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Politik: Zurück zur Revolution

In der Ukraine zeichnet sich nach der Wahl eine Neuauflage der prowestlichen Koalition ab

Der Mythos der orangenen Revolution ist in der Ukraine längst zu Grabe getragen worden. Die Wahlen am Sonntag aber haben gezeigt, dass die Bevölkerung im Land den Führungspersönlichkeiten der friedlichen Revolution wieder vertrauen schenkt. Denn das orangene Lager hat es offensichtlich noch einmal geschafft. Laut Hochrechnungen zeichnet sich nach der vorgezogenen Parlamentswahl eine Neuauflage der prowestlichen Koalition ab.

Nach Angaben der Wahlbehörde in Kiew lieferten sich am Montagnachmittag der Oppositionsblock der Politikerin Julia Timoschenko und die im russischsprachigen Teil des Landes populäre Partei der Regionen von Ministerpräsident Viktor Janukowitsch ein Kopf-an-Kopf- Rennen. Beide bekamen etwas mehr als 30 Prozent der Stimmen. Die ebenfalls westlich orientierte Partei Unsere Ukraine von Präsident Viktor Juschtschenko wählten knapp 16 Prozent. Ebenfalls sicher über der Drei-Prozent- Hürde liegen die Kommunisten, die rund fünf Prozent der Stimmen erhielten.

Julia Timoschenko, die Frau mit dem untrüglichen Gespür fürs Populäre, hat bereits kurz nach Schließung der Wahllokale verkündet, den Willen der Wähler in die Tat umsetzen zu wollen. Sie strebe eine Koalition mit der Partei des Präsidenten an. Welche Sprengkraft diese politische Verbindung birgt, hat sich allerdings vor zwei Jahren gezeigt, als sich Timoschenko und Juschtschenko nach gewonnener Wahl schnell über den politischen Kurs des Landes zerstritten und der Präsident die Premierministerin kurzerhand entließ. Nutznießer war damals Viktor Janukowitsch, der daraufhin zum Regierungschef ernannt wurde. Seine kurze Regierungszeit war allerdings dadurch geprägt, dass er seine Günstlinge an wichtige Stellen des Staates setzte und die Oligarchen aus dem Osten des Landes von den Privatisierungen im Industriesektor profitierten.

Die Wähler scheinen erkannt zu haben, dass das Land noch einen weiten Weg in Richtung Demokratie zurückzulegen hat. Dieser Kraftakt wird offensichtlich am ehesten den Kräften der ehemaligen revolutionären Bewegung zugetraut. Sie haben vor der Wahl den Wählern versprochen, das Grundübel der ukrainischen Politik bekämpfen zu wollen: die Vermischung politischer und wirtschaftlicher Interessen einer mehrheitlich korrupten Elite des Landes. Ob das gelingen wird, ist mehr als fraglich, schließlich sind die Protagonisten seit Jahren selbst Teil des Systems. Doch ein Wechsel der führenden Köpfe ist auf absehbare Zeit nicht in Sicht.

Dass nicht nur die Erwartungen der Ukrainer an die zukünftige Regierung sehr hoch sind, wurde auf einer Pressekonferenz der internationalen Organisationen deutlich, die den Verlauf der Wahlen überwachten. „Die hohe Beteiligung an der Wahl war der Beitrag des Volkes, die politische Krise im Land zu überwinden“, erklärte Tone Tingsgaard, Wahlbeobachterin der OSZE in Kiew. „Nun liegt es in den Händen aller politischen Kräfte, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen.“

Der erhobene Zeigefinger war nicht zu übersehen. Präsident Viktor Juschtschenko hat gezeigt, dass er nicht der lupenreine Demokrat ist, für den viele ihn noch vor zwei Jahren hielten. Mit der Auflösung des Parlaments und der Entlassung der Verfassungsrichter hat er sich weit außerhalb der gesetzlichen Regeln bewegt. Und Julia Timoschenko missachtet angesichts ihres Hanges zum Populismus gerne einmal die Grundregeln der Marktwirtschaft. Entscheidend dürfte sein, dass die beiden Politiker künftig klar definierte Grenzen aufgezeigt bekommen.

Wichtig für die Ukraine ist aber auch, dass das Land eine echte Perspektive für eine partnerschaftliche, gewinnbringende Zusammenarbeit mit dem Westen erhält. Das allerdings dürfte ein schwieriger Balanceakt werden. Russland mit seiner neuen, sehr aggressiven Außenpolitik hat bereits erklärt, an der Energieschraube zu drehen, sollte Kiew die Anbindung an den Westen weiter vorantreiben. Diese Drohung muss Kiew ernst nehmen – und die EU ebenfalls.

Knut Krohn[Kiew]

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