitsplätze schaffen. Aber in Indien haben die Armen und die Hungernden keine Lobby. Daher ist niemand wirklich an ihrem Problem interessiert.

Das Interview führte Eva Schwartmann.

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