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Politik: Zurück zum Balkan

MORD IN BELGRAD

Von Christoph von Marschall

Die Welt ist schon so schwer erschüttert: wegen des drohenden Kriegs am Golf und der prekären Lage in Afghanistan. Und nun folgt noch ein Schlag. Der Balkan, den viele auf gutem Weg zu einem verlässlichen Frieden sahen, meldet sich zurück – nicht mit einer der politischen Krisen, die so kurz nach Diktatur und Bürgerkrieg wohl unvermeidbar sind. Sondern mit Gewalt. Der Mord an Premier Zoran Djindjic wird Auswirkungen weit über Serbien hinaus haben. Er stellt nicht nur die Demokratisierung im Herzland ExJugoslawiens in Frage. Von der Stabilität des wichtigsten Nachfolgestaates hängt auch der Frieden in Bosnien und im Kosovo ab.

Zudem galt der Balkan bisher als Paradebeispiel, dass militärische Interventionen die Welt in Ausnahmefällen ein kleines Stück besser machen können: Die Nato stoppte Mord und Vertreibung erst in Bosnien, dann im Kosovo, bald darauf stürzte der Diktator Milosevic; mit viel Geld und Personal machte sich der Westen an den Wiederaufbau, trieb Rechtsstaat und Demokratie voran, trat Nationalisten und Separatisten entgegen. Wenn dieses Rezept – Militärintervention plus nachhaltiges Engagement gleich Stabilität und Frieden – in Europas Südosten einen Rückschlag erfahren sollte, dann dürften die Zweifel am Erfolg dieser Strategie in Afghanistan und im Irak noch einmal dramatisch wachsen.

Aber hängt tatsächlich so viel an diesem Mann, dass sein Tod über das Schicksal der jungen Demokratie entscheidet? Kann niemand an seine Stelle treten? Unersetzlich ist niemand. Zoran Djindjic war jedoch eine Schlüsselfigur für die Stabilisierung. Gerade weil er kein Havel, Walesa oder Mandela war – keine Ikone gewaltfreier Revolution. Im Kampf gegen Milosevic verhielt er sich opportunistisch. Und machiavellistisch. Er war kein idealistischer Dissident, sondern ein oft rücksichtsloser Machtpolitiker.

Das ist der eine Charakterzug, der ihn wertvoll machte für Serbiens Demokratisierung. Ihn konnten die Nationalisten und Ex-Kommunisten nicht einfach austricksen, im Ränkespiel war er ihnen gewachsen, wenn nicht überlegen. Aufs erste ist niemand in seiner Partei zu sehen, der ihn da ersetzen könnte. Djindjic wagte die riskanten Konflikte, von denen der Erfolg des demokratischen Aufbruchs abhing: die Auslieferung Milosevics nach Den Haag, Flexibilität bei den staatsrechtlichen Verhandlungen über Montenegro und Kosovo, Kampf gegen das organisierte Verbrechen – gut möglich, dass ihm das jetzt zum Verhängnis wurde.

Das andere entscheidende Handwerkszeug hat er in Deutschland gelernt: als Nachwuchswissenschaftler und Dozent in Konstanz. Daraus wurde Demokratieexport – und ein überzeugendes Beispiel, welchen Nutzen Deutschland haben kann, wenn es politische Exilanten aufnimmt und großzügig Ausländer ausbildet, als Elitereserve für ihre Heimatländer. Dank der jahrelangen Erfahrung mit demokratischem und rechtsstaatlichem Alltag hatte Djindjic den praktischen Nutzen der Bürgergesellschaft verinnerlicht wie wenige andere in Serbien. Und war dann nach Milosevics Sturz dank seiner Sprachkenntnisse und seines geschliffenen Auftretens das Aushängeschild des neuen Serbien im Ausland.

Djindjics Tod bereitet nun nicht gleich den Weg für eine neue Diktatur, das wäre übertrieben. Aber er schafft neue Unsicherheit, wie belastbar die noch schwachen Institutionen und demokratischen Entscheidungsabläufe in solch einer Krisensituation sind. Das Attentat stürzt Serbien, stürzt den Balkan in Turbulenzen. Und ist eine Warnung an alle, die die halbe Welt gewaltsam demokratisieren wollen. Nachhaltige Demokratisierung braucht viel länger, als die Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit leuchten.

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