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Politik: Zuwanderung: Interview: "Wir werden uns auf keine Zahl festlegen"

Peter Struck (58) führt die SPD-Bundestagsfraktion seit Oktober 1998. Der promovierte Jurist wurde 1980 erstmals in den Bundestag gewählt.

Peter Struck (58) führt die SPD-Bundestagsfraktion seit Oktober 1998. Der promovierte Jurist wurde 1980 erstmals in den Bundestag gewählt. Bevor der Norddeutsche an die Spitze der Fraktion rückte, wuchs ihm im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat eine bedeutende Rolle zu. Er wird als beweglich beschrieben. Zudem zeichnet ihn nach Beobachtermeinung die Fähigkeit aus, seine Fraktion mit klaren Worten auf Kurs zu bringen, wenn es nötig ist.

Der Bundeskanzler hat davon gesprochen, dass mit "ruhiger Hand" regiert werden müsse. Ein schöner Wahlkampfbegriff. Setzen Sie jetzt - wie die CDU schon einmal vor Jahren - auf das "Weiter-So"?

Das bezieht sich in erster Linie auf Forderungen aus der Opposition, auf die Konjunkturdelle, in der wir uns zweifellos befinden, mit Gegenmaßnahmen zu reagieren. Ruhige Hand heißt, dass wir solche zusätzlichen hektischen Aktivitäten wie Konjunkturprogramme nicht brauchen. Die Lage in der Wirtschaft ist viel besser als die Stimmung.

Wenn Sie Konjunkturprogramme ausschließen, müssen dann nicht wenigstens andere Maßnahmen forciert werden? Die Deregulierung des Arbeitsmarktes zum Beispiel?

Das machen wir ja. Wir werden eine aktive Arbeitsmarktpolitik betreiben. Ab September bringen wir das so genannte Job-Aktiv-Gesetz auf den Weg. Danach werden wir unter anderem jeden einzelnen Arbeitslosen mit einem ganz konkreten Betreuungsplan und besseren Vermittlungsmöglichkeiten viel intensiver betreuen. Das wird seine Wirkung entfalten. Konjunkturprogramme hätten dagegen keinen Sinn. Ich will nicht so weit gehen, dass es keine nationalen Möglichkeiten mehr gibt, aber Beschäftigungsprogramme alter Prägung werden den Anforderungen der globalen Wirtschaft nicht gerecht. Damit lassen sich allenfalls teuer erkaufte Strohfeuereffekte erzielen.

Warum ziehen Sie die Steuerreform nicht vor? Was 2003 hilft, die Wirtschaft anzukurbeln, kann doch ein Jahr früher nicht falsch sein?

Ja. Aber man muss dann auch sagen, wo die 13,6 Milliarden Mark herkommen sollen, die das kosten würde. Dazu schweigt die Opposition. Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: Man erhöht die Steuern an anderer Stelle, bei der Mehrwertsteuer zum Beispiel. Oder man erhöht die Verschuldung. Beides wären falsche Wege. Wir sind uns bei unserem Ziel, die Schulden abzubauen, auch mit der großen Mehrheit der Bevölkerung einig. Zur Konsolidierungspolitik des Finanzministers gibt es keine Alternative.

Bleibt der Weg, den Bundeshaushalt noch einmal nach überflüssigen Ausgaben zu durchforsten.

Ich sehe nicht, wo wir im Haushalt für 2002 noch weiter Einschnitte vornehmen können, um irgendwo Sondermittel für irgendwelche Sondermaßnahmen freizuschaufeln. Denn dann müsste man gerade in Bereiche gehen, in denen Investitionen gefördert werden. Wir sind doch stolz darauf, für Forschung und Bildung, für Existenzgründungen, für den Ausbau der Infrastruktur mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Es wäre völlig falsch, wenn wir da jetzt plötzlich streichen würden.

Auch bei der Zuwanderung gibt es ja Erwartungen der Wirtschaft. Warum ist die SPD-Fraktion bei der Zahl von 50.000, die die Süssmuth-Kommission vorschlägt, so zurückhaltend?

Es wäre nicht richtig, jetzt Zahlenspielereien zu machen. Wir werden in dem Gesetz, das der Innenminister in diesem Sommer vorbereitet, mit Sicherheit keine Zahl festlegen. Das Gesetz wird ein Verfahren festlegen, nach dem der Bedarf ermittelt wird. Dabei wird es vor allem um die "High Potentials", die Hochqualifizierten, gehen, also um diejenigen, bei denen man weder große Integrationsleistungen erbringen muss, noch Angst haben muss, dass sie Arbeitslosen hier den Job wegnehmen.

Das heißt, so dringlich ist es gar nicht, die Zuwanderung zu regeln?

Ich glaube, dass der Vorschlag unserer Fraktion, den wir am Freitag beschlossen haben, richtig ist: Qualifikation muss vor Zuwanderung gehen. Wir sprechen von einem Jahrzehnt der Integration. In den kommenden zehn Jahren brauchen wir, von den so genannten "High Potentials" abgesehen, keine massive Arbeitsmigration. Bei uns steht im Vordergrund, die hier in Deutschland lebenden deutschen und ausländischen Arbeitslosen so zu qualifizieren, dass sie Jobs annehmen können, für die wir nicht Arbeitnehmer aus dem Ausland anwerben müssen.

Es reichte also im Grund eine Ausweitung der Green-Card-Regelung?

Für die mittelfristige Arbeitsmigration können Sie das so sehen.

Sie wollen die Neuregelung der Zuwanderung im Konsens mit der Union machen. Erste Reaktionen aus der CDU und der CSU machen jedoch wenig Hoffnung, dass Ihnen das gelingt.

Wenn die Union bei dem Papier bleibt, das der saarländische CDU-Ministerpräsident Peter Müller zur Zuwanderung vorgelegt hat und dem der CDU-Vorstand zugestimmt hat, dann halte ich einen Konsens für möglich, sogar für wahrscheinlich. Wir haben das Papier der Müller-Kommission in der Koalition erörtert, und wir waren uns einig, dass es eine gute Grundlage für ein gemeinsames Gesetz wäre. Unser politisches Ziel, Zuwanderung und Integration parteiübergreifend im Konsens zu regeln, bleibt. Das wird auch die Linie der Gespräche des Innenministers sein, die er mit den von der Union geführten Ländern führen wird. SPD und Grüne werden sich jedenfalls auf einen Gesetzentwurf einigen, dem auch die CDU zustimmen könnte, wenn sie wollte.

Ein Verfahren wie bei der Steuer- und der Rentenreform, wo die Regierung einige Länder aus der Ablehnungsfront der Union herausbrach, schließen Sie aus?

Wir brauchen die Zustimmung des Bundesrats, das ist völlig klar. Wir streben diese Zustimmung in einem breiten Konsens an. Ich kann aber auch nicht ausschließen, dass wir das Gesetz beschließen, und dabei nur die Zustimmung von ein, zwei Ländern bekommen, in denen die Union regiert. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass Ministerpräsident Müller einem Gesetzentwurf nicht zustimmt, der im Wesentlichen den Vorschlägen der von ihm geleiteten Kommission entspricht.

Es gibt noch ein zweites großes Thema, bei dem Sie die Union mit ins Boot holen wollen: der Mazedonien-Einsatz der Bundeswehr.

Wenn die CDU/CSU innenpolitisch motivierte Bedingungen an ihr Ja zu einem Einsatz stellt, dann verlässt sie den Weg, den Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher erfolgreich in der Außenpolitik beschritten haben. Natürlich wird die Bundeswehr, wenn der Bundestag beschließt, sie nach Mazedonien zu entsenden, mit den notwendigen Mitteln ausgestattet werden müssen. Es wäre unverantwortlich, wenn man das nicht täte.

Generalinspekteur Harald Kujat hat doch schon gesagt, dass es nicht reicht.

Für mich ist nicht der Generalinspekteur relevant, für mich zählt, was der Verteidigungsminister sagt. Und der hat sich zu diesem Thema bislang zu Recht noch nicht geäußert, weil nämlich der Umfang des möglichen Mandats noch nicht endgültig fest steht.

Aber der Generalinspekteur ist ja nicht irgendwer. Berät er die Regierung schlecht?

Diese Äußerungen des Generalinspekteurs haben mir nicht gefallen. Ich nehme aber mit Befriedigung zur Kenntnis, dass er diese Meldungen dementiert hat. Über die Frage, ob der Einsatz mit den bisher im Haushalt veranschlagten Mitteln zu machen ist oder nicht, entscheidet nicht der Generalinspekteur, das wird auf der politischen Ebene entschieden.

Sie haben sich dafür ausgesprochen, dass das Mazedonien-Mandat ehrlich sein müsste. Heißt das, dass es nicht zeitlich befristet sein sollte?

Die ursprüngliche Vorstellung, da nur 30 Tage hinzugehen und zu sehen, wie die Leute freundlich ihre Waffen abgeben, wird von der Nato jetzt überprüft. Der Bundestag wird in diesem Monat über ein Mandat zu entscheiden haben, so wie die Bundesregierung es beschließt. Intern beteiligen wir uns natürlich an dem Meinungsbildungsprozess. Der Deutsche Bundestag wird aber kein Mandat für einen Zeitraum beschließen, von dem jeder heute schon weiß, dass er unrealistisch ist. Wir wollen ja nicht alle vier Wochen erneut zusammenkommen, um zu sagen, die 30 Tage sind vorbei, es ist allerdings noch nicht zu Ende, nun beschließen wir für 30 weitere Tage. Das wäre Unsinn.

Sie sprechen zudem von einem "robusteren Mandat". Wird es für die Soldaten riskanter?

Robust heißt zunächst einmal, dass sich unsere Soldaten selber schützen können müssen. Das ist eine Selbstverständlichkeit, sonst könnten wir die Feuerwehr oder das Technische Hilfswerk hinschicken. Robust heißt aber auch, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass auch nach der Abgabe von Waffen eine militärische Präsenz erforderlich sein könnte.

Ein anderes Thema, das die Menschen derzeit stark beschäftigt, ist die Kostenexplosion im Gesundheitssystem, die viele Fachleute vorhergesagt hatten.

Ich bin da sehr zufrieden mit der Arbeit der Bundesgesundheitsministerin. Ulla Schmidt hat die volle Unterstützung der SPD-Fraktion.

Auch wenn, wie jetzt in einem Strategiepapier aus dem Kanzleramt vorgeschlagen, Wahl- und Pfichtleistungen eingeführt werden sollten?

Um dieses Papier hat es viel unnötige Aufregung gegeben. Da hat ein Referent mal aufgeschrieben, was theoretisch alles möglich sein könnte. Wir werden das nicht machen. Mit der SPD-Fraktion wird es eine Aufteilung in Wahl- und Pflichtleistungen und damit eine Zwei-Klassen-Medizin nicht geben. Es bleibt dabei, dass die Krankenkassen das medizinisch Notwendige bezahlen müssen.

Schwächere Konjunktur, mehr Ausländer, die Bundeswehr in Mazedonien, höhere Krankenkassenbeiträge - alles keine Themen, die sich zum Wahlkampfhit eignen. Womit wollen Sie 2002 werben?

Wir haben den Reformstau aufgelöst, und wir werden in die Bundestagswahl natürlich mit einer Leistungsbilanz gehen. Die kann sich übrigens sehen lassen, auch wenn viele Leute die Erfolge heute schon als selbstverständlich ansehen. Unsere Schwerpunkte sind klar: Forschung und Bildung werden wir intensiv fördern, dazu die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. An der Spitze steht aber weiter die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Das Ziel, die Arbeitslosigkeit bis 2002 auf 3,5 Millionen zu senken, schafft die Koalition?

Ja.

Vor der Bundestagswahl wird noch in Berlin gewählt. Kommt die SPD/PDS-Koalition?

Wenn ich den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit richtig verstanden habe, strebt er eine rot-grüne Mehrheit wie im Bund an. Es ist aber redlich zu sagen, was man macht, wenn es dafür nicht reichen sollte. Dabei ist für uns aber völlig klar, dass eine Ampel-Koalition, also ein Bündnis mit Grünen und FDP, vor der Beteiligung der PDS an der Regierung rangiert. Wowereit bevorzugt das, und auch ich halte das für richtig.

Und wenn das nicht reicht, SPD und PDS aber zusammen eine Mehrheit hätten?

Ich glaube, die Berliner SPD würde es bevorzugen, wenn die Grünen auf jedem Fall mit in der Regierung sind. Ich halte die PDS übrigens nach all dem, was ich bisher von ihrem Spitzenkandidaten gehört habe, für nicht in der Lage, die notwendigen finanziellen Einschnitte in Berlin mit zu tragen. Die PDS ist eine gnadenlos populistische Partei, die jedem verspricht, was er gerne hören möchte, nur im Ganzen passt das nicht zusammen. Und um der Frage gleich zuvorzukommen: Auf Bundesebene ist die PDS überhaupt nicht politikfähig.

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