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Politik: Zurückerobert

Der Sperrzaun ist wieder offen, der Alltag kehrt zurück – und die Bilanz der Einheimischen ist gemischt

Wehmut und Aufatmen über das Ende des G-8-Gipfels liegen am Samstag rund um Heiligendamm nur ein kurzes Stück auseinander. „Hoffentlich kommen so viele Chaoten nicht gleich wieder“, schimpft Traude Lange am Gartenzaun ihres Grundstückes in Wittenbeck, keine 300 Meter von dem Sperrzaun des Tagungszentrums entfernt. „Alles voller Müll. Und das sollen Grüne gewesen sein?“ Ihr Mann Arnold winkt ab. „Vom Nachbarn haben sie die Zäune eingetreten. Ziemlich rücksichtslos.“ Beide sind um die 80 Jahre alt und hätten sich nie träumen lassen, dass um die kleine Straße vor ihrem Haus einmal zwei Tage und eine Nacht erbittert gekämpft werden würde. Rund 5000 Demonstranten hatten diese Zufahrt nach Heiligendamm unterbrechen wollen. „Aber gegen die fünf aus vollen Rohren schießenden Wasserwerfer hatten die jungen Leute keine Chance“, erinnert sich Arnold Lange. „Es gab auch nette Bilder. Die Kölner Polizistinnen auf ihren Schimmeln waren schon eine Augenweide.“

Die Kuhweide muss in den nächsten Tagen erst einmal gründlich von Papier, Zeltplanen, Flaschen, Stoff- und Fahnenresten und Plakatfetzen gesäubert werden. Anderswo beklagen Bauern erhebliche Verluste auf ihren Getreidefeldern. „25 000 Euro Schaden kommen bestimmt zusammen“, sagt Detlef Lindemann, Geschäftsführer des Kreisbauernverbandes. Auf acht Meter Breite und zwei Kilometer Länge sei beispielsweise eine Gerstenfläche niedergetrampelt worden. Der Schaden liege allein hier bei 2000 Euro. Normale Wege in Richtung Sperrzaun konnten die Demonstranten nicht nehmen, da schob die Polizei Wache. Doch auch die Einsatzkräfte hinterließen mit ihren schweren Fahrzeugen und Hubschraubern tiefe Spuren auf Acker und Weide. Die Gutachter haben sich für Montag angekündigt. Die vielen Schaulustigen stießen schon am Wochenende auf manche skurrile Hinterlassenschaft. Weidenzäune waren beispielsweise kurzerhand zu Hängematten umgebaut worden.

Während die Bauern und die meisten Anwohner nun wieder Ruhe und Abgeschiedenheit herbeisehnen, macht sich in der Konditorei Röntgen in Steffenshagen ein wenig Trauer breit. Sie machte mit den Demonstranten und Polizisten das Geschäft ihres Lebens, wurden Brötchen, Kuchen und das hauseigene Eis doch rund um die Uhr verkauft. „24 Stunden Öffnung gab es bei uns noch nie“, sagt Verkäuferin Diana Lück. „Normalerweise ist um 16 Uhr Schluss.“ Am Samstag gönnen sich Wuppertaler, Wiesbadener und Dresdner Polizisten noch mal ein Sanddorn- oder Erdbeereis vor der Heimfahrt. Auch noch einige der eigens produzierten Gipfeltörtchen mit Staatsflagge wandern als Souvenir in den Mannschaftswagen. „Uns hat’s Spaß gemacht“, meint die freundliche Frau hinter der Theke.

Die Staatskanzlei in Schwerin hat die zusätzliche Wirtschaftsleistung offenbar schon genau errechnet. 120 Millionen Euro soll der Gipfel gebracht haben. Davon entfallen auf die Hotellerie allein 25 Millionen Euro durch rund 100 000 zusätzliche Übernachtungen. Eine halbe Million Menschen zog außerdem in Kasernen, Pensionen und Privatunterkünfte sowie in Camps unter freiem Himmel ein. Von ihnen profitierten vor allem Schnellrestaurants, Discounter, Bäckereien und Tankstellen. Von den 47 Millionen Euro, die Mecklenburg-Vorpommern für den Ausbau von Straßen um das Tagungsgelände erhielt, mussten einige tausend Euro wieder abgerechnet werden. Durch brennende Holzbarrikaden und Pflanzenöl war der Asphalt auf der Straße zwischen Kröpelin und Kühlungsborn regelrecht geschmolzen.

Während der Chef des Tourismusverbandes, Bernd Fischer, von „sensationellen Bildern“ sprach, die um die Welt gingen und sicher noch auf Jahre Touristen ins Land brächten, fällt die konkrete Bilanz mitunter enttäuschend aus. Gerade in den Restaurants und Hotels in Kühlungsborn herrschte tagsüber regelrechte Flaute. Die Journalisten und der Begleittross seien zentral versorgt, während sich normale Besucher wegen der Hubschrauber und Blockaden nicht in den Ort getraut hätten, heißt es überall entlang der Ostseeallee mit ihren hübschen Hotels. Und Metzgermeister Axel Hackendahl, der seine Utensilien aus dem Protestiererlager in Reddelich bei Heiligendamm einsammelt, ist aus einem anderen Grund enttäuscht. „80 Prozent der Gipfelgegner sind Vegetarier gewesen. Das war doch überraschend.“

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